WhatsApp-Nutzungsbedingungen: Keine Panik, trotzdem wechseln
Was ist (mit Augenzwinkern)
Da haben wir ja etwas angerichtet! In Briefing #693 schrieben wir vergangene Woche:
Wir empfehlen seit Jahren Signal und Threema als sichere und datensparsame Lösungen. (…) Wer WhatsApp und den Facebook Messenger mit iMessage oder Signal vergleicht, könnte ins Grübeln kommen, ob es sich nicht vielleicht doch lohnt, ein bisschen Überzeugungsarbeit zu leisten, um mit dem Familienchat umzuziehen.
Seitdem wird Signal überrannt. Erst machten kurzzeitig die Server schlapp, dann schoss die App auf Platz eins der internationalen und deutschen (alle Twitter) Download-Charts für Gratis-Apps. Auch Threema wurde wie wild heruntergeladen: "In den App-Stores in Deutschland, Schweiz und Österreich ist Threema aauf Platz eins der App-Charts der Bezahl-Apps", sagt ein Sprecher.
Okay, womöglich sind wir nicht allein dafür verantwortlich:
- Vielleicht spielt es auch eine Rolle, dass WhatsApp seine Nutzerïnnen mit einem verwirrenden Pop-up auf neue Nutzungsbedingungen einstellt.
- Es könnte auch sein, dass das Deplatforming eines nicht ganz unbedeutenden Politiker dazu beiträgt, dass Millionen Menschen sich jetzt nach neuen Netzwerken und Messengern umsehen.
- Unter Umständen hat auch Elon Musk dazu beigetragen, der seinen 40 Millionen Twitter-Followern vergangene Woche empfahl: "Use Signal" – woraufhin nicht nur die Signal-Downloads durch die Decke gingen, sondern auch der Aktienkurs der börsennotierten Firma Signal Advance (CNBC), das rein gar nichts mit der Signal Foundation zu tun hat, die unter anderem von WhatsApp-Gründer Brian Acton getragen wird (Wired), der sein Unternehmen im Konflikt mit Mark Zuckerberg verließ.
Eventuell waren diese Ereignisse noch entscheidender als unser Ratschlag. Aber ganz sicher sind wir nicht.
Was ist (spaßbefreit)
Seit einer Woche dreht das halbe Netz durch – und zwar nicht (nur) wegen Donald Trump, sondern auch wegen den neuen Nutzungsbedingungen von WhatsApp. Wer nicht bis zum 8. Februar zustimmt, kann nicht mehr chatten.
Gerüchte und Panikmache machen die Runde: WhatsApp wolle die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung aufweichen. Facebook könne bald nicht nur auf Metadaten, sondern auch auf die Inhalte der Nachrichten zugreifen. Nutzerïnnen teilen wilde Memes und verkünden stolz, dass sie ihren WhatsApp-Account gelöscht haben. Fehlt nur noch, dass sie Bilder teilen, um den neuen AGB zu widersprechen – erinnert sich noch jemand (SZ)?
Was dahintersteckt
Tatsächlich informiert WhatsApp per Pop-up über neue Nutzungsbedingungen. Die Änderungen sind allerdings deutlich weniger gravierend, als viele befürchten. Vor allem für Menschen innerhalb der EU ändert sich fast nichts.
Tatsächlich ergänzt WhatsApp nur Informationen, auf welcher Rechtsgrundlage es Daten verarbeitet, und überarbeitet einige Passagen zur Kommunikation mit Unternehmen. Meike Laaff und Lisa Hegemann haben die Änderungen sehr ausführlich analysiert und schlussfolgern:
Was man sagen kann: So viel Neues enthalten die Datenschutzbedingungen nicht. Es entsteht allerdings nicht der Eindruck, als habe WhatsApp großes Interesse daran, Nutzerinnen und Nutzern einfach und verständlich zu erklären, was mit ihren Daten passiert.
Das trifft es gut. Zu der gewohnt technokratischen Sprache, in der solche juristischen Erklärungen verfasst werden, kommt ein Wirrwarr aus Datenschutzerklärung, Nutzungsbedingungen, FAQs und diversen Unterseiten, die es zu allem Überfluss doppelt gibt: für Menschen in der EU und für Nutzerïnnen im Rest der Welt. Allerdings stehen auch die globalen Regeln auf Deutsch zur Verfügung. Verwirrt? Wir auch.
Zwar sagt der Datenschützer Johannes Caspar (Tagesspiegel), auf Basis der Datenschutzrichtlinie dürften WhatsApp-Daten "innerhalb des Konzerns weitgehend unbeschränkt weitergegeben werden". Aus unserer Sicht geht das jedoch weder aus der alten noch aus der neuen Richtlinie hervor.
Wie WhatsApp und Facebook reagieren
Wenn die Download-Zahlen der Konkurrenz steigen, während WhatsApp seltener heruntergeladen wird, muss natürlich gegengesteuert werden. Binnen weniger Tage meldeten sich WhatsApp-Chef Will Cathcart, WhatsApp Policy-Chefin Niamh Sweeney, Instagram-Chef Adam Mosseri und Facebook Hardware-Chef Andrew Bosworth (alle Twitter), um eilig ein paar Dinge geradezurücken.
Auch WhatsApp selbst teilte eine Infografik (Twitter) und veröffentlichte ein Q&A, um die neue Privacy Policy zu erklären. In Indien, dem wichtigsten Markt für WhatsApp, wo gleichzeitig der Aufschrei am lautesten war, schaltete Facebook ganzseitige Anzeigen in großen Zeitungen. Und nachdem sich Facebook offenbar für viel Geld eine Platzierung in Apples App-Store kaufte, ließ Signal mit kaum verhohlener Schadenfreude wissen (Twitter):
Facebook is probably more comfortable selling ads than buying them, but they'll do what they have to do in order to be the top result when some people search for 'Signal' in the App Store.
P.S. There will never be ads in Signal, because your data belongs in your hands not ours.
Wie wir die Änderungen beurteilen
- Für Menschen in der EU ändert sich wenig. Wer sich nicht daran stört, dass WhatsApp bestimmte Daten mit Facebook teilt, um Spam und Missbrauch zu verhindern, kann den Dienst weiter nutzen.
- 2016 konnte man kurzzeitig der Datenweitergabe komplett widersprechen. Diesen Opt-out berücksichtigt WhatsApp angeblich nach wie vor – und auch über den 8. Februar hinaus.
- In der europäischen Region dienen die Daten nicht dazu, Facebook-Produkte zu verbessern oder Anzeigen zu personalisieren, verspricht WhatsApp.
- Es gibt natürlich ein Aber: Nach der Facebook-Übernahme hieß es ursprünglich auch, dass WhatsApp komplett autonom bleibe. Dieses Versprechen wurde bekanntlich gebrochen. Es braucht keinen Aluhut, um sich zumindest Gedanken zu machen, wie lang die Werbe-Firewall noch hält.
- Zumindest gibt es die DSGVO und eine Menge Datenschützerïnnen, die genau hinsehen, was WhatsApp und Facebook machen. Allerdings hat sich Facebook auch in der Vergangenheit nicht immer darum geschert, was Datenschützerïnnen sagen.
- Auch international steht die Aufregung in keinem Verhältnis zum Anlass. WhatsApp verabschiedet sich nicht von der E2EE, sondern setzt Änderungen für die Kommunikation mit Unternehmen um (The Verge), die es bereits im Oktober angekündigt hatte (WhatsApp-Blog).
- Die Empörung dürfte eher darauf zurückzuführen sein, dass sich viele Menschen erstmals bewusst werden, dass WhatsApp zu Facebook gehört und Daten mit dem großen blauen Bruder austauscht.
Be smart
Wir bleiben bei unseren Empfehlungen: Signal und Threema. Beide sind sicher und datenschutzfreundlich. Was bleibt, ist das Problem des Netzwerkeffekts. Der tollste Krypto-Messenger nutzt wenig, wenn man sich dort mit niemandem unterhalten kann.
Die Kommunikation im Fußballverein? WhatsApp! Die Kommunikation mit anderen Eltern schulpflichtiger Kinder? WhatsApp! Der Familienchat? WhatsApp! Deshalb kann es sein, dass ein Teil der Menschen, die jetzt ihren WhatsApp-Ausstieg verkünden, schon bald wieder zurückkehren:
"No privacy here. I'm leaving"
"You back?"
"No people there. Just privacy"
Wir hoffen, dass die Entwicklung diesmal nachhaltiger ist. Und auch, wenn ein Wechsel Aufwand bedeutet, wie Andreas Wilkens schön beschreibt (Heise), gibt es Anzeichen, die uns glauben lassen, dass sich die Messengerwelt diversifizieren könnte. Ich habe kürzlich über das Thema geschrieben (SZ) und endete mit diesem Satz:
Jetzt wäre also ein guter Zeitpunkt, sich eine neue Heimat für den Familienchat zu suchen.
Seitdem haben sich knapp zwei Dutzend Menschen per Mail gemeldet, die offenbar genau das gemacht haben. Ein guter Anfang.
Social Media & Politik
Social-Media-Strategie von Merz, Laschet und Röttgen
Der wunderbare Andreas Rickmann war viele Jahre lang Director Growth / Social Media bei BILD. Jetzt arbeitet er als selbstständiger Berater. Zum Start ins neue Jahr hat er sich die Social-Media-Strategien von Friedrich Merz, Armin Laschet und Nortbert Röttgen einmal genauer angeschaut. In seinem lesenswerten Beitrag bei LinkedIn steckt viel drin. Wir erlauben uns an dieser Stelle, seine fünf Learnings abzubilden:
- Wer heute sichtbar sein will, braucht mehr als sich selbst. Sondern eine Community, die ein Multiplikator für die eigenen Botschaften ist.
- Es lohnt sich, nicht immer nur in den vorgegebenen Formaten und Wegen zu gehen, sondern auch azyklisch zu handeln. Die Status-Beiträge mit hohem Engagement gegen alle „Regeln“ sind der beste Beweis.
- Persönliche Geschichten erzeugen Nähe. Wer es schafft, seinen Auftritt mit den passenden persönlichen (nicht privaten) und menschlichen Geschichten zu flankieren, schafft ein Gefühl, das mit keiner politischen Botschaft erzeugt werden kann.
- Es kommt nicht immer darauf an, möglichst viel Engagement zu zählen, sondern seinen Account auch dafür zu nutzen, den Menschen das richtige Gefühl zu geben und sich inhaltlich jenseits von algorithmusgetriebenen Inhalten zu positionieren.
- Facebook wird derzeit wenig gehyped, bleibt in bestimmten Zielgruppen aber nach wie vor relevant. Instagram lässt mit seinen Funktionen mehr Kreativität zu, was sich in den Engagement-Rates zeigt: Das durchschnittliche Engagement der drei Kandidaten bei Instagram in den letzten 12 Monaten betrug 4,98 Prozent. Das Facebook-Engagement betrug 2,89 Prozent.
Was Facebook mit Blick auf den Tag der Amtseinführung unternimmt
Während sich die Nationalgarde im Capitol in Stellung bringt, erklärt Facebook, wie sie sich auf den Tag der Amtseinführung Bidens vorbereiten. Unter anderem geht Facebook weiter gegen "Stop the Steal" vor: Zum einen entfernt Facebook Posts, die mit der „Stop the Steal“-Bewegung zu tun haben (Techcrunch). Zum anderen hat Facebook den Kopf der Bewegung von der Plattform geschmissen (Politico).
YouTube sperrt auch Trump
Nun hat also auch YouTube die Reißleine gezogen und Trumps Konto für mindestens 7 Tage eingefroren:
After careful review, and in light of concerns about the ongoing potential for violence, we removed new content uploaded to the Donald J. Trump channel and issued a strike for violating our policies for inciting violence. As a result, in accordance with our long-standing strikes system, the channel is now prevented from uploading new videos or livestreams for a minimum of seven days—which may be extended.
Datenschutz-Department
Das Problem mit Apples Privacy Labels
Die neuen Privacy-Labels in Apples Appstore sind an sich eine prima Idee: sie geben Nutzerïnnen direkt ein Gefühl dafür, welche Daten die Apps über sie sammeln. Allerdings gibt es einen dicken Haken an der Sache: Die Angaben werden von den App-Herstellern selbst gemacht. Es gibt bei Apple keine Instanz, die die Angaben genau überprüft, berichtet Fast Company. 🤔
TikTok rollt neue Datenschutzfunktionen für U18-Nutzerïnnen aus
Um Jugendliche besser zu schützen, verkündet TikTok eine Reihe neuer Datenschutzfunktionen. Unter anderem werden die Konten von TikTok-Nutzerïnnen zwischen 13 und 15 Jahren per Voreinstellung auf „privat” gesetzt. Auch können Videos von Nutzerïnnen aus dieser Altersgruppe nicht mehr heruntergeladen werden. Zudem werden die Duett- und Stitch-Einstellungen in der Form geändert, dass diese Funktionen nur für Inhalte verfügbar sind, die von Nutzerïnnen ab 16 Jahren erstellt wurden.
Social Media & Journalismus
Pew Studie: News Use Across Social Media Platforms in 2020
Mehr als die Hälfte der Amerikaner gibt an, News über Social-Media-Plattformen zumindest manchmal zu erhalten. 36 Prozent erhalten News via Facebook. Auf den weiteren Plätzen folgen: YouTube (23 Prozent), Twitter (15), Instagram (11), Reddit (6), Snapchat (4), LinkedIn (4), TikTok (3) und WhatsApp (3). Obwohl immer mehr Menschen News via Social Media erhalten, erwarten sie allerdings nicht, dass die News auch wahr sind. So traurig das auf den ersten Blick auch wirken mag: Digital literacy here we come!
Von 0 auf 50k Abonnenten
Der Bayerische Rundfunk hat vor neun Monaten das YouTube-Format "Lohnt sich das?" gestartet. In einem Artikel bei Medium erzählen die Macher, wie sie es geschafft haben, von 0 auf 50.000 Abonnentïnnen zu kommen. Die fünf wichtigsten Schlussfolgerungen lauten:
- Lieber alltäglich als spektakulär
- Das Publikum setzt Themen
- Dialog mit dem Publikum
- Wir sind schnell
- Wir sind niemals fertig
Empfehlungen fürs Wochenende
Die andere Seite der Passion Economy
Mit dem Begriff Passion Economy (brand eins) wird der Trend beschrieben, dass immer mehr Kreative den Sprung in die Unabhängigkeit wagen. Über Plattformen wie Patreon oder OnlyFans versuchen sie, zahlende Fans für sich zu gewinnen. Für einige wenige klappt das auch ganz hervorragend. Auch wir beim Social Media Watchblog befinden uns in solch einer privilegierten Situation. Für viele ist der Begriff Passion Economy aber nichts weiter als Hohn. Viele, die sich jetzt auf diese Plattformen wagen, gehen diesen Schritt aus purer Verzweiflung – etwa weil sie aufgrund der Pandemie ihren Job verloren haben. Die New York Times beschreibt diese andere Seite der Passion Economy sehr eindrücklich: Jobless, Selling Nudes Online and Still Struggling.
Neues von den Plattformen
- LinkedIn Stories können jetzt auch „Swipe up“ (Social Media Today). Allerdings gibt es wie bei Stories üblich ein paar Voraussetzungen, um das „Swipe up“ einsetzen zu dürfen: es muss sich um eine Company-Page handeln, User müssen mindestens 5000 Verbindungen vorweisen, der Folge-Button muss als primäre Profil-Aktion Verwendung finden.
Steady
- Newsletter-Versand: Über die Berliner Plattform Steady können jetzt auch Newsletter verschickt werden. Damit entwickelt sich der Dienst, über den wir und viele weitere Indie-Publikationen aus Deutschland (Übermedien, Krautreporter, Postillon, etc.) Abos verkaufen, zu einer echten Alternative zu Substack. Wir werden in den kommenden Tagen das Thema noch ausführlicher bei uns besprechen.
Header-Foto von Roan Lavery bei Unsplash
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