Facebook schaltet Gesichtserkennung ab – oder doch nicht?

Was ist

  • Der erste Satz des Blogeintrags im Meta-Newsroom klingt eindeutig: "In the coming weeks, Meta will shut down the Face Recognition system on Facebook as part of a company-wide move to limit the use of facial recognition in our products." Das schreibt Jerome Pesenti, bei Meta für AI zuständig.
  • Die meisten Medien übernahmen dieses Framing, wohl auch weil Nachrichtenagenturen dem Thema am Dienstagabend einen entsprechenden Spin mitgaben. Inhaltlich ist das sachlich auch gar nicht falsch: Tatsächlich stoppt Facebook nach elf Jahren die automatisierte Gesichtserkennung auf der Plattform. Zudem werden rückwirkend mehr als eine Milliarde Datensätze gelöscht.

Nur ein PR-Stunt?

  • Trotzdem hat Sebastian Meineck einen Punkt, wenn er unter dem Titel "Facebook arbeitet weiter an Gesichtserkennung" bei Netzpolitik kommentiert: "Jetzt ist Meta ein PR-Stunt gelungen, und fast alle Nachrichtenmedien machen mit."
  • Denn Facebook verabschiedet sich nicht komplett von der Technologie und will für bestimmte Szenarien daran festhalten, etwa beim lokalen Einsatz auf einem Smartphone oder anderen Geräten. Der Algorithmus namens DeepFace soll weiterentwickelt werden.

Definitiv ein Symbolträchtiger Schritt

  • Trotzdem sind wir nicht ganz so kritisch wie Sebastian und halten es tatsächlich für einen überfälligen, wichtigen und symbolträchtigen Schritt. "This change will represent one of the largest shifts in facial recognition usage in the technology’s history", schreibt Meta, und das stimmt.

Warum das wichtig ist

Be smart

  • Man kann Facebook dafür kritisieren, Jahre zu spät und erst auf massiven öffentlichen und regulatorischen Druck hin gehandelt zu haben. Mit Sicherheit spielte auch ein Verfahren in Illinois eine Rolle, das mit einer Vergleichszahlung von 650 Millionen Dollar endete. Facebook soll die automatische Tagging-Funktion ohne Einverständnis der Nutzerïnnen aktiviert haben.
  • Dennoch bleibt am Ende stehen: Nach Amazon, Microsoft und IBM setzt auch Facebook ein wichtiges Zeichen. Das lobt auch Adam Schwartz (EFF), Anwalt der Electronic Frontier Foundation, die nun wirklich nicht dafür bekannt ist, mit Facebook zu kuscheln: "Facebook getting out of the face recognition business is a pivotal moment in the growing national discomfort with this technology."
  • Eine wichtige Einschränkung gibt es aber, auf die Rebecca Heilweil aufmerksam macht (Recode):

While Meta says that facial recognition isn’t a feature on Instagram and its Portal devices, the company’s new commitment doesn’t apply to its metaverse products, Meta spokesperson Jason Grosse told Recode. In fact, Meta is already exploring ways to incorporate biometrics into its emerging metaverse business, which aims to build a virtual, internet-based simulation where people can interact as avatars. Meta is also keeping DeepFace, the sophisticated algorithm that powers its photo-tagging facial recognition feature.


TikTok, Tourette und Tics: Es ist kompliziert

Was ist

  • Seit einigen Wochen wird aufgeregt über einen Artikel des WSJ diskutiert, der einen Zusammenhang zwischen TikTok-Videos über das Tourette-Syndrom und der Zunahme von Tics bei Mädchen nahelegte.
  • Der Text selbst ist differenzierter als die Überschrift ("Teen Girls Are Developing Tics. Doctors Say TikTok Could Be a Factor"), unter anderem findet sich darin diese Aussage eines Psychiaters: "There are some kids who watch social media and develop tics and some who don’t have any access to social media and develop tics. I think there are a lot of contributing factors, including anxiety, depression and stress."
  • Trotzdem folgten viele reißerische Schlagzeilen, auch deutsche Medien stellten ohne große Recherche nicht nur eine Korrelation, sondern gleich eine Kausalität her.

Es ist komplex

  • Wir kennen uns nicht mit dem Tourette-Syndrom aus, haben die Studien zu diesem Thema nur oberflächlich gelesen und behaupten garantiert nicht, die endgültige Wahrheit zu kennen. Aber wir werden immer misstrauisch, wenn soziale Medien allzu schnell als alleinige Erklärung für ein bestimmtes Phänomen herhalten müssen.

Be smart

  • Da uns dieses Thema mittlerweile mehrfach begegnet ist, verweisen wir an dieser Stelle auf die Faktenchecker von Snopes, die viele Hintergrundinformationen liefern und medizinische Begriffe erklären.
  • Außerdem empfehlen wir die ausführliche Analyse von Matthias Kreienbrink (Spiegel), der zwar auch kein abschließendes Urteil fällt, aber mit dem ermutigenden Zitat einer Psychiaterin endet: "Das Phänomen wird wieder abflauen – und hoffentlich schneller, wenn darüber in der Öffentlichkeit und nicht nur in Fachkreisen berichtet wird."

Presseprivileg auf Plattformen: Gut gemeint, aber bitte nicht

Was ist

  • Viele Verlage wollen im geplanten Digital Services Act der EU eine Ausnahme für Medien verankert sehen. Plattformen wie Facebook, YouTube und TikTok sollen journalistische Inhalte nur dann löschen oder drosseln dürfen, wenn sie eindeutig gegen Gesetze verstoßen.

Was war

  • Das klingt erst mal nachvollziehbar: In der Vergangenheit wurden immer wieder fälschlicherweise legitime Inhalte gesperrt oder ganze Apps verbannt.
  • Etwa das berühmte Foto des "Napalm Girl" (SZ), das die norwegische Zeitung Aftenposten auf Facebook teilte, oder die App der Titanic, die wegen angeblicher Pornografie und Blasphemie zwischenzeitlich aus dem Google Play Store geworfen wurde.

Yes but:

  • Doch leider ist es nicht so einfach, wie Alexander Fanta deutlich macht (Netzpolitik). Er verweist auf die unserer Meinung nach berechtigten Einwände von Organisationen und Expertïnnen, die sich mit Desinformation beschäftigen.

Be smart

  • Das Problem: Die zugrundeliegende Definition für Presseverlage und audiovisuelle Mediendienste ist vage, und es ist unklar, wer am Ende alles dazu zählte. Das könnte dazu führen, dass zweifelhafte Akteure weitgehende Immunität genießen, weil Plattform nicht eingreifen dürfen.
  • Unter anderem warnt Julian Jaursch von der Stiftung Neue Verantwortung: "Es geht hier also um die Balance zwischen dem völlig berechtigten Hinweis, dass Plattformen nicht alles alleine entscheiden und durchsetzen können sollen, und der Gefahr, dass diese gute Absicht dadurch zunichtegemacht wird, dass am Ende ein Freifahrtschein für jegliche 'Medien' dabei rauskommt."
  • Auch die EU-Kommission sieht "potenziell negative Folgen für die Arbeit gegen Desinformation", und Věra Jourová, Vizepräsidentin der EU-Kommission, sagt gar (Euractiv): "Für mich ist das eine Kiste guter Absichten, die direkt in die Hölle führt."

Metaverse-Boom


Follow the money

  • Zoom testet Werbung: Du bist das Produkt! Was für die kostenlosen Social-Media-Anwendungen gilt, könnte demnächst auch bei Zoom gelten: Zoom is testing showing ads to free users (The Verge)
  • Hier kommt Pinterest TV: Mit Live und „shoppable creator shows“ wagt Pinterest erste Schritte in Sachen Live-Shopping. Ab dem 8. November sollen in den USA täglich neue Shows in der App ausgestrahlt werden. Das Unternehmen frohlockt mit einigen bekannten Pinterest-Nutzerïnnen und reichlich Rabatten.
  • Live Shopping wirkt: Dass Tele- bzw. Live-Shopping in Social-Media-Apps funktioniert, zeigt der erste Tag des jährlichen Shopping Festivals der Alibaba-Gruppe in China. Dort hat es ein Influencer geschafft, für Vorbestellungen im Wert von 2 Milliarden Dollar an einem Tag (BNN Bloomberg) zu sorgen. Aber wer könnte Lipstick Brother auch widerstehen…
  • Walmart will es wissen: Ist ja nur logisch, dass Traditionsunternehmen wie Walmart nun ebenfalls prüfen, was mit Live-Social-Shopping möglich ist: Walmart partners with livestream platform Buywith on influencer shopping (Glossy)

Creator Economy

  • Super Follows jetzt für alle verfügbar: Bislang kann zwar weiterhin nur ein ausgewählter Kreis an Twitter-Nutzerïnnen die Super-Follow-Funktionen freischalten. Aber immerhin können jetzt alle Nutzerïnnen Super-Follower werden (The Verge). Was es mit den Super Follows auf sich hat, haben wir u.a. in Ausgabe #706 beschrieben.
  • Spotify will mehr Interaktivität: Bislang war die Spotify-Nutzung ja eine ziemlich einseitige Angelegenheit: Künstlerïnnen stellen ihre Musik / Podcasts zur Verfügung, Nutzerïnnen lauschen andächtig. Eigentlich richtig old school. Das soll sich nun ändern: Spotify plant interaktive Features wie Video, Umfragen, Live-Social-Audio-Events und Q&A-Funktionen (Axios). Wirklich spannend, wie immer mehr Unternehmen, die nicht von Haus aus eine Social-Media-App sind, „Social“ integrieren. Wir werden davon 2022 noch sehr viel mehr sehen.
  • TikTok testet Tipping-Funktionalitäten: Derzeit können nur Personen mit 100.000 oder mehr Followern am Test teilnehmen. Bei Live-Streams akzeptiert das Unternehmen finanzielle Zuwendungen ja schon länger. TikTok is testing a new direct tipping feature with select creators (Techcrunch)

Video / Audio Boom


Schon einmal im Briefing davon gehört

  • Facebook-Boycott vom 10. bis 13. November: Mit Blick auf das geringe Interesse regulärer Nutzerïnnen dürfte der für die USA geplante Facebook-Boycott, der unter dem Namen thefacebooklogout firmiert, daher auch nicht auf all zu großes Echo stoßen (USA Today).
  • Snap feiert 100 Millionen Nutzerïnnen in Indien: Für Snapchat ist Indien ja schon länger der wichtigste Markt hinter den USA. Nun feiert das Unternehmen dort 100 Millionen Nutzerïnnen (Economic Times). Ein Grund für die große Popularität von Snapchat in Indien dürfte das dortige TikTok-Verbot (Nikkei Asia) sein.
  • Netflix macht jetzt auch Gaming: Der Videostreaming-Dienst steigt ins Gaming-Geschäft ein (Netflix Newsroom). Zum Start gibt es fünf Spiele für Google Android – unter anderem Stranger Things: 1984 und Stranger Things 3: The Game.

Neue Features bei den Plattformen

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Header-Foto von Osman Rana