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16.10.2020 | Facebook und Twitter wollen keine Lügenschleudern mehr sein | Urheberrecht: Jetzt kommen die Upload-Filter

16.10.2020 | Facebook und Twitter wollen keine Lügenschleudern mehr sein | Urheberrecht: Jetzt kommen die Upload-Filter

US-Wahl: Facebook und Twitter wollen keine Lügenschleudern mehr sein

Was ist

Kurz vor der US-Wahl erhöht sich die Schlagzahl der Ereignisse – und die Plattformen reagieren ungewohnt entschlossen:

Wie Twitter Desinformation verhindern will

Am vergangenen Freitag kündigte Twitter eine Reihe von Maßnahmen an (Twitter-Blog), die deutlich über alles Bisherige hinausgehen:

Bereits im August dachte Casey Newton über "virality circuit breakers" (Revue) nach: Plattformen müssten verhindern, dass dubiose Inhalte so schnell viral gehen, dass sie mit dem Prüfen nicht mehr hinterherkommen – oder zumindest sicherstellen, dass sie Inhalte, die sich in kurzer Zeit rasant verbreiten, auch mit höherer Priorität prüfen.

Die aktuellen Maßnahmen von Twitter sind interessant, weil sie einen neuen Weg gehen: Statt Inhalte nachträglich zu sperren, versucht Twitter darauf hinzuwirken, dass Nutzerïnnen weniger Inhalte teilen, die gesperrt werden müssen. Das läuft dem Geschäftsmodell der Plattformen zuwider, das darauf angelegt ist, dass möglichst viele Menschen möglichst viel posten. Aber wenn sich herausstellt, dass sich Twitter damit Ärger und Arbeit erspart, könnten alle davon profitieren.

Und falls das nicht reicht, haben die Professoren Mike Ananny und Daniel Kreiss einen weiteren Vorschlag: "Why not put Donald Trump’s tweets and his Facebook posts, as well as those of other political elites, on a time delay?"

Warum Hack-and-Leak-Operationen gefährlich sind

2016 will seine E-Mails zurück: Am Dienstag veröffentlichte die New York Post einen Artikel, der Joe Biden und seinen Sohn Hunter belasten soll. Der Fall erinnert an die Desinformationskampagnen vor vier Jahren, als russische Hackerïnnen E-Mails von Hillary Clintons Wahlkampfleiter John Podesto erbeuteten, die Wikileaks veröffentlichte und die anschließend von Medien breitgetreten wurden.

Auch diesmal ist die Quelle höchst dubios, fast alles riecht nach "Hack and Leak": Jemand versucht, illegal erbeutete und womöglich manipulierte Dokumente in den Umlauf zu bringen, um Medien und Öffentlichkeit zu manipulieren. Auch vor der Wahl in Frankreich 2017 gab es ähnliche Versuche, die französischen Medien berichteten allerdings nicht.

Der frühere Facebook-Sicherheitschef Alex Stamos und sein Nachfolger Nathaniel Gleicher warnen seit Wochen (Spiegel) vor einem solchen Szenario. "Now is the time to get ready for a hack-and-leak dump", schrieb Stamos (Twitter). "Several groups with access to raw intel are pretty heavily hinting that recent Russian activity might be in preparation for a document dump."

Auch Gleicher wies mehrfach auf die Gefahr solcher Operationen hin. Sie seien auch deshalb oft erfolgreich, weil Journalistïnnen fast nie dem Versuch widerstehen können, darüber zu berichten (Twitter): "I'd call out that these operations directly try to exploit competitive pressures across the media ecosystem."

In diesem Zusammenhang sollten Medien die vier Prinzipien verinnerlichen, die Marty Baron, der Chefredakteur der Washington Post, im Umgang mit geleakten und potenziell gehackten Dokumenten formuliert (Vanity Fair). Vor der Entscheidung zur Veröffentlichung müssten mehrere erfahrene Redakteurïnnen das Material prüfen:

Our emphasis should be on making a sound and well-considered decision—not on speed. We should resist the instinct to post a story simply because a competitor has done so.

Nicht nur das Ob, auch das Wie sei entscheidend:

Our stories should prominently explain what we know about the full context of the information we are presenting, including its origins and the motivations of the source, including whether it appears to be an effort to distract from another development.

Die New York Post hat nichts davon berücksichtigt. Und deshalb mussten die Plattformen tätig werden.

Wie Facebook und Twitter durchgreifen

Der Erfolg von Hack-and-Leak-Operationen basiert auf Sensationslust und der Dynamik sozialer Netzwerke: Spekulationen und Gerüchte verbreiten sich viral, je wilder, desto besser. Umso größer war die Herausforderung für die Plattformen, die schnell und entschlossen reagierten:

Be smart

Facebook und Twitter haben nicht alles richtig gemacht. Die Reaktion kam früher als beim viralen "Plandemic"-Video, das absurde Verschwörungserzählungen über den Ursprung des Coronavirus verbreitete und trotzdem Dutzende Millionen Views auf Facebook und YouTube einsammelte. Doch drei Stunden sind immer noch zu spät: In der Zwischenzeit war ein Großteil des Schadens schon angerichtet.

Trotzdem wären solche Reaktionen vor einem Jahr kaum denkbar gewesen. Die Plattformen nehmen die Bedrohung ernst und versuchen zumindest, Desinformation zu verhindern und die US-Wahl abzusichern. Die aktuelle Hack-and-Leak-Operation dürfte nur der Anfang gewesen sein: In den kommenden zwei Wochen werden Facebook und Twitter wohl noch einige Male zeigen müssen, dass sie ihre Lektionen gelernt haben.


Urheberrecht: Jetzt kommen die Upload-Filter

Was ist

Das Bundesjustizministerium hat einen Referentenentwurf veröffentlicht (BMJV), mit dem die EU-Urheberrechtsrichtlinie in nationales Recht umgesetzt werden soll. Der Vorschlag weicht von den bisherigen beiden Diskussionsentwürfen ab und dürfte die Befürchtungen vieler Kritikerïnnen bestätigen: In der aktuellen Form wären flächendeckende Upload-Filter unumgänglich.

Warum das wichtig ist

Die EU-Urheberrechtsreform zählte zu den kontroversesten Gesetzgebungsverfahren der vergangenen Jahre. Vor anderthalb Jahren löste sie erbitterte Lobby-Schlachten aus und brachte Hunderttausende vor allem junge Menschen auf die Straße. Trotz des Protests wurde die Richtlinie verabschiedet, bis Juni 2021 müssen sie alle Mitgliedsstaaten umgesetzt haben.

Die Reform enthält viele sinnvolle Änderungen und Modernisierung, aber eben auch einige fragwürdige Vorgaben. Dazu zählen Upload-Filter (der Begriff taucht nicht im Referentenentwurf auf, sie ließen sich aber kaum vermeiden) und das Leistungsschutzrecht.

Warum der Entwurf auf Upload-Filter hinausläuft

Was sich im Vergleich zu früheren Fassungen geändert hat

Wie das Leistungsschutzrecht umgesetzt werden soll

Be smart

Der neue Referentenentwurf enthält einige fragwürdige Formulierungen, die hinter den früheren Fassungen zurückbleiben. Im Prinzip war aber seit der Verabschiedung der EU-Urheberrechtsrichtlinie klar, dass Deutschland die Reform kaum ohne Upload-Filter umsetzen kann. Es geht also nur noch um Schadensbegrenzung.

Und selbst wenn die Filter kommen, ist noch nicht klar, ob ihre Auswirkungen so katastrophal ausfallen, wie teils befürchtet wurde. Auch NetzDG und DGSGVO lösten teils schrille Warnungen und Proteste aus, das Netz ist trotzdem noch weitgehend intakt.

Außerdem bringt die Urheberrechtsreform viele dringend notwendige Modernisierungen und Erleichterungen mit sich, die ein völlig veraltetes Recht ans digitale Zeitalter und die Nutzungsrealität sozialer Plattformen anpassen. Auch wenn es oft so wirkt, weil sich Aktivistïnnen verständlicherweise auf die wenigen, berechtigten Kritikpunkte konzentrieren und möglichst laut warnen: Es ist nicht alles schlecht.


Kampf gegen Desinformationen

Das von Facebook aufgekaufte Tool ermöglicht es, Likes, Kommentare und Shares zu messen, um so herauszufinden, welche Artikel mit Blick auf diese Metriken am besten performen. Was das Tool allerdings nicht leistet, wird dabei häufig ausgeblendet. Weder zeigt Crowdtangle, welche Artikel tatsächlich am meisten Impressions erzielt haben oder wie oft ein Artikel bei Nutzerïnnen im Feed auftaucht. Auch zeigt Crowdtangle keine privaten Posts oder Beiträge in Gruppen. Genau hier spielt aber die Musik.

Zudem gibt es Studien, die die Verantwortung für die Verbreitung von Falschinformationen vor allem bei Donald Trump (New York Times) und Fox News (SSRN) sehen (siehe Briefing #674).

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