Facebook soll linksliberale Medien abgestraft haben

Was ist

  • Vergangene Woche veröffentlichten Deepa Seetharaman und Emily Glazer eine lange Recherche: "How Mark Zuckerberg Learned Politics". Der Text erzählt, wie Mark Zuckerberg im Laufe der vergangenen Jahre sein Interesse an Politik und Policy entdeckte.
  • An der Uni soll Zuckerberg ein weitgehend unpolitischer Mensch gewesen sein, dessen Überzeugungen sich am ehesten als libertär bezeichnen lassen. Anfangs überließ er anderen Facebook-Managerïnnen wie Sheryl Sandberg den Großteil der politischen Entscheidungen.
  • Das änderte sich spätestens, als Donald Trump ins Amt kam: Zuckerberg merkte, wie wichtig politische Beziehungen und Themen wie Desinformation oder Integrität von Wahlen sind. Zuvor war er rein auf das Produkt fokussiert, allmählich beschäftigte er sich auch mit dem politischen und gesellschaftlichen Umfeld von Facebook.
  • Die Recherche enthält zahlreiche interessante Details, die das Bild des Menschen und Managers Mark Zuckerberg ergänzen. Die mit Abstand größte Aufmerksamkeit erhielt jedoch folgender Absatz:

"In late 2017, when Facebook tweaked its newsfeed algorithm to minimize the presence of political news, policy executives were concerned about the outsize impact of the changes on the right, including the Daily Wire, people familiar with the matter said. Engineers redesigned their intended changes so that left-leaning sites like Mother Jones were affected more than previously planned, the people said. Mr. Zuckerberg approved the plans. "We did not make changes with the intent of impacting individual publishers," a Facebook spokesman said."

  • In einem langen Twitter-Thread empörte sich Clara Jeffery, Chefredakteurin von Mother Jones, über Facebooks angebliche Sabotage. Das linksliberale Magazin habe durch Facebooks Algorithmus-Änderung pro Jahr rund eine halbe Million Dollar verloren (Mother Jones).
  • Diese Woche legte Jeffery gemeinsam mit Geschäftsführerin Monika Bäuerlein nach. Gestützt auf weitere anonyme Quellen erhärteten die beiden die Vorwürfe. Facebook soll rechtskonservative Quellen wie Daily Wire bewusst bevorzugt haben, um es sich nicht mit den Republikanern und einflussreichen Medienpersönlichkeiten wie Ben Shapiro zu verscherzen.

Be smart

  • Die Anschuldigungen sind nicht ganz neu. Seit Jahren gibt es Berichte über den wachsenden Einfluss des Republikaners Joel Kaplan bei Facebook. Auch die Aufnahme rechter Medien in den News-Tab oder die Auswahl der Faktencheck-Partner löste ähnliche Kritik aus.
  • In Briefing #659 beschäftigten wir uns ausführlich mit dem Vorwurf, Facebook kuschle mit Konservativen. Damals schrieben wir:

"Zuckerberg dürfte wenig für Trump übrig haben. Immer wieder hat er die Äußerungen des Präsidenten in internen Meetings und öffentlichen Statement als "disgusting" oder "disturbing" bezeichnet. Aber er ist ein Machtmensch, der das Beste für sein Unternehmen herausholen will. Deshalb ist es nur logisch, dass er sich um gute Beziehungen zu Trump und den Republikaner bemüht."

  • Diese Einschätzung gilt nach wie vor. Es ist weder verwunderlich noch skandalös, dass sich Zuckerberg mit Trump trifft oder mit Ben Shapiro zu Abend isst. Alles andere wäre verwunderlich und kurzsichtig.
  • Wir bezweifeln, dass Facebook Mother Jones tatsächlich bewusst schaden wollte, wie es das Magazin darstellt. Dass die Newsfeed-Änderungen nachträglich überarbeitet wurden, um rechtskonservative Quellen weniger hart zu treffen, halten wir dagegen für realistisch. Zumal Facebook diesen Teil auch nicht explizit dementiert.
  • Wer darüber spricht, welchen Einfluss Kaplan hat, muss allerdings auch berücksichtigen, dass Vize-Chefin Sandberg früher für Hillary Clinton arbeitete und ein Großteil der Facebook-Managerïnnen und Mitarbeiterïnnen den Demokraten nahesteht.
  • Wir glauben, dass sich Facebook ein Beispiel an Twitter nehmen sollte. Dort gibt es eine strikte, firmeninterne Firewall (OneZero), die wir für sinnvoll halten:

"One key difference between the two social media giants: Unlike Facebook, whose VP of public policy, Joel Kaplan, is often reported to be influential in its content enforcement decisions, Twitter told me its policy and communications teams are excluded from the decision-making process, and looped in only after a verdict has been reached. The point of that separation is to avoid letting PR considerations and relationships on Capitol Hill dictate enforcement decisions."


Wurde Trumps Twitter-Account schon wieder "gehackt"?

  • Am Donnerstagabend machte eine irrwitzige Nachricht die Runde: Der niederländische IT-Sicherheitsexperte Victor Gevers soll Trumps Twitter-Account übernommen haben (de Volkskrant). Angeblich lautete das Passwort maga2020! ("Make America Great Again"). Einen zweiten Sicherheitsfaktor habe Trump nicht für nötig gehalten. Es reichte demnach, das Passwort zu erraten – das zählt nicht mal als richtiger Hack.
  • Die Meldung scheint alles zu bestätigen, was viele Menschen über Trump denken: ein verantwortungsloser und selbstverliebter US-Präsident, dem sein persönlicher Komfort wichtiger ist, als das Risiko zu minimieren, dass ein Twitter-Account mit 87 Millionen Followern kompromittiert wird, über den sich wohl binnen Minuten ein Atomkrieg anzetteln ließe ("Hey Kim, I've pressed the big red nuclear button. It's 'much bigger and more powerful' than yours anyway").
  • Gevers hatte bereits 2016 Trumps Twitter-Account übernommen (NOS). Damals lautete das Passwort "yourefired". Es stammte aus einer geleakten LinkedIn-Datenbank.
  • Diesmal kamen jedoch schnell Zweifel an der scheinbar perfekten Geschichte auf. Vice-Reporter Joseph Cox wies auf das Dementi eines Twitter-Sprechers hin, der sagte, es gebe keine Belege, die diese Behauptung stützten. Außerdem habe Twitter zahlreiche hochrangige Konten mit Blick auf die US-Wahl zusätzlich geschützt. Aus einem älteren Blogeintrag geht hervor, dass dazu der Zwang zu einem sicheren Passwort zählt – schwer vorstellbar, dass maga2020! als ein solches durchgeht.
  • Cox zählt weitere Zweifel an Gevers Story auf (Vice). Unter anderem widersprach das Weiße Haus (keine Überraschung und ehrlich gesagt in diesen Zeiten auch keine glaubwürdige Quelle), es gibt allerdings noch weitere Punkte, die gegen den angeblichen Hack sprechen.
  • Derzeit steht Aussage gegen Aussage. Gevers ist eigentlich ein renommierter IT-Sicherheitsexperte, der es nicht nötig hat, sich mit Lügen zu profilieren. Twitter selbst antwortet nicht auf alle Fragen und dementiert nicht ganz eindeutig.
  • Stand jetzt würden wir sagen: eine Geschichte, die fast zu schön ist, um wahr zu sein – und dennoch wahr sein könnte.

Facebooks Oversight-Board startet – aber nicht mehr zur US-Wahl

  • Ab sofort können Facebook- und Instagram-Nutzerïnnen Fälle beim Oversight-Board (FOB) einreichen (Oversight-Board). Zunächst geht es nur um Beschwerden gegen Sperrungen und Löschungen. Später soll es auch möglich sein, das FOB anzurufen, wenn Facebook Inhalte nach einer Meldung online gelassen hat.
  • Vergangene Woche erklärten wir in Ausgabe #675 ausführlich die Kontroverse um das "Real Facebook Oversight Board" und gingen in diesem Zusammenhang auch auf den verzögerten Start des FOB ein.
  • Hintergründe zum Ablauf der Beschwerden und dem Aufbau des Gremiums liefert Facebook in seinem Newsroom.
  • Jeff Jarvis argumentiert, dass es zusätzlich zum FOB auch eine Art Verfassung brauche, die über Facebooks Community-Standards hinausgehen müsse.
  • Auch Casey Newton geht in seinem Newsletter nochmal ausführlich auf das FOB ein. Wie schließen uns seinem vorsichtig optimistischen Fazit an:

"For all its faults, the board still represents an unprecedented move to devolve some of a tech giant’s power back to the people that, on some level, it represents. Yes, it will serve to give Facebook public-relations cover during controversies. But it also enshrines the principle that citizens of a platform have a right to redress their grievances. However much justice the board offers them in the future will almost certainly be more than they are getting today."


Social Media & Politik

Wir beschäftigen uns in der kommenden Woche noch einmal ausführlich mit der anstehenden US-Wahl. Heute nur so viel:

  • Ok, AOC ist auf Twitch: Community und Video gehören die Zukunft. Twitch ist eine der Plattformen, auf denen diese Zukunft bereits jetzt gelebt wird. Wenig verwunderlich also, dass auch die Politik Twitch zunehmend als Plattform für sich entdeckt. Ganz vorne dabei einmal mehr Social-Media-Superstar Alexandria Ocasio-Cortez. Bei jetzt.de wird erklärt, warum ihre Performance so gefeiert wird. Wer es etwas weniger laut mag, sollte mal bei SPD-Mann Timo Wölken vorbeischauen: der macht schon seit fast zwei Jahren Politik auf Twitch.

Straft Instagram Fotos von dicken Menschen ab?

Aktivistïnnen der Body-Positivity-Bewegung äußern den Verdacht, Instagrams Algorithmus sei „fatphobic“ (Guardian). Zwei Beobachtungen stützen die These:

  • Zum einen hatte eine Komikerin aus Australien, Celeste Barber, im Rahmen einer Challenge ein Foto gepostet, auf dem sie sich ähnlich entblößt zeigt wie das ehemalige Victorias Secret Model Candice Swanepoel. Während der Post von Swanepoel auf der Plattform zu sehen ist, konnte Barbers Foto mit folgender Begründung nicht geteilt werden: „(it) goes against our community guidelines on nudity or sexual activity.“ Ziemlich schräg, handelt es sich doch um quasi die gleiche Aufnahme.

  • Zum anderen hat Kayla Logan, eine amerikanische Plus-Size-Bloggerin, zusammen mit 50 Kolleginnen unter dem Hashtag DontDeleteMyBody dazu aufgerufen, mehr Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken. Ein Großteil der Fotos konnten auf der Plattform nicht geteilt werden.

Mit Blick auf die (alten) Moderationsrichtlichen bei TikTok scheint die These nicht ganz abwägig zu sein: Im März berichteten Kollegïnnen von Netzpolitik über Guidelines, die bei TikTok dafür sorgen sollten, dicke, unattraktive oder arme Menschen auf der Plattform zu verstecken.


Follow the money

  • WhatsApp Business: Facebook hat die Zukunft gesehen (bzw. WeChat) und möchte daran teilhaben. Deshalb wird WhatsApp Stück für Stück zu einer Plattform ausgebaut, über die Unternehmen Produkte verkaufen können – inklusive Payments and Customer Service. Wie sich Facebook diese Zukunft konkret vorstellt, zeigt dieses YouTube-Video. Alle aktuellen News zum Umbau von WhatsApp gibt es in ihrem Newsroom. Ah, eine Sache noch: Wer künftig mit Geschäften chattet, tut dies womöglich nicht Ende-zu-Ende verschlüsselt. Dann könnte das Geschäft, mit dem du dir schreibst, ja schließlich keine Werbung schalten, die dein „Nutzungserlebnis verbessert“. Ist doch logisch.

Neue Features bei den den Plattformen

Facebook

  • Dating: Facebook konnte erfolgreich die Bedenken der Regulierungsbehörden zerstreuen und hat mit neunmonatiger Verspätung die neue Dating-Funktion in ganz Europa eingeführt (Techcruch). Vor einhundert Briefings haben wir aufgeschrieben, wie Facebook Dating funktioniert und warum das Thema brisant ist (Briefing #577).
  • Neighborhood: Facebook weiß, dass sich Menschen zunehmend ins Private zurückziehen. Lokale Netzwerke gewinnen daher zunehmend an Bedeutung. Just in der Woche, in der das Nachbarschaftsnetzwerk Nextdoor den Gang an die Börse (bei einer angestrebten Bewertung von 5 Milliarden Dollar) ankündigt, kommt Facebook mit Plänen um die Ecke, ebenfalls in diesem Segment mitmischen zu wollen. Derzeit teste Facebook in Calgary eine App namens Neighborhood (Techcrunch). Sollte sich die App bewähren, stünde einem größeren Rollout nichts im Wege, heißt es.
  • News-Feed-Options: Vor nicht all zu langer Zeit saßen wir mit Adam Mosseri – damals noch für Facebooks News Feed verantwortlich – in einem Hintergrundgespräch. In epischer Breite legte er dar, warum Userïnnen niemals mehr Kontrolle über ihren News Feed erhalten sollten. Der simple Grund: sie würden es ja doch nicht nutzen. Jetzt, da Mosseri Chef von Instagram ist, wandelt sich das Blatt und Nutzerïnnen bekommen sehr wohl mehr Optionen an die Hand, darüber zu entscheiden, was ihnen im News Feed angezeigt wird (Alex Voica / Twitter): Home ist der normale Feed. Recent zeigt die Inhalte des normalen Feeds, allerdings in chronologischer Ordnung. Favourites hingegen zeigt nur die Inhalte von dreißig manuell ausgewählten Seiten, Gruppen und Freunden. Zwar bestimmt auch dort ein Algorithmus, welche Inhalte ausgespielt werden, aber immerhin nicht von wem.
  • WordPress Embedding: Sollte jemand Posts von Facebook und Instagram in seinem WordPress-Blog embedden: Obacht! Das wird künftig nicht mehr ohne Weiteres möglich sein. Was es zu beachten gibt, steht hier (Facebook for Developers).

 

Twitter

  • Neue Retweet-Funktion: Weil es anscheinend noch viele Fragezeichen gibt: Es ist weiterhin möglich, einen Tweet ohne zusätzlichen Kommentar zu retweeten. Dafür einfach nach der Aufforderung, den Tweet zu kommentieren, direkt auf "Retweeten" drücken und gut ist. In Briefing #676 erklären wir die Hintergründe. Übrigens: Künstlerïnnen würden sich sehr darüber freuen, wenn du nicht deinen Senf zu ihren Tweets dazu gibst 🤷 (The Verge).

 

Instagram

 

TikTok


One more thing

That escalated quickly: Merke: 1,75 Milliarden Dollar reichen nicht (Vox), um ein Produkt am Markt zu platzieren, für das es keine Nachfrage gibt.


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