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Wie sich das Silicon Valley auf die US-Wahl vorbereitet

Was ist

Wenige Tage vor der US-Wahl befragt der US-Senat Mark Zuckerberg, Jack Dorsey und Sundar Pichai zu Section 230. Ihre Statements wurden bereits vorher bekannt (Protocol), die Anhörung war bei Redaktionsschluss noch nicht beendet. Das macht nichts: Die Vorladung ist eine Scheindebatte, die den Republikanern mal wieder dazu dient (BBC), die Mär vom vermeintlich anti-konservativen Bias des Silicon Valley zu verbreiten.

Tatsächlich ist (Politico) eher das Gegenteil (Netzpolitik) der Fall (Washington Post). Wir sparen uns also tiefergehende Analysen und verweisen auf den neuen Newsletter (Abo-Empfehlung) von Zeynep Tufekci, die in der zweiten Ausgabe die grundlegenden Probleme der Tech-Hearings aufzeigt (Substack).

Stattdessen wollen wir zusammenfassen, wie sich die großen Social-Media-Plattformen auf die kommenden Tage und Wochen vorbereiten. Sie wollen verhindern, dass sich wiederholt, was 2016 geschah. Das ist eine große Herausforderung, die selbst Milliardenkonzerne an ihre Grenzen bringen dürfte.

Ausnahmsweise stimmen wir Zuckerberg voll und ganz zu, der bereits im September schrieb (Facebook):

This election is not going to be business as usual. We all have a responsibility to protect our democracy. That means helping people register and vote, clearing up confusion about how this election will work, and taking steps to reduce the chances of violence and unrest.

Mit diesen Schritten versuchen die Plattformen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden:

Facebook (samt einer Vorbemerkung zu Instagram)

Der Facebook-Newsroom quillt seit Monaten über vor Ankündigungen, die erklären, wie das Unternehmen die Wahl absichern will. Die Anzahl der Einträge im Instagram-Newsroom, die seit Beginn des Jahres die Wahl auch nur erwähnt haben: 0.

Im Dezember 2019 gab es ein kurzes Update zu Desinformation, im Juli erklärte Adam Mosseri, wie Instagram seine schwarze Community schützen und stärken will. Lediglich auf Instagram Business, dem Portal für Unternehmenskunden, findet sich ein aktueller Hinweis zum Umgang mit sogenannten Social Issue Ads. Davon abgesehen scheint Instagram ein komplett unpolitischer Raum zu sein.

Die Realität sieht natürlich anders aus. Instagram ist für jüngere Menschen für die politische Meinungsbildung längst wichtiger als Facebook. Demokraten und Republikaner spannen gezielt Insta-Influencerïnnen (Vox) für ihren Wahlkampf ein, die Plattform ist durch und durch politisiert. Auch QAnon hat es nicht zuletzt durch Instagram geschafft, sehr viel größere Teile der Gesellschaft zu erreichen (YouTube).

Doch während Facebook fast täglich neue Schlagzeilen generiert, scheint Instagram medial unter dem Radar zu fliegen. Unsere Vermutung: Die meisten Branchenbeobachterïnnen sind eher auf Facebook zu Hause und kennen sich damit besser aus.

So entsteht zumindest in der Berichterstattung großer Medien ein blinder Fleck, der einer Plattform mit mehr als einer Milliarde Nutzerïnnen nicht gerecht wird – und Facebook scheint das, wenn man den Inhalt der Newsrooms vergleicht, durchaus gelegen zu kommen. Zumindest wird in den meisten der folgenden Ankündigungen irgendwo am Rande erwähnt, dass die Maßnahmen auch für Instagram gelten:

  • Anfang Oktober beschrieb Guy Rosen eine Reihe von Schritten (Facebook-Newsroom), mit denen sich Facebook auf die Wahl vorbereitet. Unter anderem lanciert Facebook das "Elections Operations Center", in dem spezialisierte Teams daran arbeiten, Missbrauch und Manipulationsversuche zu verhindern.
  • Parallel tritt ein "Viral Content Review System" in Kraft, das Facebook- und Instagram-Postings markiert, die viral gehen könnten – damit Mitarbeiterïnnen schneller eingreifen können, falls es sich um Desinformation handelt.
  • Falls sich Parteien oder Kandidaten zum Sieger erklären, bevor das Ergebnis feststeht, wird Facebook einen Warnhinweis einblenden, dass die Stimmen immer noch ausgezählt werden.
  • Andersherum werden Facebook und Instagram an prominenter Stelle im Newsfeed darauf hinweisen, dass es sehr wohl ein Ergebnis gibt, sollte der Gegenkandidat seine Niederlage nicht anerkennen.
  • Alle Beiträge, die das Vertrauen in die Wahl untergraben, indem etwa die Legitimität der Briefwahl angezweifelt wird, werden mit einem Hinweis versehen, der auf das Voting Information Center verweist, wo Facebook detaillierte Informationen bereitstellt.
  • Bereits einen Monat vor Rosens Blogeintrag hatte Zuckerberg verkündet, in der Woche vor der Wahl keine politische Werbung zuzulassen. Das betrifft nicht nur Anzeigen, sondern auch normale Postings (Axios), für die über den Ad Manager zusätzliche Reichweite gekauft wird.
  • Dieses Verbot gilt nun auch für den Zeitraum nach der Stimmabgabe, und zwar so lange, bis Facebook es für geboten hält, die Maßnahme wieder rückgängig zu machen.
  • Neben den Anti-Desinformations-Maßnahmen gewährt Facebook Angestellten bezahlten Urlaub (Axios), damit sie helfen können, Stimmen auszuzählen.
  • Im Facebook-Newsfeed, auf Instagram und im Messenger blendet Facebook Aufforderungen ein, sich online für die Wahl zu registrieren. Dieser Get-out-the-Vote-Initiative sollen knapp 4,5 Millionen Menschen gefolgt sein (USA Today).
  • Das zeigt erneut, welch enorme Verantwortung die Plattformen haben: Theoretisch könnte Facebook die Hinweise ja auch nur Nutzerïnnen anzeigen, die in ihrem Profil eine bestimmte Parteipräferenz vermerkt haben oder deren Interessen auf politische Vorlieben hindeuten. Die Öffentlichkeit bekäme nichts davon mit, der Wahlausgang würde aber massiv beeinflusst.

Zu all diesen Maßnahmen, die sich auf die Richtlinien der Plattform auswirken, kommen interne Planspiele, auf die wir bereits in der vergangenen Ausgabe #678 hinwiesen:

  • Im August berichteten FT und New York Times, Facebook bereite sich auf Dutzende Szenarien vor, von Hacks über Wahlbetrug bis zu zivilen Unruhen und Gewalt.
  • Am Dienstag beschrieb das Wall Street Journal weitere Notfallmaßnahmen. Unter anderem könnten der Algorithmus des Newsfeed geändert und virale Postings gedrosselt werden. Außerdem soll Facebook erwägen, die Schwelle zu senken, bei der Inhalte automatisiert gelöscht werden.

Google / YouTube

  • Im Gegensatz zu Facebook hat Google das Microtargeting für politische Anzeigen schon seit vergangenem Jahr (Google-Blog) stark eingeschränkt. Zusätzlich wird die Plattform keine Wahlwerbung erlauben, nachdem die Wahllokale am 3. November schließen.
  • Das soll verhindern, dass sich Kandidaten vorzeitig zum Sieger erklären, während noch Stimmen ausgezählt werden, und diese Botschaft einem Millionenpublikum unterjubeln.
  • Axios berichtete bereits vor gut einem Monat über diesen Schritt, die Washington Post griff das Verbot am Dienstag erneut auf, wohl weil Google einen neuen Blogeintrag dazu veröffentlichte.
  • Darin verkündet Google eine Reihe weiterer Maßnahmen, unter anderem eine Kooperation mit der Nachrichtenagentur AP, um direkt in der Suche zuverlässige Informationen über den Verlauf der Auszählung und das Wahlergebnis anzuzeigen.
  • Bereits im August hatte Google begonnen, in der Suche ausführliche Erklärungen einzublenden, wie man sich für Wahl registrieren kann.
  • Am selben Tag im August fasste YouTube zusammen, wie es zu einer Anlaufstelle für verlässliche Informationen rund um die Wahl werden will. Unter anderem tauchen in den Suchergebnissen und unter Videos Information Panels und Hinweise auf Faktenchecks auf.
  • Seit September werden unter entsprechenden Videos Informationen zur Briefwahl (YouTube-Blog) angezeigt, um Desinformation und Verunsicherung zu verhindern.
  • Am Dienstag kündigte YouTube an, Nutzerïnnen bei entsprechenden Suchbegriffen ein Dashboard einzublenden, das den aktuellen Stand der Auszählung enthält und auf das erwähnte Google-Widget in Kooperation mit der AP verweist.

Twitter

  • Bereits im September verkündete Twitter eine ganze Palette von Maßnahmen (Twitter-Blog), die Patrick Beuth treffend so zusammenfasste (Spiegel): "Twitters neue Regeln klingen, als ob im November bürgerkriegsähnliche Zustände in den USA ein durchaus zu erwartender Zustand wären."
  • Tatsächlich sind die Maßnahmen weitreichend, aber je näher die Wahl rückt, desto klarer wird, dass die Sorge durchaus berechtigt sein könnte.
  • Unter anderem löscht, markiert oder drosselt Twitter Tweets, die voreilig einen Sieger verkünden, Falschbehauptungen über den Wahlprozess enthalten oder nicht verifizierte Aussagen über angeblichen Wahlbetrug machen.
  • Das gilt ausdrücklich auch für Tweets der beiden Kandidaten – was Trump am Montag feststellen durfte, als Twitter einen seiner Tweets als irreführend kennzeichnete (Axios).
  • Im Oktober folgten weitere Maßnahmen (Twitter-Blog), die darauf abzielen, die virale Verbreitung von Desinformation zu verlangsamen.
  • Statt Tweets mit einem Klick weiterverbreiten zu können, werden Nutzerïnnen etwa aufgefordert, einen eigenen Kommentar hinzuzufügen.
  • "Für eine Plattform, die davon lebt, dass Nutzerïnnen Inhalte schnell und einfach teilen können, ist das eine bemerkenswerte Entscheidung", schrieben wir in Ausgabe #676.
  • Außerdem blendet Twitter zusätzliche Warnungen und Erklärungen bei Tweets zu bestimmten Themen ein, schraubt an seinem Algorithmus, entfernt "Liked by"-Empfehlungen von Menschen, denen man nicht folgt, und erklärt Trending-Topics künftig besser.
  • Anfang der Woche ging Twitter noch einen Schritt weiter: US-Nutzerïnnen sehen nun sogenannte "Pre-Bunks" (NBC), also vorzeitige Debunkings, in ihren Timelines.
  • Diese Hinweise sind keine Reaktion auf bestimmte Tweets. Twitter blendet sie ohne Anlass ein und teilt etwa mit: "Election experts confirm that voting by mail is safe and secure, even with an increase in mail-in ballots."
  • Diese Maßnahme zeigt, wie real die Furcht vor einer Gesellschaft ist, in der es keine gemeinsame Wahrheit mehr gibt und Fakten nur noch eine untergeordnete Rolle spielen.
  • In diesem Zusammenhang empfehlen wir das Portrait von Vijaya Gadde (Politico), die als "Head of Legal, Policy and Trust" viele der scharfen Maßnahmen verantwortet, die Twitter im vergangenen Jahr erlassen hat. Der Text enthält unter anderem das schöne Zitat eines anonymen Twitter-Managers: "I can’t imagine a world where Jack Dorseylooks at her and says, 'No.'". Powerwomen FTW!

TikTok

  • Im September verkündete TikTok den Start eines Election Guides. Nutzerïnnen finden dort Informationen zu ganz unterschiedlichen Fragen – etwa wie sie Falschinformationen erkennen können oder wie Menschen mit Beeinträchtigungen ihre Stimme abgeben können.
  • Mittwoch erklärte TikTok in seinem Newsroom, am Tag der Wahl mit AP zu kooperieren, um Wahlergebnisse aufbereiten zu können.
  • Bezahlte Wahlwerbung ist bei TikTok generell untersagt.

Snapchat

Be smart

Facebook bereitet Notfallmaßnahmen vor, die für Länder wie Sri Lanka und Myanmar gedacht waren. Google wendet eine Policy an, die zuletzt nach der mutmaßlich manipulierten Wahl in Belarus zum Einsatz kam (Washington Post). Anders ausgedrückt: Die Plattformen rechnen mit dem Schlimmsten, die USA sind auf dem Niveau von Kriegs- und Krisenstaaten angekommen.

Ein Post von Zuckerberg, der sonst eher zu Hyperrationalität als zu Hyperventilation neigt, macht deutlich, wie ernst die Lage ist:

I'm also worried that with our nation so divided and election results potentially taking days or even weeks to be finalized, there could be an increased risk of civil unrest across the country.

In diesem Sinne: Stay safe – and stay sane!


Header-Foto von Clay Banks bei Unsplash