Was ist

Zoom ist in aller Munde und vor aller Augen. Die Plattform für Videokonferenzen zählt zu den größten Profiteuren der Corona-Krise. In Zeiten von Physical Distancing versuchen Menschen, zumindest virtuell sozialen Kontakt aufrechtzuerhalten – und das funktioniert auf Zoom so gut wie mit kaum einem anderen Dienst.

Was kommt

Der steile Aufstieg von Zoom hat schlafende Riesen geweckt. Das Silicon Valley reagiert spät, aber mit aller Macht: Facebook, Google und Microsoft wollen ihren Teil vom Videokuchen abhaben und verteilen intern Ressourcen neu, um ihre Produkte möglichst schnell auf Augenhöhe mit Zoom zu bringen – und nach Möglichkeit vorbeizuziehen.

Auch der Rest der Tech-Branche will mitspielen: Verizon hat den Dienst BlueJeans gekauft, Cisco pusht Webex als sichere Alternative zu Zoom (mit der wir in einem Test gute Erfahrungen gemacht haben), und auch Telegram hat Videotelefonie für Gruppen angekündigt.

Wir werden uns an dieser Stelle aber auf Facebook, Google und Microsoft beschränken – diese Konzerne haben qua Marktmacht und strategischen Möglichkeiten schlicht die größten Chancen, Zooms Siegeszug zu stoppen.

Warum das wichtig ist

„Online Konferenzen werden das neue Normal, und face to face wird der neue Luxus.” Das sagte der Futurist Gerd Leonhard bereits Anfang März (dirkvongehlen.de). In einem aktuellen Blogeintrag führt Dirk den Gedanken weiter aus:

„Das Internet ist nicht nur Dokumentationsmedium, sondern vor allen Dingen ein Erlebnismedium. Teil- und Einflussnahme am Entstehen sind hier wertvoller Bestandteil der bisher als abgeschlossen gedachten Inhalten in allen erdenklichen Formen. Durch die Corona-Krise wird dieser Wandel vom Produkt zum Prozess auch für vormals weniger digitale Menschen greif- und fühlbar. Der Live-Stream macht aus Text, Bild und Ton ein Erlebnis, aus dem womöglich neue Finanzierungsmethoden erwachsen können – wenn wir anfangen, ‚live‘ zu denken.“

Wir sind überzeugt, dass Dirk Recht hat. Die Pandemie hat eine Entwicklung beschleunigt, die sonst womöglich erst in einigen Jahren spürbar geworden wäre. Die Grenzen zwischen analoger und virtueller Realität werden verschwimmen, digitale Zusammenkünfte werden zunehmend normal werden.

Für Kulturpessimisten ist diese Vorstellung ein Graus („aber ‚echter’ Kontakt ist doch viel wertvoller”). Wir sehen in erster Linie die langfristigen Vorteile:

  • Im Privatleben müssen virtuelle Treffen analoge Begegnungen ja nicht ersetzen, sondern können sie ergänzen. Ein Zoom-Bier ist (oft) netter als ein Glas Wein allein.
  • Im Arbeitsleben dürften viele Unternehmen feststellen, dass strikte Präsenzkultur ein Dinosaurier ist. Home-Office, flexible Arbeitszeiten und Videokonferenzen können viele Mitarbeiterïnnen das Leben erleichtern.
  • Manchmal müssen Arbeitgeber zu ihrem Glück gezwungen werden. Das Coronavirus hat verkrustete Strukturen eingerissen, die nach der Krise kaum wieder alle aufgebaut werden dürften.

Kurzum: Videokonferenzen und Livestreams haben gerade ihre 15 Weeks of Fame. Wir glauben, dass daraus ein Dauerzustand werden wird, der Sozial- und Berufsleben prägt.

Was Zahlen und Fakten sagen

  • Einer Analyse von App Annie zufolge sind die Downloads von Zoom im vergangenen Monat um 740 Prozent gestiegen.
  • Vor dem Ausbruch des Coronavirus hatte Zoom 10 Millionen Nutzerïnnen – jetzt sind es mehr als 300 Millionen.
  • In den vergangenen Wochen haben sich 50 Millionen Menschen bei der Videochat-App Houseparty angemeldet, hinter der Fortnite-Entwickler Epic Games steckt.
  • Zoom hat bereits den Einzug in Popkultur und Alltagssprache gehalten. Begriffe wie „Zoombombing” (Wikipedia – mit 39 Quellen!) Und „Zoom-Fatigue” (SZ) zeigen, wie allgegenwärtig der Dienst ist.
  • Auch andere Dienste wachsen rasant: Täglich melden sich drei Millionen Menschen bei Google Meet an, die Zahl der täglichen Nutzerïnnen liegt bei mehr als 100 Millionen.
  • Facebooks Zahlen sind noch eindrücklicher: 700 Millionen Menschen videotelefonieren täglich mit dem Messenger und WhatsApp.

Was Facebook macht

Mark Zuckerberg soll Entwicklerïnnen auf neue Video-Produkte angesetzt haben (NYT), nachdem er gesehen hat, wie erfolgreich Zoom ist. Angeblich haben sich Facebook-Mitarbeiterïnnen in internen Foren staunend über die Zahlen ausgetauscht, die Zoom vorlegt.

Im Gespräch mit Casey Newton (The Verge) sagt Zuckerberg selbst, dass ihm das Thema Video am Herzen liegt:

„I’m very focused on remote presence: being able to feel like you’re with a person even when you can’t physically be there.“

Er glaubt, dass sich die aktuelle Entwicklung fortsetzen wird:

„I’m sure there’s some kind of temporary peak now, but the trend has been going this direction for a while. (…) And I think that this period will accelerate that permanently by a few years.“

Deshalb hat Facebook eine Reihe von Updates verkündet (Facebook-Newsroom), die sich alle um das Thema Video drehen und im Laufe der kommenden Tage oder Wochen weltweit freigeschaltet werden:

  • Messenger Rooms ist eine Mischung aus Zoom und Houseparty: Nutzerïnnen können Chat-Räume eröffnen und bis zu 50 Teilnehmerïnnen einladen.
  • Man muss niemanden anrufen, sondern kann Rooms direkt aus der Facebook- oder Messenger-App heraus nutzen. Die Funktion taucht im Newsfeed, in Gruppen und auf Event-Seiten auf.
  • Bald soll Rooms für WhatsApp, Instagram und Facebooks Smart-Speaker Portal folgen.
  • Im Gegensatz zu WhatsApp ist die Video-Verbindung nicht Ende-zu-Ende-verschlüsselt. Facebook sagt aber, dass es daran arbeite (Facebook-Newsroom).
  • Das Unternehmen verspricht, keine Inhalte zu erfassen und die Metadaten nicht zu nutzen, um Anzeigen zu personalisieren.
  • Die Videoanrufe bei WhatsApp werden von vier auf acht Personen erweitert.
  • Facebook Live und Instagram Live erhalten etliche neue Funktionen, unter anderem kann man bald Geld verlangen, wenn man einen Livestream erstellt – spannend für Künsterïnnen oder Online-Seminare.

Was Google macht

Allo, Duo, Hangouts, Messages, Meet, Talk – Google hat in den vergangenen Jahren etliche Messenger und Videokonferenz-Dienste vorgestellt und teils wieder beerdigt. Auch wir haben Mühe, in dem Messenger-Chaos den Überblick zu behalten. Kürzlich wurde Hangouts Meet zu Meet (Google Cloud) und Hangouts Chat zu Chat (The Verge).

Es läuft also noch nicht alles rund bei Google, wie eine (leicht gekürzte) Anekdote zeigt, die das Unternehmen der New York Times zwar nicht bestätigen wollte – die Google aber auch nicht dementiert:

„Philipp Schindler, Google’s chief business officer, held a videoconference with thousands of the search giant’s employees using Google Meet. During the session, one employee asked why Zoom was reaping the biggest benefits even though Google had long offered Meet.

Mr. Schindler tried placating the engineer’s concerns, the people said. Then his young son stumbled into view of the camera and asked if his father was talking to his co-workers on Zoom. Mr. Schindler tried correcting him, but the boy went on to say how much he and his friends loved using Zoom.“

Immerhin scheint Google allmählich herauszufinden, welche Dienste es dauerhaft beibehalten will: Duo und Meet – einen unkomplizierten Facetime-Konkurrenten für private Anrufe, ein mächtigeres Tool für größere Gruppen und Unternehmen.

  • Im Laufe der vergangenen Monate hat Google Duo immer weiter aufgebohrt. Kürzlich kam ein größeres Update hinzu (Google-Blog), das unter anderem nochmals deutlich verbesserte Video-Qualität verspricht und die Zahl der möglich Teilnehmerïnnen bei Gruppentelefonate auf zwölf erhöht.
  • In unseren Tests war Duo unkompliziert und fast immer zuverlässig. Vor allem die Bildqualität überzeugt, insbesondere bei langsamem Wlan oder schlechtem mobilen Netz.
  • Bislang war Meet Business-Kundïnnen vorbehalten, die Googles G Suite abonniert haben. Nun wird die Plattform für alle Nutzerïnnen freigeschaltet – während Duo auch ohne Google-Konto funktioniert, braucht es für Meet aber einen Account.
  • Die Plattform ermöglicht Gruppenanrufe mit bis zu 100 Teilnehmerïnnen, bis 30. September gibt es keine zeitliche Begrenzung. Danach gilt ein Limit von 60 Minuten.
  • Native Apps gibt es nur für mobile Betriebssysteme, auf dem Desktop läuft Meet im Browser.
  • Google setzt auf Integration mit seinen bestehenden Diensten und verwebt Meet etwa eng mit Gmail. Außerdem soll das Bundle mit G Suite und dem Google Drive attraktiv für Unternehmen sein.

Was Microsoft macht

Genau wie Google hat Microsoft zwei Produkte im Portfolio: Skype und Teams. Ganz im Gegensatz zu Google scheint Microsoft aber nicht überzeugt zu sein, ob beide Dienste dauerhaft parallel existieren sollen – ein Statement ist vielsagend (The Verge):

„For now, Skype will remain a great option for customers who love it and want to connect with basic chat and video calling capabilities.“ The ‚for now‘ part of that statement is a telling sign that Microsoft’s focus is now Teams, not Skype.“

Wäre Skype noch ein eigenständiges Unternehmen und gäbe es noch Aktien zu kaufen – wir würden unser Geld woanders investieren.

Die Zahl der Menschen, die Skype täglich nutzen, stieg im vergangenen Monat zwar um 70 Prozent auf 40 Millionen. Im Vergleich zur Konkurrenz ist das aber überschaubar – zumal Skype auf allen Windows-Rechnern vorinstalliert ist und damit eigentlich einen großen Wettbewerbsvorteil haben sollte.

Das Unternehmen pusht stattdessen Teams und will die Plattform, die sich einst nur an Unternehmen richtete, auch für Privatnutzerïnnen attraktiv machen (VentureBeat):

The company wants you to use Teams to plan trips, neighborhood gatherings, and book club meetings. You can share photos and videos in a group chat and make video calls, as you might expect. Additionally, you will soon be able to collaborate over shared to-do lists, assign tasks to specific people, and coordinate schedules.

Microsoft selbst bezeichnet Teams als „All-in-one-Hub für Arbeit und Leben”, während Skype in erster Linie eine Chat- und Video-Plattform sei. Die Update-Frequenz zeigt aber eindeutig, welcher Dienst höhere Priorität genießt.

Einem Bericht von The Verge zufolge will Microsoft Teams möglichst schnell neue Funktionen verpassen und hat dafür Entwicklerïnnen von anderen Aufgaben abgezogen. Skype Business ist bereits in Teams aufgegangen, Skype könnte folgen.

Ähnlich wie Mark Zuckerberg hält Jared Spataro, der das Team für Microsoft 365 leitet, den aktuellen Boom für eine nachhaltige Entwicklung (The Verge)

„The new normal is not going to be, like what I thought two weeks ago, that all is clear, go back everybody. There will be a new normal that will require us to continue to use these new tools for a long time. (…) I really feel this will be a turning point for how we work and learn because there are just some very real practical things happening that will mean we’ll never go back to the old way.“

Während Google Meet mit G Suite verwebt, will Microsoft Teams als Argument für das Microsoft-365-Abo (bis vor kurzem bekannt als Office 365) nutzen. Der Lock-in-Effekt, der bislang vor allem für Betriebssysteme und soziale Netzwerke galt, greift zunehmend auf Software-Bundles über.

Was Zoom macht

Während das halbe Valley das Kriegsbeil ausgegraben hat, gibt sich Zoom-Chef Eric Yuan ganz entspannt (NYT:

„Zoom’s chief executive, Eric Yuan, said in an interview this month that his company was not thinking about competition and was focused on users and their experience during a ‚once in a probably 100 years crisis.“

Das mag man glauben oder nicht (wir sind eher skeptisch). Fakt ist, dass Zoom momentan tatsächlich viel tut, um sein Produkt zu verbessern.

Die Plattform ist zwar einfach zu verstehen, leicht zu bedienen und funktioniert zuverlässig – auf den zweiten Blick gibt es aber etliche Mängel bei Datenschutz und Privatsphäre, die wir in Briefing #627 aufgelistet haben.

In Ausgabe #628 folgte das Update: Anfang April versprach Yuan im Blog des Unternehmens, man werde 90 Tage lang keine neuen Funktionen entwickeln, sondern sich darauf konzentrieren, Sicherheitslücken zu stopfen und Daten besser zu schützen.

Am Montag wurde Version 5.0 veröffentlicht – mit besserer Verschlüsselung und der Möglichkeit, Daten nicht mehr durch China leiten zu lassen. Dafür ist allerdings ein kostenpflichtiger Account nötig.

Be smart

Facebook hat Konkurrenten in der Vergangenheit oft einfach aufgekauft. Doch Zoom wird sich nicht schlucken lassen, wie das etwa bei WhatsApp und Instagram möglich war. Dafür ist das Unternehmen zu groß und mit einer Bewertung von knapp 50 Milliarden Dollar (Business Insider) auch zu teuer.

Snapchat und TikTok haben gezeigt, dass es möglich ist, sich dauerhaft zu etablieren, obwohl Facebook alles kopiert, was nicht bei Drei ein Patent angemeldet hat.

Die Technikgeschichte zeigt aber auch, dass Erfolg vergänglich ist. Wäre Covid-19 2011 ausgebrochen, hätte der große Krisengewinner Skype geheißen. Damals zahlte Microsoft 8,5 Milliarden Dollar für den Dienst, der so allgegenwärtig war, dass Skypen sogar ins Oxford-Dictionary aufgenommen wurde – nachdem The Onion zuvor noch Witze darüber gerissen hatte.

Doch es folgte eine Reihe von Fehlentscheidungen (The Verge), Microsoft verschlief die mobile Revolution, setzte auf die falsche Technologie, wollte zwischenzeitlich Snapchat kopieren und manövrierte Skype so ins Abseits.

Niemand weiß, ob Zoom-Chef Yuan die kommenden Trends frühzeitig antizipiert, um sein Unternehmen dauerhaft konkurrenzfähig zu halten. Google und Microsoft haben durch die Integration in G Suite und Microsoft 365 Vorteile – und Facebook kontrolliert drei der wichtigsten Plattformen der Welt, vernetzt 2,5 Milliarden Menschen und kann neue Produkte wie Rooms nahtlos integrieren.

Für Zuckerberg scheint Video ohnehin nur eine Zwischenstation zu sein (The Verge):

Clearly, there are a bunch of things that are kind of weird about just staring at a video screen. I did a management team meeting in VR earlier, when everyone was working from home. And even though VR is earlier in its development, and video presence is more mature, there’s something about the feeling of space. (…) There was something that felt a lot more real about that in a way. I do think that there are things that we’ll get to over time. Video presence is not the end of the line.


Foto-Quelle: Gabriel Benois, Unsplash