Facebook News kommt nach Deutschland: Trau, schau, wem

Was ist

Im vergangenen Herbst startete Facebook News in den USA. Jetzt will Facebook das Angebot in fünf weiteren Ländern lancieren, darunter auch in Deutschland (jeweils Facebook-Newsroom).

Warum das wichtig ist

Der Traffic, den Nachrichtenseiten von Facebook erhalten, ist in den vergangenen Jahren gesunken. Medien, die ihr Geschäftsmodell ausschließlich auf Facebook ausgerichtet hatten, sind Pleite gegangen. Trotzdem bleibt Facebook für die meisten großen Verlage eine wichtige Plattform.

In der Vergangenheit haben Medien mit Facebook aber, sagen wir, gemischte Erfahrungen gemacht – dazu später mehr. Deshalb sollten Verlage genau prüfen, ob sie eine Partnerschaft mit Facebook eingehen wollen. Kurzfristig mag das zusätzliche Reichweite bringen. Langfristig könnte es die eigene Homepage entwerten oder eine Paid-Content-Strategie konterkarieren.

Was Facebook News ist

Als vor einem Jahr die ersten Gerüchte kursierten, dass Facebook ein neues Produkt für journalistische Inhalte einführen will, analysierten wir Chancen und Risiken in Ausgabe #572. Seitdem hat sich einiges getan. Die wichtigsten Fakten in Kürze:

  • Seit vergangenem Oktober testet Facebook in den USA einen separaten News-Tab, in dem Inhalte ausgewählter Medien zu sehen sind.
  • Die Abspielfläche gibt es nur in der mobilen App, auf dem Desktop fehlt der Tab.
  • Die meisten Nutzerïnnen mussten lange Zeit den Umweg über das Menü in der Seitenleiste gehen, um auf den Bereich zuzugreifen.
  • Erst im Juni (TechCrunch) schaltete Facebook den News-Tab, der als prominentes Icon am oberen Bildschirmrand angezeigt wird, für alle Nutzerïnnen in den USA frei.
  • Anfangs waren nur Artikel überregionalen Medien enthalten. Mittlerweile sind neben 200 großen Verlagen auch Tausende lokale und regionale Angebote dabei. Außerdem wurden Videos integriert.
  • Einen Teil der Inhalte kuratieren Journalistïnnen. Der Rest wird genau wie der Newsfeed algorithmisch erstellt und ist dementsprechend personalisiert.
  • Nutzerïnnen können bis zu einem gewissen Grad selbst gewichten und etwa bestimmten Medien entfolgen, deren Artikel sie nicht mehr sehen wollen.

Was Facebook News den Medien bringt

  • Facebook zahlt einigen teilnehmenden Verlagen Geld. Wer genau wie viel für welche Inhalte erhält, sagt Facebook auch auf unsere Nachfrage nicht. Vergangenes Jahr war von bis zu drei Millionen Dollar (Digiday) für große Medien die Rede.
  • Ein etwas verschwurbelter Satz in der aktuellen Ankündigung gibt einen Hinweis auf die Resonanz: "Wir haben festgestellt, dass 95 Prozent der Zugriffe über Facebook News zusätzlich zu dem aus News Feed stammenden Traffic erfolgen."
  • Im Klartext: Der Traffic, den teilnehmende Medien über Facebook erhalten, hat sich angeblich knapp verdoppelt. Der News-Tab bringt etwa gleich viele Besucherïnnen wie der Newsfeed.
  • Die Zahlen stammen von Facebook selbst und lassen sich nicht nachprüfen, weil die Verlage den Traffic nicht unterscheiden können. Klicks aus dem Newsfeed und dem News-Tab werden nicht separat ausgewiesen.
  • Im Mai fiel das Zwischenfazit der Verlagsseite eher verhalten aus. Als sich Max Willens bei Facebooks Medienpartnern umhörte (Digiday), hatten viele den Eindruck, dass Facebook das Projekt nicht besonders hoch priorisiere und nur langsam weiterentwickle.
  • Auch inhaltlich scheint der News-Tab eher uninspiriert zu sein: unpolitisch, eindimensional, kaum personalisiert und mit wenig Bezug zu den Inhalten, die auf Facebook gerade kontrovers diskutiert werden, urteilte Laura Hazard Owen im Juni (NiemanLab).

Wie Facebook News in Deutschland aussehen wird

  • Bislang sind nur sehr wenige Details bekannt. Eine Sprecherin konnte uns wenig sagen, was über den ohnehin vagen Blogeintrag hinausgeht.
  • In allen fünf Ländern stehen die Gespräche mit Verlagen noch am Anfang. Wann Facebook News mit welchen Medienpartnern in Deutschland startet, ist unklar.
  • Wie in den USA sollen Inhalte auch hierzulande vergütet werden. Genauere Summen nennt Facebook nicht.
  • Als Zeitrahmen stehen sechs bis zwölf Monate im Raum. Allerdings "beabsichtigt" Facebook nur, das Angebot international auszuweiten – wenn die Gespräche schlecht laufen, könnte es also auch länger dauern oder gar nicht kommen.
  • Facebook sagt nicht, mit welchen Verlagen es verhandelt und wie das Aufnahmeverfahren abläuft.
  • In den USA ist unter anderem das Rechtsaußen-Portal Breitbart im News-Tab enthalten – um ein "möglichst breites Meinungsspektrum" abzubilden.
  • Facebook sagt nur, dass alle Verlage, die Teil des News-Tab werden wollen, Ihre Seite für den sogenannten News Page Index registrieren und dafür bestimmte Richtlinien einhalten müssen. Der Index ist aber nicht öffentlich.
  • Offenbar geht Breitbart als Produzent "qualitativ hochwertiger Inhalte" durch. Tichys Einblick und die Junge Freiheit als deutsche Medienpartner? Es bleibt spannend.

Was sich Facebook erhofft

Facebook verfolgt mindestens zwei Interessen:

1. Die eigene Plattform am Leben halten

  • Facebook verdiente im vergangenen Quartal mehr als fünf Milliarden Dollar (Facebook Investor Relations), weil 1,79 Milliarden Menschen täglich Zeit auf Facebook verbrachten. Sie scrollten durch einen Newsfeed, in dem sich zwischen vielen Anzeigen auch ein paar Inhalte verstecken.
  • Um Nutzerïnnen auf der Plattform zu halten, braucht es Inhalte, für die sie sich interessieren. Bei den meisten Menschen sind das Nachrichten von Freunden.
  • Dummerweise posten viele Nutzerïnnen aber gar nicht mehr öffentlich auf Facebook und weichen lieben auf private Gruppen oder andere Plattformen aus.
  • Mit einem Nachrichten-Tab sichert sich Facebook auch davor ab, dass immer mehr Karteileichen immer weniger Fotos, Videos und Links teilen.
  • Medien werden sobald nicht aufhören, Artikel zu schreiben, und bescheren einen konstanten Strom an Inhalten.

2. Das angespannte Verhältnis zu Medien verbessern

  • Wir haben nicht nachgezählt, glauben aber, dass wir auch ohne empirische Datengrundlage behaupten können: Die meisten Schlagzeilen, die seit der US-Wahl 2016 über Facebook erschienen sind, waren negativ.
  • Das hat in erster Linie mit Facebook selbst zu tun: Skandal reihte sich an Skandal, im Monatsrhythmus wurden neue Fehler, Leaks und Pannen bekannt.
  • Das liegt aber auch an den Medien. Lange Zeit galt Google als ärgster Konkurrent der Verlage, konnte das Verhältnis aber durch geschickte Lobbyarbeit und sinnvolle Projekte deutlich entspannen.
  • Diese Rolle hat Facebook eingenommen, das im Vergleich zu anderen Plattformen, die genauso viel Anlass zur Kritik bieten, einen Großteil der negativen Presse abbekommt.
  • Den meisten Nutzerïnnen ist es ziemlich egal, was Medien schreiben. Werbekunden achten aber sehr wohl darauf, in welchem Umfeld ihre Anzeigen erscheinen.
  • Das halbe Silicon Valley ist mittlerweile auf Kuschelkurs mit den Verlagen: Von Apple (News+) über Snapchat (Discover) bis Google, das Hunderte Millionen Euro in die Google News Initiative steckt und nun auch direkt für journalistische Inhalte bezahlen will (SZ) bieten die großen Plattformen Medien nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch Geld.
  • In der Jahresbilanz der Tech-Konzerne gehen diese Investitionen unter, kriselnden Verlagen hilft das Geld aber sehr.
  • Wir wollen nicht suggerieren, dass sich Facebook nun ebenfalls positive Presse erkaufen will. Ganz so plump läuft die Einflussnahme nicht ab. Aber natürlich schadet es auch nicht, gute Beziehungen zu Redaktionen zu pflegen.

Glaubt man Facebook, gibt es noch einen dritten Grund. "Innovationen sind entscheidend für ein nachhaltiges Nachrichten-Ökosystem", schreibt Facebook-Managerin Campbell Brown. Man wolle "unsere Partner bei der Etablierung nachhaltiger Geschäftsmodelle begleiten" und Medien dabei unterstützen, neue Zielgruppen zu erreichen.

Nach eigener Aussage hat Facebook also ein Interesse daran, Medien zu stärken und qualitativ hochwertigen Journalismus zu fördern. Das sind schöne Worte – Facebooks Taten spiegeln das aber nicht unbedingt wider:

Warum Medien vorsichtig sein sollten

Im Juni forderte Australien auf, für Nachrichten zu bezahlen, die auf der Plattform zu sehen sind. Die Antwort (PDF) spricht für sich. Wir zitieren Teile daraus:

The past two years have seen an increase in people engaging on our services and increased revenues, suggesting both that news content is highly substitutable with other content for our users and that news does not drive significant long-term commercial value for our business.

Facebook sagt unverhohlen, dass es auch auf journalistische Inhalte verzichten könnte, weil diese keinen wirtschaftlichen Mehrwert böten. An einer andere Stellen wird Facebook noch deutlicher:

If there were no news content available on Facebook in Australia, we are confident the impact on Facebook’s community metrics and revenues in Australia would not be significant, because news content is highly substitutable and most users do not come to Facebook with the intention of viewing news. But the absence of news on Facebook would mean publishers miss out on the commercial benefits of reaching a wide and diverse audience, and social value would be diminished because news would be harder to access for millions of Australians.

Nicht wir sind auf die Verlage angewiesen – sie sind abhängig von uns. Damit mag Facebook Recht haben. Wer mit Facebook verhandelt, sollte aber immer im Hinterkopf haben, welches Selbstverständnis dieses Unternehmen durchzieht und dass Mark Zuckerberg – entgegen vieler öffentlicher Beteuerungen (Atlantic) – die nächste Quartalsbilanz eben doch wichtiger zu sein scheint als das Schicksal der Verlage und der vielbeschworene "Qualitätsjournalismus".

Diese Haltung hat sich im Laufe der vergangenen Jahre immer wieder gezeigt (NiemanLab). Facebook hat:

  • Metriken für Videos vollkommen falsch berechnet und Medien dazu gebracht, unsinnigerweise viel zu viel Geld in Videoproduktion zu stecken. (NYT)
  • Verlage überzeugt, in Instant Articles zu investieren und ihre Inhalte vollständig auf Facebook auszuspielen. Keine gute Idee: Das Projekt ist gescheitert. (CJR)
  • Medien Geld dafür gezahlt, dass sie Videos exklusiv für Facebook Live und Facebook Watch produzieren. Keine gute Idee: Das Projekt ist gescheitert. (CJR)
  • Sich großen, großen Ärger mit seinen Trending Topics eingehandelt, die angeblich konservative Nachrichten unterdrückten. (Gizmodo)
  • Das berühmte Foto des vietnamesischen "Napalm-Mädchens" Phan Thị Kim Phúc als pornografisch eingestuft (und etliche weitere berühmte Fotos und Kunstwerke zensiert). (Aftenposten)
  • Medien als externe Faktenprüfer bezahlt, um Falschmeldungen zu identifizieren – doch etliche dieser Partner ziehen sich frustriert zurück. (Snopes)
  • Ohne Vorankündigung den Newsfeed umgebaut und weniger Medieninhalte angezeigt, was bei etlichen Verlagen den Traffic einbrechen ließ und manche in den Ruin trieb. (Slate)

Das ist nur das Worst-of. Es gibt auch sinnvolle Initiativen wie die großzügige Förderung des Lokaljournalismus in den USA, die wir in Briefing #516 vorgestellt hatten. Die Lowlights überwiegen aber die Highlights – und zwar deutlich.

Be smart

Facebook ist nicht dafür verantwortlich, Verlagen ein funktionierendes Geschäftsmodell zu liefern. Die finanzielle Krise, in der viele Medien stecken, ist größtenteils hausgemacht. Nur sollten Journalistïnnen keine allzu großen Hoffnungen ins Silicon Valley stecken. Facebook und Google sind nicht die Totengräber des Journalismus – aber auch nicht dessen Retter.


Follow the money

  • Facebook Shop: Facebook führt eine neue Shopping-Funktion ein. Die neue Section hört auf den Namen Facebook Shop und wird zunächst in den USA ausgerollt. Eine ähnliche Funktion gibt es bereits seit einigen Monaten auf Instagram. Das Besonere: Nutzerïnnen können künftig nicht nur Produkte auf Facebook (bzw. Instagram) finden, sondern dort auch tatsächlich direkt erwerben – inklusive Bezahlvorgang & Co.

Inspiration

  • The Endless Doomscroller: Ben Grosser hat ein neues Projekt: Beim Endless Doomscroller können Nutzerïnnen unendlich lange schlechte Nachrichten scrollen. Die Idee dahinter beschreibt Grosser so:

    “Doomscrolling” refers to the ways in which people find themselves regularly—and in some cases, almost involuntarily—scrolling bad news headlines on their phone, often for hours each night in bed when they had meant to be sleeping. Certainly the realities of the pandemic necessitate a level of vigilance for the purposes of personal safety. But doomscrolling isn’t just a natural reaction to the news of the day—it’s the result of a perfect yet evil marriage between a populace stuck online, social media interfaces designed to game and hold our attention, and the realities of an existential global crisis. Yes, it may be hard to look away from bad news in any format, but it’s nearly impossible to avert our eyes when that news is endlessly presented via designed-to-be-addictive social media interfaces that know just what to show us next in order to keep us “engaged.”

    Andere Projekte des Profs und Künstlers sind z.B. der Facebook Demetricator (ein Plugin, das sämtliche Zahlen bei Facebook entfernt), Go Rando (ein Plugin, das bei Facebook zufällig eine Reaktion auswählt) und Order of Magnitude (ein 47minütiger Film, der Ausschnitte von Mark Zuckerberg zeigt, in denen deutlich wird, worum es ihm vor allem geht: mehr, mehr, mehr!)


Empfehlungen fürs Wochenende

  • How to destroy surveillance capitalism: Cory Doctorow, ein kanadischer Science-Fiction-Autor und einer der bekanntesten Blogger der Welt, hat bei Medium einen Longread (Lesezeit: 109 Minuten!) veröffentlicht, das sich als Sequel zu Shoshana Zuboffs Buch „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ versteht: How to destroy surveillance capitalism. Ehrlichweise hatten wir selbst noch nicht die Zeit, den gesamten Text zu lesen. Da Doctorow aber zu den smartesten Vordenker des World Wide Web gehört, empfehlen wir seinen Text zunächst auch gern „blind“. Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit seinen Thesen folgt.
  • Freedom is a serious crime: Wer sich für künstlerisch gestaltete Kurz-Dokumentarfilme interessiert, sollte sich 4:43 Minuten Zeit nehmen und „Freedom is a serious crime“ auf Vimeo schauen. Der Film widmet sich den Protesten in Hongkong und ist definitiv ein Augenöffner.


Neue Features bei den Plattformen

Instagram

Messenger

  • Rooms individualisieren: Nutzerïnnen von Facebook Rooms können nun ihre Hintergründe einfacher personalisieren (Messengernews / Facebook) . Nichts spricht mehr gegen einen Call aus dem Weltraum.

TikTok

  • TikTok über Alexa steuern: Ungeachtet des politischen Hickhacks führt TikTok munter neue Features ein – etwa die Option, TikTok auch über Alexa-Sprachbefehle (Newsroom TikTok) zu steuern. Zwar lassen sich so noch nicht ganze Videos posten, sehr wohl aber können Nutzerïnnen die App per Sprache öffnen und innerhalb der App nach bestimmten Videos suchen.

Twitter

  • Kontext ist Queen: Bei Twitter erhalten Nutzerïnnen jetzt mehr Context zu Usern (Twitter Supporrt), von denen sie erstmals eine DM erhalten. Stop the creep!

One more thing

  • Stichwort Selbstüberschätzung: Dieses Video auf Twitter ist einfach zu herrlich…


Header-Foto von Florian Olivo bei Unsplash