Facebook kuschelt mit Konservativen: Angestellte leaken angebliche Vorzugsbehandlung
Was ist
In den vergangenen Wochen sind vier interessante Recherchen erschienen, die zusammengenommen einen seltenen Einblick in das Innenleben von Facebook ermöglichen. Sie zeichnen das Bild eines Unternehmens, das alles tut, um Republikaner und Rechte zu besänftigen.
Facebook soll für konservative Stimmen immer wieder Ausnahmen machen – und damit zunehmend die eigenen Angestellten verärgern. Angeblich zieht sich ein tiefer Graben durch die Belegschaft, Mitarbeiterïnnen sprechen von "beispiellosen" Konflikten.
Was wir nicht wissen
Eine wichtige Einschränkung gleich zu Beginn: Wir haben für die Vorwürfe keine eigenen Quellen. Normalerweise versuchen wir, solche Anschuldigungen auf Plausibilität gegenzuchecken, bevor wir darüber berichten. Aufgrund unserer Sommerpause war uns das bislang nicht möglich. Zudem ist es für einen kleinen deutschsprachigen Nischen-Newsletter natürlich schwer, auf die Schnelle Informantïnnen in den USA aufzutreiben.
Die Recherchen bestätigen sich teils gegenseitig und stammen von vertrauenswürdigen und gut vernetzten Journalistïnnen, denen wir aufgrund ihrer früheren Arbeit ein gewisses Grundvertrauen entgegenbringen.
Doch selbst Casey Newton, neben Steven Levy wohl der Reporter mit dem direktesten Draht zu Facebook, erhält für seinen "The Interface"-Newsletter regelmäßig "Pushbacks" von Facebook-Angestellten, für die er eine eigene Kategorie eingerichtet hat: In der jeweils folgenden Ausgabe schreibt er dann, was Mitarbeiterïnnen an seiner Darstellung auszusetzen hatten.
Im aktuellen Fall äußern sich die Angestellten teils mit vollem Namen, viele der Zitate stammen aus Screenshots interner Foren. Es geht nicht darum, dass die Vorwürfe nicht zutreffen – es geht darum, ob sie ein repräsentatives Bild zeichnen. Facebook hat rund 50.000 Angestellte. Wenn ein kleiner Teil davon rebelliert, ist das immer noch relevant. Aber es ist eben nicht mehr als eine laute Minderheit.
Eines kann man aber mit Sicherheit sagen: Bestimmt gab es auch früher kontroverse Entscheidungen und hitzige interne Diskussionen. Neu ist, dass der Dissens nach außen dringt. Spannend für uns – für Facebook wohl eher lästig.
Warum das wichtig ist
Anfang Juni schrieben wir (#643):
"Wir erklären, warum der mächtigsten CEO der Welt ein gewaltiges Problem hat: den mächtigsten Politiker der Welt. Moralische Grenzen überschreitet Trump täglich – nun muss sich Mark Zuckerberg entscheiden, ob der US-Präsident auch Facebooks eigene Regeln bricht. Die Antwort auf diese Frage wird das Unternehmen Facebook auf Jahre hinaus prägen."
Die Ereignisse der vergangenen Wochen bestätigen diese Prognose. Es geht nicht nur um Donald Trump, sondern um den Großteil des rechten bis rechtsradikalen Lagers. Die US-Gesellschaft ist tief gespalten, und egal wie sich Facebook verhält, irgendjemand wird sich immer schlecht behandelt fühlen – oder öffentlich über die angebliche Voreingenommenheit Facebooks lamentieren und damit die eigenen Anhängerïnnen in Rage versetzen.
Nun zeigt sich: Der Riss zieht sich nicht nur durch die Gesellschaft, sondern auch durch die Teams von Facebook. Zumindest ein Teil der Mitarbeiterïnnen verlangt, dass Zuckerberg noch vor der US-Wahl Stellung bezieht und Trump Grenzen setzt.
Das sind die Recherchen
- Am 23. Juli schreiben Ryan Mac und Craig Silverman über eine angebliche Revolte von Facebook-Angestellten gegen Doppelstandards und den Kurs von Zuckerberg: "Hurting People at Scale" (BuzzFeed)
- Zwei Wochen später legen die beiden Reporter nach und berichten über weitere schwere Konflikte: "Facebook Fired An Employee Who Collected Evidence Of Right-Wing Pages Getting Preferential Treatment" (BuzzFeed)
- Kurz darauf bestätigt Olivia Solon den Bericht und beschreibt, wie Facebook rechte Medien und Prominente hofiert: "Sensitive to claims of bias, Facebook relaxed misinformation rules for conservative pages" (NBC)
- Am Donnerstagabend erscheint die dritte Recherche von Mac und Silverman. Sie fassen die teils empörten Reaktionen der ausgebooteten Faktenchecker zusammen und zeigen, wie intransparent das System funktioniert: "Facebook’s Preferential Treatment Of US Conservatives Puts Its Fact-Checking Program In Danger" (BuzzFeed)
Das sind die Vorwürfe
Wir bündeln die Kernaussagen der drei Texte und ergänzen sie mit Kontext aus anderen Recherchen und unseren eigenen Briefings. In den Fällen, wo sich die Journalistïnnen auf Screenshots oder andere eindeutige Belege beziehen, verzichten wir auf den Konjunktiv.
- Aktuelle und ehemalige Facebook-Mitarbeiterïnnen finden drastische Worte für die Entscheidungen, die Zuckerberg und andere Managerïnnen jüngst getroffen haben. "We are failing”, sagt einer. "And what's worse, we have enshrined that failure in our policies."
- Ein Programmierer im Sabbatical spricht von zerstörtem Vertrauen: "I can’t shake the feeling that the company leadership has betrayed the trust my colleagues and I have placed in them."
- Immer wieder wird der Einfluss des früheren Republikaners Joel Kaplan thematisiert, der direkten Einfluss auf etliche Entscheidungen des Policy-Teams genommen haben soll. Teil habe er aktiv interveniert, um zu verhindern, dass konservative Seiten bestraft werden.
- Im Mai beleuchtete das Wall Street Journal die Rolle Kaplans, wir fassten den Bericht in Briefing #642 zusammen.
- Intern soll Zuckerberg kritische Fragen nach Kaplan abwehren und darauf verweisen, Facebook benötige politische Diversität.
- Ein Angestellter, der Belege dafür sammelte, dass Facebook konservative Seiten eine Verzugsbehandlung erteile, wurde gefeuert. Die Sichtbarkeit der Belege wurde eingeschränkt.
- Facebook dementiert einen Kausalzusammenhang. Der Mitarbeiter habe gegen Regeln der "respektvollen Kommunikation" verstoßen.
- Tatsächlich ist der Tonfall des Postings ziemlich scharf: "Just like all the robber barons and slavers and plunderers who came before you, you are spending a fortune you didn’t build", greift der Mitarbeiter Zuckerberg an. "No amount of charity can ever balance out the poverty, war and environmental damage enabled by your support of Donald Trump."
- Im vergangenen halben Jahr hat Facebook verhindert, dass rechte Seiten und Prominente wie Breitbart, Diamond and Silk, PragerU und Charlie Kirk bestraft werden, weil sie Falschbehauptungen verbreiteten.
- Eigentlich werden Seiten gedrosselt, wenn sie dreimal Links oder Beiträge teilen, die Facebooks Faktenchecker als falsch einstufen.
- In mehreren Fällen haben sich die betroffenen Seiten direkt bei Facebook beschwert. Daraufhin wurde die Einstufung in Abstimmung mit den Faktenchecken zurückgenommen oder abgeschwächt, sodass das 3-Strikes-System nicht mehr griff.
- Teils wurden wirtschaftliche Gründe genannt. Ein Facebook-Angestellter gab eine Beschwerde mit hoher Priorität an seine Vorgesetzten weiter und schrieb, es sei "especially worrisome due to PragerU having 500 active ads on our platform".
- Seiten wie PragerU verwandeln die Strikes teils in Geld: Sie starten auf Facebook Spendenkampagnen, weil Facebooks angeblich voreingenommene Faktenchecker sie willkürlich zensierten. Empörte Nutzerïnnen spenden jedes Mal Zehntausende Dollar, PragerU soll auf diese Art insgesamt mehr als 400.000 Dollar eingenommen haben.
- Facebook hat rechtsextreme Anzeigen erst mit Verzögerung und nach Medienanfragen entfernt, obwohl Zuckerberg etwas anderes anderes behauptet hatte.
- Facebook-Angestellte erhalten monatlich 250 Dollar Werbebudget. Sie dürfen das Geld, angeblich aus Neutralitätsgründen, aber nicht in Werbung für Bürgerrechtsorganisationen stecken.
- In einer internen Gruppe namens "Let’s Fix Facebook (the company)" tauschen sich rund 10.000 Angestellte über Missstände aus.
- Knapp 3000 Angestellte wollten bei einem internen Meeting von Zuckerberg wissen, wie Facebook sich verhalten werde, wenn Trump die Plattform benutzen sollte, um das Vertrauen in die Wahl zu beschädigen oder das Ergebnis anzuzweifeln.
- Zuckerberg spricht von einer "bislang einmaligen Situation", für die es noch keine abschließende Policy gebe.
Be smart
Zuckerberg dürfte wenig für Trump übrig haben. Immer wieder hat er die Äußerungen des Präsidenten in internen Meetings und öffentlichen Statement als "disgusting" oder "disturbing" bezeichnet. Aber er ist ein Machtmensch, der das Beste für sein Unternehmen herausholen will. Deshalb ist es nur logisch, dass er sich um gute Beziehungen zu Trump und den Republikaner bemüht.
Wie unsinnig der Vorwurf des anti-konservativen Bias im Silicon Valley ist, beschrieben wir unter anderem in Briefing #643. Trotzdem hält sich die Unterstellung hartnäckig (CJR) und wird von den Republikanern bei jeder Gelegenheit öffentlich wiederholt, zuletzt beim Antitrust-Hearing vor dem Kongress.
Leider verfängt das: Ein Großteil von Trumps Unterstützerïnnen ist fest davon überzeugt, dass die großen Plattformen ihre Meinungen unterdrücken. Um diesem unbegründeten Eindruck entgegenzuwirken, begehen die Konzerne einen Fehler, den schon viele Medien begangen haben (NYT):
"The biggest one is about false balance, and false symmetry. The American right and left have never been mirror images of each other. They’re different sorts of coalitions, with different histories and strategies."
"And in the Trump era, a specific kind of misinformation on social media is a central tactic of the right. President Trump says false and misleading things at a remarkable rate, and a whole constellation of blogs and websites, like The Gateway Pundit, support and amplify that strategy."
"Facebook, Google and Twitter are making the same mistakes the news media made decades ago, looking for balance rather than confronting the plain reality of the moment."
Social Media & Politik
- Zensur-Vorwürfe bei TikTok-Mutter: ByteDance soll bei einer in Indonesien populären News-App einem Reuters-Bericht zufolge von 2018 bis Mitte 2020 China-kritische Inhalte zensiert haben.
- Labels für Staatsmedien bei Twitter: Russische und chinesische Staatsmedien werden bei Twitter fortan mit einem Hinweis für staatsnahe Medien versehen. Zudem werden Tweets dieser Medien nicht mehr empfohlen. Twitter schreibt: We will also no longer amplify state-affiliated media accounts or their Tweets through our recommendation systems including on the home timeline, notifications, and search. Das Ziel sei eine bessere Unterscheidung zwischen freier Presse und Angeboten, die Propaganda-Zwecken dienen.
Datenschutz-Department
- Unlauteres Datensammeln bei TikTok: Das Wall Street Journal berichtet, dass TikTok mehr als ein Jahr lang die MAC-Adressen (aka Geräteadresse) seiner Nutzerïnnen mit Android-Smartphones gesammelt haben soll. Durch diese Praxis lässt sich mehr über Nutzerïnnen erfahren, was gerade für Werber sehr interessant ist. Bei Google ist diese Praxis bereits seit 2015 verboten (SZ). Bei Apple sogar bereits seit 2013. Zum November letzten Jahres wurde das Sammeln eingestellt.
Schon einmal im Briefing davon gelesen
- Community building mit Circle: Es gibt eine neue spannende Plattform, um eine Community aufzubauen: circle.so. Bislang haben wir die Plattform nur rudimentär testen können. Da wir große Fans von Notion sind, fühlt sich Circle gleich sehr vertraut an. Wir werden die Plattform weiter im Auge behalten und freuen uns über Hinweise von euch, falls jemand ebenfalls bereits erste Erfahrungen mit Circle gesammelt hat.
Neue Features bei den Plattformen
- Replies einschränken: Bei Twitter können Nutzerïnnen jetzt auswählen, wer auf einen Tweet antworten kann. Es gibt drei offizielle und eine inoffizielle Option:
1) Alle
2) Leute, denen du folgst
3) Nur Nutzerïnnen, die du erwähnst
4) Niemand , wenn Option Nr. 3 ausgewählt und kein anderer Account erwähnt wird - Natürlich lässt sich über einen Retweet mit Kommentar weiterhin auf einen Tweet Bezug nehmen. Allerdings verändert das nicht Twitters Intention: Es geht darum, die toxische Diskussionskultur zu unterbinden, die auf Twitter Alltag ist. Durch die Einführung dieser neuen Optionen verhindert Twitter, dass direkt unter einem Tweet auf den Verfasser eingedroschen werden kann. Dass jemand über den Umweg eines Replied Retweets auf den Tweet Bezug nimmt, ist dort nicht direkt sichtbar. Möge Twitter ein angenehmerer Ort werden.
- Neue API: Jahreslang lag Twitter mit Entwicklerïnnen und Hardcore-Nutzerïnnen im Clinch. Der Grund: Twitter ermöglichte jahrelang, dass auf der Grundlage der API – also quasi der Daten-Schnittstelle zum Unternehmen – viele spannende Apps & Features entstehen konnten, die Twitter selbst so noch gar nicht entwickelt hatte: Tweetdeck ist ein Beispiel unter vielen. Irgendwann schaltete Twitter die API für solche Zwecke ab, interessante Drittanbieter-Apps wurden quasi über Nacht unbrauchbar. Jetzt scheint sich Twitter auf seine Anfänge zu besinnen und bietet eine grunderneuerte API an (Heise).
Header-Foto von Camila Rubio Varón bei Unsplash
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