Salut und herzlich Willkommen zur 585. Ausgabe des Social-Media-Watchblog-Briefings. Heute beschäftigen wir uns mit der Zukunft von Instagram. Zudem beschäftigen wir uns damit, warum PolitikerInnen jetzt auf Facebook auch in Werbeanzeigen lügen dürfen. Zudem haben wir eine Geschichte gefunden, die einem wunderbar vor Augen führt, was es bedeutet, wenn man auf einmal (TikTok-) „famous“ ist.

Die schreckliche Tat in Halle wird in diesem Newsletter erst Thema sein, wenn wir mehr darüber wissen, welche Rolle soziale Medien bei der Tat selbst und womöglich auch bei der Radikalisierung des Täters spielten.

Wir bedanken uns für das Interesse an unserer Arbeit und senden herzliche Grüße, Martin & Team

Zur Zukunft von Instagram

Was ist: Instagram entwickelt sich unter dem neuen Chef Adam Mosseri rasant weiter. Während sich die App unter den alten Chefs (und Gründern) noch überwiegend an den Ursprüngen orientierte (read: dem Teilen von Fotos), baut Mosseri die App zu einer Multifunktionsplattform um. Mit Erfolg: Instagram ist DAS Zugpferd für Facebook schlechthin.

Das neueste Update zeigt, wohin die Reise geht: So können User bei Instagram Stories jetzt einen sogenannten Create-Modus (Techcrunch) auswählen. Der Modus sorgt dafür, dass Instagram auf einmal weit mehr ist als nur eine App, um Fotos und Videos zu teilen.

  • Per Create-Modus lassen sich fortan zum einen alte Fotos in #TBT-Manier erneut posten: „On this day“ heißt das Feature konsequenterweise. Soweit nicht weiter spektakulär. Aber…
  • Per Create-Modus lassen sich auch – und hier wird es richtig spannend – Funktionen nutzen, die vormals nur in Verbindung mit einem Foto oder Video in Form eines Stickers genutzt werden konnten. Jetzt aber lassen sich „Text, Gifs, Countdown, Quiz, Abstimmungen, Umfragen und Fragen“ als separates Element in einer Story posten.
  • Grundsätzlich kann alles angepasst werden und Nutzer können ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Wem aber gar nix mehr selbst einfällt, kann sich von den verschiedenen Vorschlägen von Facebook inspirieren lassen – etwa beim Thema Umfragen:

Sinn und Zweck des neuen Create-Modus ist es, Nutzern mehr Möglichkeiten an die Hand zu geben, generell mehr zu posten.

  • Etwa wenn gerade kein neues Foto- / Video-Motiv vorhanden ist.
  • Oder eben sehr viel grundsätzlicher – nämlich als genuin neue Spielart von Inhalten auf Instagram.
  • Eine radikale Abkehr von dem, was Instagram bislang auszeichnete.

Doch da wird der Umbau nicht aufhören: Mark Zuckerberg hat in seinem öffentlichen Q&A in der vergangenen Woche deutlich gemacht, dass User immer wieder mit neuen Funktionen und Apps bedient werden müssen, um weiter zu wachsen. Und wenn man selbst nicht wächst, dann wachsen andere, so Zuckerberg. Keine Option für Zuckerberg. Von daher gehe ich davon aus, dass

  • a) die Bedeutung der Feeds weiter in den Hintergrund rücken wird. Stories, Gruppen und Messaging wachsen bei Facebook Inc laut eigenen Aussagen einfach zu stark, als dass man wohl noch all zu viel über Feed-Innovationen nachdenkt.
  • b) wir bei Instagram eine Reihe von Innovationen erleben werden, die nichts mehr mit den Ursprüngen zu tun haben, sehr wohl aber bereits bei anderen Apps gut funktionieren – allen voran Challenges, die bei TikTok zum Kernelement der App gehören, sich bei Instagram aber durchaus auch immer größerer Beliebtheit erfreuen (siehe #tetrischallenge).

Be smart: Als Publisher und Kommunikationsprofis stellt uns diese Entwicklung vor die Herausforderung, dass wir eine wachsende Anzahl an Menschen nicht mehr via traditioneller Posts erreichen. Vielmehr bedarf es sehr viel ausgewählterer Strategien und auch sehr viel mehr handgemachter Inhalte. Zudem sehe ich die Gefahr, dass Instagram mit all diesen Veränderungen eine Menge Kredit bei all jenen Nutzern verspielt, die einfach nur schöne Fotos teilen wollen – genau dafür gibt es mit VSCO vielleicht mittlerweile sowieso die bessere Plattform.

Politiker dürfen auf Facebook jetzt auch in Anzeigen lügen

Was ist: Eigentlich hat Facebook eine Policy, nach der Werbe-Inhalte keine Aussagen beinhalten dürfen, die von Fact-Checkern korrigiert wurden (siehe hier). Für Politiker gilt diese Richtlinie allerdings seit letzter Woche nicht mehr.

Warum ist das wichtig: Politische Anzeige in sozialen Medien – allen voran auf Facebook – spielen in den USA eine extrem große Rolle.

  • Donald Trump hat z.B. Ende September innerhalb von nur einer Woche 718.000 Dollar für Facebook-Werbeanzeigen ausgegeben, die gegen ein Amtsenthebungsverfahren mobil machen sollen.
  • Dass die Inhalte der Wahlwerbung sich an die gleichen Standards halten sollten wie reguläre Werbung, versteht sich eigentlich von selbst. Aber so leicht ist es nicht.

Facebook hatte jüngst erklärt, dass Posts von Politikern nicht mehr dem Fact-Checking von unabhängigen Dritten unterzogen werden (in Briefing #582 haben wir ausführlich darüber berichtet). Genau das soll nun auch bei Anzeigen von Politikern und Parteien gelten. Für alle anderen Organisationen und Firmen, die politische Werbung schalten, gelten jedoch weiterhin die alten Regeln.

Die Aufregung in den USA hätte naturgemäß kaum größer ausfallen können. Allen voran der politische Gegner befürchtet nun vom Trump-Lager mit Lügen überflutet zu werden. Sen. Elizabeth Warren twittert:

„In fact, this time they’re going further by taking deliberate steps to help one candidate intentionally mislead the American people, while painting the candidacy of others (specifically: mine) as an “existential” threat. This is a serious concern for our democratic process.“

Aber, aber: Selbst wenn ich den Ärger von Warren und anderen Politikern verstehen kann, möchte ich nicht, dass Facebook das Recht zugesprochen wird, darüber zu befinden, welche Politiker-Aussagen haltbar sind und welche nicht. Die Fact-Checker, die hier ins Spiel kämen, kommen schon jetzt bei der Masse an Inhalten, die sie überprüfen müssen, nicht hinterher. Dabei sind z.B. Inhalte, die auf WhatsApp oder in Gruppen oder in Stories geteilt werden, noch gar nicht regulär im Fokus der Fact-Checker. Ich möchte keine Welt, in der ein Unternehmen, das in erster Linie seinen Aktionären verpflichtet ist, darüber befindet, was wahr ist. Von daher bin ich auch eher dafür, dass Menschen befähigt werden müssen, Lügen und Falschaussagen zu entlarven. Bildung ist der Schlüssel. Diese Verantwortung können wir nicht outsourcen.

Übrigens: Satire & Meinungsbeiträge sollen laut WSJ demnächst uch vom Fact-Checking bei Facebook ausgenommen werden. Da kommt noch einiges an Arbeit auf uns zu…

Kampf gegen Desinformation

Geld verdienen mit Misinformation: Auch auf die Gefahr hin, dass die Zahl, die hier bei Poynter genannt wird, nicht das ganze Bild zeigt: 235 Millionen Dollar Werbeeinnahmen gehen jährlich an Misinformation-Websites!

„The nonprofit Global Disinformation Index published a study based on a sample of about 20,000 websites that have been found by (Poynter-owned) PolitiFact and others to publish misinformation. It found that ad technology companies spend about $235 million annually by running ads on such sites.“

YouTube & Alt-lite: Es gibt in den USA eine Gruppe an Menschen, die als Vordenker der neuen Rechten gilt. Ihre Thesen und Gedanken verbreiten sie besonders gern in Form von (pseudo-) wissenschaftlichen Vorträgen, die sie als Videos auf YouTube teilen. Für YouTube ist das ein Problem, denn sie haben keine Ahnung, wie sie damit umgehen sollen: YouTube Doesn’t Know What to Do With the Alt-Lite (Medium / One Zero)

Weaponizing Instagram Aber nicht nur YouTube hat mit der Far-Right in den USA (und auch in Europa) zu kämpfen. Instagram wird auch immer mehr zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Agitationsversuche: The Far-Right Is Weaponizing Instagram to Recruit Gen Z (Medium / One Zero)

Datenschutz-Department

Missbrauch von 2-Faktor-Authentifizierung: Ok, jetzt hat Twitter quasi den selben Mist gebaut wie Facebook vor ziemlich genau einem Jahr (Techcrunch): Auch Twitter hat von vielen Nutzern die eigentlich nur aus Sicherheitsgründen hinterlegte Telefonnummer zu Werbezwecken genutzt. Völlig unbeabsichtigt, wie sie schreiben (Twitter / Blog). Ja, nee, ist klar. Seit Jahren erklären Sicherheitsexperten, dass der beste Schutz vor einem Hack des eigenen Kontos die Verwendung einer sogenannten 2-Faktor-Authentifizierung ist (BSI). Wie kann Twitter dann nur so etwas passieren?

Video Boom

40 Millionen Dollar Strafe: Anfang 2016 erklärte Mark Zuckerberg:

“Most of the content 10 years ago was text, and then photos, and now it’s quickly becoming videos. (…) I just think that we’re going to be in a world a few years from now where the vast majority of the content that people consume online will be video.”

Was daraufhin passierte, wird als „Pivot to Video“ betitelt – der Versuch zahlreicher Medienhäuser auf der ganzen Welt, mit Video-Inhalten auf Facebook ihr Glück zu versuchen. Redaktionen wurden umgebaut, Text-Kollegen vor die Tür gesetzt. Allerdings wollte sich der ROI für die allermeisten nie so recht einstellen. Erst sehr viel später musste Facebook erklären, dass sie sich bei den Erfolgskriterien von Video stark verrechnet hatten (siehe Briefing #496). Um die Streitigkeiten rund um dieses Thema nun abschließen zu können, zahlt Facebook 40 Millionen Dollar Strafe. Geschenkt.

Jetzt aber: Und um bei den Medienpartner etwas die Wogen zu glätten, bietet Facebook nun ein Programm an, bei dem ausgewählte Medienpartner aus UK, Deutschland, Schweiz, Polen, Frankreich, Spanien, Italien und Holland lernen können, wie man gute Video-Inhalte (für Facebook) produziert. Das Projekt hat ein Gesamtvolumen von 300.000 Dollar. Pro Land also 37.500 Euro. Damit kann man sozusagen bei sage und schreiben einem Medienhaus für ein Jahr die Stelle eines Nachwuchsjournalisten finanzieren. Wow.

Follow the money

2019 droht zur Zäsur zu werden: Zum ersten Mal wird wohl mehr Geld für Werbung in sozialen Medien ausgegeben als für Werbung in Print. Laut der Prognose von Zenith Media teilen sich die Top-3 beim globalen Werbebudget folgende Töpfe:

  • TV bekommt 29 %
  • Search erhält 17%
  • Social kommt auf 13 % (84 Mrd. $)
  • Print kommt auf 69 Mrd. $

Schon einmal im Briefing davon gehört

Google buhlt um Firework: Die amerikanische App Firework positioniert sich als Anwendung, um kurze Videos zu teilen. Auch hat die App bereits ein paar Originals im Angebot. Ich selbst hatte von Firework noch nie gehört. Daher teile ich gern den Artikel von Digiday, der einem erklärt, was es mit dem „TikTok-Herausforderer“ auf sich hat.

Empfehlungen fürs Wochenende

TikTok-famous: Was passiert, wenn man auf einmal 100.000 Follower bei TikTok hat und nicht so richtig berühmt ist, aber berühmt genug, um erstens daheim von immer mehr Menschen darauf angesprochen zu werden und zweitens die Zahl der Follower zwar zu viel zum Sterben, aber auch zu wenig zum Leben ist? The not-so-secret life of a TikTok-famous teen (VOX)

Getting real posts: Auf Instagram (und YouTube) hat sich ein neues Format etabliert – nennen wir es die „getting real posts“. Darin besprechen Influencer, wie es ihnen wirklich geht, wie viel Druck sie haben, wie wenig ihre Posts mit ihrem eigentlichen Leben zu tun haben und dass Social Media halt auch nur ein Showbiz ist wie jedes andere auch. Ach, nein, doch!

Appholes und Contracts: Zum ersten Mal bin ich auf einen Artikel von Craig Mod gestoßen. Nach der Lektüre dieses großartigen Essays über die Verträge, die wir mit unseren Apps und Geräten eingehen (gerade im Unterschied zu einer Zeitung oder einem Buch), wird es definitiv nicht der letzte Artikel von Craig gewesen sein. Guter Typ. Gute Lektüre.

One more thing

Die schrecklichen Anschläge in Halle haben einmal mehr gezeigt, wie wenig sich viele UserInnen darüber Gedanken machen, was sie auf Social teilen und was sie weiterverbreiten. Oder wie Martin schreibt:

Header-Foto von Joseph Chan bei Unsplash