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Trumps Kampfansage an Facebook und Twitter, erklärt

Trumps Kampfansage an Facebook und Twitter, erklärt

Was ist

In den vergangenen Tagen sind drei Dinge passiert, die drei ungewöhnliche Monate beenden:

Seit Ausbruch der Corona-Krise haben Facebook, Twitter und Google eine ganz neue Erfahrung gemacht. Sie wurden gelobt – oder zumindest nicht aus allen Richtungen kritisiert. Auch in unserem Briefing haben wir den Plattformen für ihre Bemühungen (Witness) Respekt gezollt, die Infodemie einzudämmen. In Ausgabe #633 schrieben wir etwa:

"Facebook hat etliche Maßnahmen angekündigt und umgesetzt, die helfen sollen, das Virus aufzuhalten. Die Schlagzahl ist beeindruckend, und die Entschlossenheit ist ungewohnt. In der Vergangenheit reagierte Facebook oft nur zögerlich und nach massivem öffentlichen Druck."

Natürlich war trotzdem nicht alles perfekt: Mehr als 100 Medizinerïnnen und Gesundheitsexpertïnnen forderten die Plattformen in einem offenen Brief (Avaaz) auf, mehr gegen Lügen und Gerüchte zu unternehmen, die sich über das Coronavirus verbreiten. Doch obwohl eine Welle der Desinformation das Netz flutete, richtete sich der Großteil der Aufmerksamkeit nicht auf die Plattformen, sondern auf die Verbreiterïnnen.

Die kurze Ära ist seit Dienstag Geschichte: Die Monate, in denen die Pandemie vergleichsweise unpolitisch war, sind vorbei. In den USA hat der Wahlkampf begonnen, und egal, was Facebook und Twitter tun – sie werden es nicht allen recht machen können.

 

Warum das wichtig ist

Bevor wir die drei Ereignisse im Einzelnen analysieren, erklären wir, warum wir uns überhaupt so ausführlich mit dem Thema beschäftigen. Was auf den ersten Blick nach einem weiteren Wutanfall des US-Präsidenten aussieht, an die man sich nach dreieinhalb Jahren eigentlich schon gewöhnt hat, wirft grundlegende Fragen auf:

 

Was Twitters Faktencheck ausgelöst hat

Seit Dienstag ist so viel in so schneller Abfolge passiert, dass man leicht den Überblick verlieren kann. Deshalb zunächst eine Timeline der Ereignisse:

That escalated quickly. Der Versuch einer Einordnung:

 

Was hinter Trumps Vorwürfen steckt

An dieser Stelle kommen die beiden anderen Ereignisse ins Spiel, die wir erwähnt haben: die Recherche des WSJ und das Urteil des US-Berufungsgerichts in Washington (Bloomberg). Beide zeigen, wie Republikaner seit Jahren behaupten, das Silicon Valley kuschle mit und kusche vor den Demokraten. Obwohl die Vorwürfe haltlos sind, versucht vor allem Facebook, Trump zu besänftigen.

Das Gerichtsurteil ist schnell zusammengefasst:

Der WSJ-Artikel ist komplexer:

 

Wie Facebook sich von Twitter abgrenzt

Während Trump Twitter attackiert, versucht Zuckerberg, bloß nicht in den Streit mit hineingezogen zu werden:

Zuckerberg übersieht oder ignoriert dabei aber drei Dinge:

  1. Facebooks Algorithmen entscheiden zwar nicht, was wahr oder falsch ist, wohl aber, was vermeintlich "relevant" ist. Damit beeinflussen sie, welche Inhalte Milliarden Menschen täglich sehen. Das wichtigste Kriterium dabei sind Likes und Kommentare, die wiederum stark von Emotionen der Nutzerïnnen beeinflusst werden. Keine Plattform, die Inhalte maschinell gewichtet, ist neutral – auch Facebook nicht.
  2. Die Vorwürfe aus dem Lager der Republikaner sind unbegründet: Trump dominiert mit seinen Inhalten die sozialen Netzwerke, konservative Medien wie Fox News und noch weiter rechtsstehende Portale sammeln die meisten Interaktionen. Es gibt keine inhaltlichen Gründe, Trump so weit entgegenzukommen – nur machtpolitische.
  3. Zwischen Tatenlosigkeit und vermeintlicher Zensur gibt es einen Mittelweg: Twitter hat Trumps Tweets ja eben nicht gelöscht, sondern einen zurückhaltend formulierten Hinweis eingeblendet. Auch Facebook könnte zumindest die Sonderbehandlung überdenken, die Beiträge und vor allem Anzeigen von Politikerïnnen genießen: Derzeit wird politische Werbung explizit von Faktenchecks ausgenommen – Trump kann also dafür bezahlen, dass Facebook seine Lügen einem noch größeren Publikum ausspielt.

 

Be smart

Der Guardian nennt zwölf Gründe, warum Twitter Trump komplett von seiner Plattform verbannen sollte. Das klingt nachvollziehbar, ist aber unrealistisch. Die aktuellen Ereignisse zeigen, dass bereits ein viel kleinerer Anlass zu einer maßlosen Überreaktion führt – wir können und wollen uns nicht vorstellen, was passieren würde, sollte Twitter Trumps Account schließen.

Charlie Warzel zieht ein pessimistisches Fazit:

"The damage — at least for this generation of world leaders — is nearly impossible to reverse. Banning Mr. Trump from Twitter, just like fact-checking one or two of his lying tweets, might feel good and might make the platform feel less toxic for a while. But it’s still just tinkering on the margins. It won’t fix the deeper structural problems that have created our information apocalypse. For that, we’re going to need a far bigger reckoning — one that certainly includes but also goes well beyond the platforms."

Warten wir auf den 3. November 2020 – dann wird in den USA gewählt.