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Halle und die Rolle von Netz, Medien und Online-Subkulturen, ARD/ZDF-Onlinestudie 2019, YouTube Regrets

Halle und die Rolle von Netz, Medien und Online-Subkulturen, ARD/ZDF-Onlinestudie 2019, YouTube Regrets

Salut und herzlich Willkommen zur 586. Ausgabe des Social-Media-Watchblog-Briefings. Heute setzen wir uns ausführlich mit dem Anschlag in Halle auseinander und schauen auf die Rolle von Netz, Medien und Online-Subkulturen. Zudem halten wir die wichtigsten Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie fest und lernen, wie unfassbar stressig das Leben von YouTube-Stars sein kann. Herzlichen Dank für das Interesse an unserem Newsletter – es ist uns eine Ehre, ihn Dir schicken zu dürfen! Merci, Simon & Martin

Halle: Die Rolle von Netz, Medien und Online-Subkulturen

Was ist: Ein rechtsradikaler, antisemitischer Terrorist hat in Halle zwei Menschen ermordet. Wäre er nicht an der Holztür einer Synagoge und seiner eigenen Unfähigkeit gescheitert, hätte er wohl Dutzende Juden umgebracht.

Was daraus folgt: Das Offensichtliche: Deutschland hat ein Problem mit Rechtsextremismus und Antisemitismus. Das Social Media Watchblog ist aber kein politischer Newsletter, deshalb konzentrieren wir uns auf Aspekte, die unsere Themengebiete berühren: Netz, Medien und Online-Subkulturen.

Wie sich der Terroranschlag verbreitete: Der Mörder von Halle filme sich selbst mit einer Helmkamera und übertrug das Video auf Twitch. Den Livestream sollen dort nur eine Handvoll Menschen gesehen haben. Allerdings blieb die Aufnahme eine halbe Stunde online. Nach Angaben von Twitch sahen in dieser Zeit etwa 2200 Menschen das Video.

Einige der Nutzerïnnen luden den Stream herunter und verbreiteten ihn an anderen Orten im Netz. Schließlich landeten Ausschnitte im deutschen Primetime-TV, große Online-Medien unterboten sich mit schaurigen Schlagzeilen und zeigten Screenshots aus dem Video. (Liebe Kollegïnnen: warum?)

Was Halle mit anderen Terroranschlägen verbindet: Christchurch, El Paso, Halle – Junge, weiße Männer vernetzen sich in Online-Foren und bestärken sich in ihrem Hass auf Frauen, Ausländer und Juden. Sie bringen Menschen um, streamen ihre Taten live im Netz, werden in ihren Subkulturen dafür gefeiert und hoffen auf maximale Aufmerksamkeit.

Nach Christchurch habe ich ausführlich beschrieben, welche Rolle Facebook, Youtube und Massenmedien spielen und wie sie dazu beitragen, den Terror in die Welt zu tragen (Briefing #533). Nach El Paso habe ich gefragt, ob sich Menschen im Netz radikalisieren und wie Medien über hasserfüllte, extremistische Subkulturen (4chan, 8chan, Teile von Steam etc.) berichten sollten (Briefing #570).

Diese Analysen sind nach wie vor aktuell, und ich will nicht meinen eigenen Papagei spielen. Deshalb beschränke ich mich auf einige Gedanken, die ich mir in den vergangenen Tagen zu dem Thema gemacht habe:

Was Politikerïnnen nun fordern: Neben mehr Maßnahmen gegen Rechtsextremismus (unbedingt), besserem Schutz für Jüdïnnen (absolut) und schärferen Sicherheitsgesetzen (nope) (Zeit Online) gibt es zwei Forderungen, die unsere Themengebiete im Watchblog berühren. Eine davon ist hanebüchen, die andere nur hanebüchen formuliert.

Hanebüchen: Mehr Online-Überwachung: Die CDU will die (von Gerichten mehrfach als verfassungswidrig verworfene) Vorratsdatenspeicherung wiederbeleben, die Kompetenzen des Verfassungsschutz ausbauen, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz verschärfen, eine Meldepflicht für Plattformen einführen und sichere Verschlüsselung aufbrechen. In der SZ erklärt Jannis Brühl, warum sich Deutschland aus diesem „Krypto-Krieg“ heraushalten sollte.

Hanebüchen formuliert: #Gamerszene: Am Wochenende schaffte es dieser Hashtag in die Twitter-Trends. Innenminister Horst Seehofer hatte gefordert, man müsse „die Gamer-Szene stärker in den Blick nehmen“. Dieser Tweet zeigt, dass die perfekte Antwort manchmal keine Worte braucht:

Bei allem berechtigten Spott (Spiegel), der sich am Wochenende über Seehofer ergoss, lohnt es sich aber, genauer hinzuschauen:

Autor: Simon Hurtz

ARD/ZDF Onlinestudie 2019

Was ist: Die ARD/ZDF-Onlinestudie untersucht jedes Jahr aktuelle Aspekte der Internetnutzung in Deutschland. Hier die Key-Facts aus der Pressemitteilung:

Be smart: Wenn die Ressourcen begrenzt sind, dann bietet die ARD/ZDF-Onlinestudie gute Anhaltspunkte dafür, um welche Plattformen und Inhalte man sich ab sofort einmal so ganz grundsätzlich kümmern sollte: Messenger, Instagram und Video. Noch besser aber ist es immer, wenn am Anfang die Frage steht: Welche Zielgruppe will ich eigentlich mit welchem Inhalt erreichen? Niemand muss auf allen Plattformen unterwegs sein.

YouTube Regrets

Was ist: Seit Jahren warnen Forscher und Journalisten vor YouTubes „Rabbit Hole“ – der verheerenden Spirale des Empfehlungsalgorithmus, bei der immer krassere Videos serviert werden. Die Mozilla-Foundation präsentiert nun 20 üble „Einzelfälle“, um auf das Thema neuerlich aufmerksam zu machen. Zwei Beispiele:

Social Media & Politik

Trump goes Twitch: Nach Bernie Sanders versucht nun auch Donald Trump sein Glück auf Twitch. Was er mit seinem verifizierten Account anfangen möchte, ist noch nicht kommuniziert. Denkbar ist aber, dass er künftig seine Rallies dort streamen lässt.

Getting real mit den Dolan Twins

Was ist: Gerade in der letzten Ausgabe (Briefing #585) hatten wir auf einen Artikel des New Yorker aufmerksam gemacht, der sich mit dem neuen Genre „Getting Real“ beschäftigt. Darunter werden Videos und Posts verstanden, bei denen die Protagonisten ihren Fans „echte“ Einblicke in ihr Seelenleben gewähren – häufig tatsächlich ziemlich dramatisch. Genau das haben nun auch die Dolan Twins (Wikipedia) getan.

Völlig ausgebrannt: In ihrem 60-minütigen Video verkünden sie, dass sie nach fünf Jahren nun damit aufhören werden, wöchentlich ein Video hochzuladen. Das mag für die Fans spannend sein. Für mich als Beobachter ist aber vor allem spannend, warum sie es tun: sie sind völlig ausgebrannt und sehen keine Chance, sich persönlich weiterzuentwickeln. Drei Zitate:

I can’t have a life. I couldn’t change my version online into that person in real life. People who watched me liked me for that person being online.

We’ve been coached to build a brand since when we started to enter the world of social media.

You go through so many phases in your life and you feel like you have to be in the same phase on social media all the time.

Be smart: Klar, auch dieses Video soll unterhalten und zielt auf maximale Aufmerksamkeit ab – gerade durch die Koop mit Shane Dawson, einem der größten YouTuber überhaupt. Aber trotzdem sprechen die Brüder so viel von dem an, was grundsätzlich auf Social zu beobachten ist: alle „müssen“ zur Marke werden, das Publikum schätzt Personen für eine bestimmte Haltung, Wandel ist nur bedingt erwünscht. Auch die völlige Entgrenzung von Arbeit und Beruf, sowie der ständige Kampf um den Ausgleich von digitaler und privater Identität – alles Themen, die sich bei jedem von uns mal schwächer, mal stärker zeigen. Ich persönlich kann gut nachempfinden, was die Zwillinge in ihrem Video erzählen.

Schon einmal im Briefing davon gehört

Schlechter Start für Threads: Wenn ein Unternehmen wie Facebook eine neue App auf den Markt wirft, sollte man meinen, dass es automatisch ein Erfolg wird. Aber selbst für FB scheint das kein Selbstläufer zu sein. Der Analyse-Firma Apptopia zufolge wurde Instagrams neuer Messenger Threads in der ersten Woche nur 220.000 Mal heruntergeladen (Business Insider) – das sind nicht einmal 0,1 Prozent aller Instagram-NutzerInnen. Zum Vergleich: IGTV wurde in der ersten Woche 1,5 Millionen Mal heruntergeladen, bei Boomerang waren es 2,8 Millionen Downloads.

Neues von den Plattformen

Twitter

Kik

Tipps, Tricks und Apps

Instagram Best Practice: Spotify bietet Workshops für Musiker und Kreative aus der Musikindustrie an, um ihnen dabei zu helfen, mehr Fans zu gewinnen. Bei dem sogennanten Co Lab in Atlanta ging es dieses Mal vor allem um den visuellen Auftritt der Künstler und Kreativen. Neben Fragen nach Style und Corporate Identity, die für viele LeserInnen sowieso spannend sein dürften, ging es auch um die Performance auf Instagram. Preston Hershorn, Creator Marketing Lead bei Instagram, zeigt in seinem Vortrag, wie Instagram die unterschiedlichen Formate (Feed, Stories, Live, IGTV) sieht und was es braucht, um eine Community auf Instagram aufzubauen:

„The key is quality and frequency, balance promo posts with personal content (fans want to know what you like, what you care about…), have a conversation.“

Klingt ja eigentlich ganz simpel…

Header-Foto von Joseph Chan bei Unsplash