Musk rollt Metas Twitter-Klon Threads den roten Teppich aus

Wenige Tage vor dem Start des ersten ernstzunehmenden Konkurrenzangebots sabotiert der Twitter-Eigentümer mal wieder munter und mutwillig seine eigene Plattform. Popcorn!
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Ausgabe #891 | 5.7.2023

Was ist

Wir müssen dann mal wieder. Ein paar Wochen lang haben wir das Twitter-Drama weitgehend ignoriert, jetzt kommen wir nicht mehr daran vorbei. Denn Marketing-Genie Musk und Meta-Chef Zuckerberg machen, was sie am besten können: Der eine fährt Twitter vor die Wand, der andere kopiert die Konkurrenz – und könnte dabei den idealen Zeitpunkt erwischt haben.

Wie Musk Twitter ruiniert

  • Seit Musk im vergangenen Herbst Twitter übernahm, hat er sich mächtig ins Zeug gelegt, um die Plattform in jeder nur möglichen Hinsicht zugrunde zu richten.
  • Die meisten Angestellten sind weg, ein Großteil der Werbekunden ebenfalls. Was bleibt, sind technische Probleme, unbezahlte Rechnungen und ein mäßig erfolgreiches Abomodell, dessen Erkennungszeichen als zuverlässiger Deppenfilter funktioniert.
  • (Damit möchten wir niemanden vor den Kopf stoßen. Es gibt vernünftige und nette Menschen, die freiwillig für Blue bezahlen. Viele sind es nicht.)
  • Am Wochenende folgte der nächste Geniestreich: Musk sperrte Nutzerïnnen ohne Account aus und beschränkte die Zahl der Tweets, die man eingeloggt lesen darf.
  • Zunächst lag das Limit bei 600 Tweets pro Tag, später wurde es auf 800, dann auf 1000 erhöht. Wer für Twitter Blue bezahlt, kann zehnmal so viele Tweets abrufen.
  • Twitter behauptet, das sei nötig, um Spam und Bots zu bekämpfen. Zudem wolle man sich mit den Maßnahmen verhindern, dass Twitter-Daten gescrapt werden, um damit LLMs und andere KI-Modelle zu trainieren (Twitter Business). Ähnlich hatte bereits Reddit die umstrittenen Änderungen an seiner API begründet (#887, #889).
  • Das dürfte höchstens ein Teil der Wahrheit sein. Die Drosselung kommt kurz nach Twitters Weigerung, weiter für Googles Cloud zu bezahlen (Platformer, Bloomberg). Auch der frühere Sicherheitschef Yoel Roth bezweifelt, dass Scraping der einzige Grund für die Entscheidung war (Bluesky).
  • Warum Twitter sich dafür entschieden hat, ist letztlich egal. Was zählt, ist das Ergebnis: Wer vielen Menschen folgt, stößt binnen Minuten an das Leselimit. Für Poweruser ist Twitter damit fast wertlos geworden.
  • Unter normalen Umständen wäre das ein nicht besonders subtiler, aber womöglich effektiver Anreiz, ein Abo abzuschließen. Doch Musk hat sich bei einem Teil der Twitter-Nutzerschaft dermaßen unbeliebt gemacht, dass viele lieber auf kalten Entzug setzen, als dem Multimilliardär Geld zu überweisen.
  • Zu allem Überfluss wird bald auch noch TweetDeck kostenpflichtig. In 30 Tagen können nur noch zahlende Abonnentïnnen auf die mehrspaltige Desktop-Ansicht zugreifen (Twitter Support).
  • Das Tool war nie für die Massen gemacht, für eine Nische aber fast unersetzlich. Wer Twitter professionell nutzt, konnte mit TweetDeck viel Zeit und Nerven sparen. Die Eingliederung in Blue wirkt wie ein verzweifelter Versuch, Unternehmenskunden und Social-Media-Managerinnen davon zu überzeugen, doch bitte endlich zu bezahlen.

Warum Threads zum perfekten Zeitpunkt kommt

  • Im vergangenen November trafen sich Meta-Angestellte, um den Angriff auf Twitter zu planen. Bei dem virtuellen Meeting ging es um Instagram Notes, die erste textzentrierte Funktion der Foto-Plattform, die bis dato in erster Linie visuell funktionierte.
  • Eine Person soll damals in den Chat geschrieben haben (NYT): "Twitter is in crisis and Meta needs its mojo back. LET’S GO FOR THEIR BREAD AND BUTTER."
  • Ein knappes Dreivierteljahr später zeichnet sich ab, wie Meta Twitter die Butter vom Brot nehmen will. Die App sieht aus wie Twitter, funktioniert wie Twitter und heißt sogar wie eines der beliebtesten Twitter-Features: Threads.
  • Die App ist bereits in den App-Stores gelistet (Android, iOS). Die Screenshots erinnern stark an Twitter, auch der kurze Begleittext könnte eine Beschreibung der Konkurrenz sein:

Threads is where communities come together to discuss everything from the topics you care about today to what’ll be trending tomorrow. Whatever it is you’re interested in, you can follow and connect directly with your favorite creators and others who love the same things — or build a loyal following of your own to share your ideas, opinions and creativity with the world.

  • Am morgigen Donnerstag soll es in den USA und Großbritannien losgehen. Wer in der EU wohnt, bleibt vorerst ausgesperrt. Offenbar hat Meta Threads bislang noch nicht ans europäische Datenschutzrecht angepasst (Irish Independent). Ob und wann Threads auch in der EU startet, ist unklar.
  • Doch der wichtigste Markt für Meta ist ohnehin Nordamerika – und dort könnte das Timing nicht besser sein. Mastodon wurde am Wochenende überrollt. Bei anderen Twitter-Alternativen wie Bluesky und Spill versagten gar die Server, Bluesky musste Neuanmeldungen zwischenzeitlich blockieren.
  • Musk hat es also mal wieder geschafft, dass frustrierte Twitter-Nutzerïnnen nach Alternativen suchen. Wenn er das Leselimit aufrechterhält, dürfte das ausgerechnet dem Mann in die Hände spielen, mit dem sich Musk bald zum Cage Fight treffen könnte: Mark Zuckerberg (#889).

Wie Threads den Instagram-Hebel einsetzt

  • Dass Meta nach Stories und Reels mit dem nächsten Klon ums Eck kommt, sollte niemanden überraschen. Threads ist aber nicht nur ein Format, sondern eine eigenständige App.
  • Kyle Bradshaw hat im Quellcode der App einiges Hinweise gefunden, dass Meta die App eng mit Instagram verzahnen möchte (9to5Google). Unter anderem loggt man sich mit dem Instagram-Account ein und kann automatisch allen Menschen auf Threads folgen, denen man bereits auf Insta folgt. Geblockte Accounts werden ebenfalls synchronisiert.
  • Zudem sind die Profile der beiden Apps miteinander verknüpft. Name, Nutzername und Profilfoto werden automatisch zu Threads übertragen und lassen sich nur auf Instagram ändern.
  • Es gibt bereits eine Browser-Version, zu der ein paar tausend Menschen vorab Zugang haben, in erster Linie Meta-Manager und Prominente (The Verge). Mark Zuckerberg und Adam Mosseri haben schon ihre ersten Threads abgesetzt
  • Metas Strategie ist klar: Man möchte den gewaltigen Netzwerk-Effekt von Instagram nutzen. Wenn sich nur ein Prozent der mehr als zwei Milliarden Instagram-Nutzerïnnen auf das neue Angebot einlässt, wäre Threads auf einen Schlag die mit Abstand größte Twitter-Alternative.
  • Gelingt es Meta, 15 Prozent der bestehenden Nutzerschaft von Threads zu überzeugen, hätte Twitter bereits einen Konkurrenten, der sich zahlenmäßig auf Augenhöhe befindet – und finanziell weit besser aufgestellt ist.
  • Zuckerberg scheint es wirklich ernst zu meinen. Anfang Juni berichtete Alex Heath, dass Meta Prominente wie Oprah Winfrey und den Dalai Lama umwerbe (The Verge). Wenn zu Beginn ein paar große Namen auf Threads aktiv sind, könnte das für viele Nutzerïnnen ein entscheidendes Argument sein, die neue App auch mal auszuprobieren.

Was Threads für das Fediverse bedeutet

  • Threads basiert auf dem dezentralen ActivityPub-Protokoll, das die App an Mastodon und das Fediverse anbindet.
  • Bei vielen Mastodon-Nutzerïnnen hat das Vorbehalte und Befürchtungen ausgelöst. Manche sagen, Meta wolle sich nur die Daten von Mastodon einverleiben. Andere befürchten, dass Meta das Protokoll erst vermeintlich unterstützen und dann bewusst zerstören möchte.
  • Wir halten beides für unwahrscheinlich. Womöglich ist die angeblich offene und dezentrale Struktur von Threads nur ein geschickter Marketing-Schachzug (Bloonface):

The key ideas that get thrown around don’t make any sense, business or otherwise, and/or rest upon Mastodon being a far more important and consequential platform than it is. Given that there is, to put it mildly, an information gap, and so much of this is speculative, it’s not entirely clear why “wait and see and then block them if they actually do something bad” – or even “find out what this thing actually even is” is as unconscionable as trailed.

  • Anders als etwa Mastodon hat Meta mit Threads aber natürlich ein kommerzielles Interesse, möglichst viele Daten über seine Nutzerïnnen zu sammeln, um ihnen Anzeigen vorzusetzen, die sie interessieren könnten.
  • In dieser Hinsicht dürfte sich Threads kein bisschen von Facebook und Instagram unterscheiden (Netzpolitik): Der Eintrag in Apples App-Store zeigt 14 Daten-Kategorien, die Threads erfasst und verknüpft (Twitter / Jack Dorsey).

Be smart

Es ist noch zu früh, um sich zu einer Prognose hinreißen zu lassen, ob Threads die App wird, die Twitter zu Fall bringt. Das hat zwei Gründe:

  1. Twitter unterscheidet sich stark von Instagram. Viele Communities sind dort seit mehr als einem Jahrzehnt gewachsen, haben ihre eigene Logik, Rituale und für Außenstehende oft schwer verständliche Ausdrucksweise. Zudem ist Twitter, aller Musk-Willkür zum Trotz, nach wie vor die unangefochten wichtigste Plattform für Breaking-News. Instagram hat sich dagegen der Creator-Economy verschrieben, das Publikum und die Erwartungshaltung sind anders. Für Meta wird es eine Herausforderung, eine App auf der Grundlage des Instagram-Netzwerks zu bauen, die attraktiv für Twitters Kernzielgruppe ist.
  2. Meta hat in den vergangenen Jahren alles kopiert, was nicht bei drei ein Patent angemeldet hatte. Im Fall von Stories (Snapchat) und Reels (TikTok) hat das gut funktioniert. Naturgemäß erinnert man sich eher an die Erfolge als an die Flops – und von denen gab es wahrlich genug. Slingshot (Vorbild: Snapchat), Facebook Paper (Google News), Notify (Apple News) Facebook Dating (Tinder) und IGTV (YouTube) sind nur einige Beispiele für gescheiterte Kopien. Meta wirft gern Spaghetti an die Wand und schaut, was kleben bleibt – ob Threads sich dort hält, wissen wir nicht.
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