Wie sich Facebook gegen kritische Recherchen wehrt

Was war

Im vergangenen Briefing empfahlen wir einen Text, für den Karen Hao monatelang recherchiert hatte. Sie porträtierte Facebooks Team für Responsible AI und dessen Chef Joaquin Quiñonero Candela. Wir schrieben:

Die Autorin hat fast 50 Interviews geführt und legt schonungslos offen, wie widersprüchlich und teils komplett gegensätzlich Facebooks Interessen sind. Die ethisch-moralisch geprägte AI-Folgenabschätzung, die gesellschaftliche Risiken minimieren will, verträgt sich nicht mit dem Grundsatz, der Facebook seit seiner Gründung prägt: dem nahezu grenzenlosen Willen zu wachsen – koste es, was es wolle.

Was ist

Facebook ist über diesen Artikel nicht glücklich. Das war absehbar: Hao hatte exklusiven und privilegierten Zugang zu einem Team, über das bislang kaum etwas bekannt war. Wenige Reporterïnnen bekommen so eine Gelegenheit.

Doch statt den glorifizierenden Text über den unermüdlichen Einsatz für verantwortungsvolle Algorithmen zu schreiben, den sich Facebook offenbar wünschte, konzentrierte sich Hao nicht nur auf Quiñonero. Vielmehr beschrieb sie, wie hilflos er und seine Mitarbeiterïnnen oft sind – weil sich im Konzern am Ende oft andere Interessen durchsetzen:

The Responsible AI team’s work is essentially irrelevant to fixing the bigger problems of misinformation, extremism, and political polarization. And it’s all of us who pay the price.

Jetzt fühlt sich Facebook ungerecht behandelt und wehrt sich. Das PR-Team schickte MIT Technology Review eine lange Liste mit angeblichen Fehlern, hochrangige Manager suggerieren auf Twitter, dass Hao bewusst einen falschen Eindruck erwecke und gegen journalistische Standards verstoßen habe.

Warum das wichtig ist

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Facebook über angebliche Falschdarstellungen beklagt. Das ist das gute Recht jedes Unternehmens: Wer öffentlich angeklagt wird, darf und sollte sich öffentlich verteidigen. Tatsächlich gab es in der Vergangenheit immer wieder Recherchen und angebliche Enthüllungen, die bestenfalls einen Teil der Realität abbildeten und schlimmstenfalls grob in die Irre führten.

Doch nicht jeder Backlash ist berechtigt. Manchmal verrät die Reaktion mehr über Facebooks selbst als über die Arbeit der Journalistïnnen. Im aktuellen Fall können wir das von außen schlecht beurteilen. Aber zumindest die öffentlichen Äußerungen der Beteiligten geben uns wenig Anlass, unsere Empfehlung von vergangener Woche zu revidieren. Im Gegenteil: Die Recherche wird dadurch noch interessanter und relevanter.

So oder so unterstreicht die Kontroverse, wie wichtig es ist, bei solchen "Bombshell"-Stories ganz genau hinzusehen. Manchmal relativieren sich die Vorwürfe, wenn man die Entgegnung der Beschuldigten betrachtet – manchmal bestätigen sie sich. Das mag selbstverständlich klingen, aber die Reaktion auf frühere Skandale und "Skandale" zeigt, dass die Empörung nicht immer die Richtigen trifft.

Wie Facebook Zweifel sät

Die Reaktion verläuft zweigleisig: Einerseits interagiert das PR-Team direkt mit Hao und ihrer Redaktion. Andererseits äußern sich mehrere Facebook-Manager auf Twitter oder in anderen Medien, um ihre Sicht der Dinge darzulegen.

Facebooks Pressestelle habe ihr eine lange Liste mit angeblichen Faktenfehlern zukommen lassen, schreibt Hao auf Twitter. Gemeinsam mit TR-Chefredakteur Gideon Lichfield legte sie detailliert dar, warum der Text keine Falschdarstellungen enthalte. Daraufhin habe Facebook klein beigegeben.

Lichfield wird noch etwas konkreter. In einem Abschiedspost auf LinkedIn (er wechselt zu Wired, was aber nichts mit den aktuellen Ereignissen zu tun hat) schreibt er unter anderem:

Facebook sent us a long, bullet-pointed list of objections to the story, and Karen and I reviewed and annotated them point by point. I sent back the document with a note: "Virtually all of your objections are either incredibly hair-splitting or direct mischaracterizations of what the story says. This confirms our confidence in our reporting, so thank you." Now that felt like the most editor-in-chief-y thing ever.

In einem langen Twitter-Thread erklärt er, warum seiner Meinung nach eine ganz bewusste Strategie dahintersteckt, von der man sich nicht verunsichern lassen dürfe. Zuerst würden angebliche Korrekturen verschickt, die Reporterïnnen und Redakteurïnnen verunsichern solle:

Companies know that editors hate wading through a long list of corrections, and that reporters are often terrified of what the editor may say. (…) Take the time to go through those corrections and, if the reporter and editor did their job well in the first place, most will turn out to be hot air. In that case, push back hard.

Darauf folge der zweite Schritt. Facebook versuche, die Aussage der Recherche zu verzerren, um dann dieser Darstellung zu widersprechen. Im konkreten Fall bedeutet das: Facebook unterstellt Hao (Twitter / Karen Hao), dass sie Quiñonero und sein Team für Responsible AI angreife und ihre Bemühungen diskreditiere.

Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Ihr Text legt ausführlich dar, wie hart das Team arbeitet und wie gut seine Absichten sind – nur erhalte es nicht die nötige Rückendeckung. Sie schreibt selbst:

As I said earlier, this team is a good team. The people are good people. But they're stuck in a rotten system. Facebook has failed to enable them to do good work.

Lichfield rät, sich nicht einschüchtern zu lassen:

Probably the best things you can do to counter a company's attempts to twist the narrative are, again, to push back against it, enlist other people who have credibility to push back as well, or expose the workings of the strategy (as I'm doing in this thread).

Schließlich versuche Facebook mit dem dritten Teil der Ablenkungsstrategie, auf all die Bemühungen hinzuweisen, die Desinformation eindämmen sollen. Deshalb stimme die Aussage nicht, dass Facebook zu wenig unternehme. Das ist aber irreführend: Nur, weil es auch gute Initiativen gibt, bedeutet das nicht, dass sie ausreichen – und es kann trotzdem zutreffen, dass Facebook bestimmte Projekte stoppt, weil sie wirtschaftlich schaden könnten.

Konkret bezieht sich Lichfeld auf die Tweets von Facebooks AI-Chef Yann LeCun und CTO Mike Schroepfer. Letzterer sagt im Gespräch mit Casey Newton (Platformer) unter anderem:

I reacted pretty emotionally to the article this morning. (…) But if you're going to pick on a team at the company, please don't pick on this one. They're the ones who really are trying to do the good work here. (…) But it just hurts me to hear a bunch of hard-working colleagues who are the best in their field, that people think of them that way. And so that's why I react that way.

Das ist das oben beschriebene Muster: Schroepfer behauptet fälschlicherweise, Hao attackiere das Team, das sie porträtiere. Wer den Artikel in Ruhe liest, kommt zu einem ganz anderen Eindruck.

Worauf Öffentlichkeitsarbeit abzielt

Jede PR-Abteilung versucht, die Berichterstattung über das eigene Unternehmen zu beeinflussen und öffentlich ein möglichst positives Bild entstehen zu lassen. Das ist kein Skandal, sondern ihr Job. Der Job von Medien ist es, trotzdem möglichst unabhängig zu berichten und nicht die Geschichte zu erzählen, die sich das Unternehmen wünscht – sondern jene, die der Realität entspricht (was nicht immer ein Widerspruch sein muss).

Immer wieder erhalten ausgewählte Journalistïnnen besonders privilegierten Zugang und außergewöhnliche Einblicke. So wie Hao oder CNBC-Reporter Sam Shead, der auf Twitter von seiner Recherche im Jahr 2018 erzählt. Binnen weniger Tage führt man Dutzende Gespräche und bekommt eine große Menge an Informationen. Das birgt Gefahren (Twitter / Gideon Lichfield):

A company may promise you unparalleled access and flood you with information, but in doing so it also gets a lot of influence over how you interpret that information and makes it harder for you to step back and see the big picture.

Be smart

Facebook bearbeitet nicht nur Medien, sondern auch die eigenen Angestellten. Ryan Mac und Craig Silverman berichten über ein "Playbook" (BuzzFeed), das Mitarbeiterïnnen Ratschläge gibt, wie sie auf Kritik reagieren können. Insbesondere geht es um Vorwürfe, Facebook trage zur politischen Polarisierung und spalte die Gesellschaft.

In einem internen Webinar sagte Produktchef Chris Cox, mit dem Dokument seien alle dafür gerüstet, mit Freunden und Familie zu Abend zu essen und ihnen zu erklären, warum die öffentliche Wahrnehmung von Facebook falsch sei. Das Narrativ, das Medien erzählten, entspreche meist nicht dem Stand der Forschung.

Diese Sichtweise teilen nicht alle. "This memo is corporate gaslighting disguised as a research brief", sagt eine Person, die früher bei Facebook arbeitete. Ein Forscher der Universität North Carolina ist weniger kritisch. Das Playbook entspreche weitgehend dem Stand der Forschung – allerdings mit einer wichtigen Einschränkung:

With Facebook, it's never just research. It's research that's running alongside the interests of a multiple-billion-dollar entity.


Kampf gegen Desinformationen

  • Meet Wombo: Auch wenn wir der Meinung sind, dass Memes derzeit noch die größere Gefahr für die Demokratie darstellen, sollten wir die Entwicklung von Deep Fakes nicht aus den Augen verlieren. Erst recht nicht, wenn wir feststellen, dass sich mit manchen Apps kinderleicht Deep Fake Memes erstellen lassen (The Verge).

Audio Boom


Neue Features bei den Plattformen

Instagram

Twitter

  • Better Image Cropping: Bei Twitter werden die Bilder endlich nicht mehr so bescheuert beschnitten, sondern in voller Größe ausgespielt (Techcrunch).

TikTok

  • Neue Features für mehr Freundlichkeit: TikTok möchte, dass Menschen freundlicher miteinander umgehen auf der Plattform. Dafür launcht das Unternehmen zwei Features: zum einen können Kommentare gefiltert und nur bestimmte sichtbar geschaltet werden. Zum anderen arbeitet TikTok jetzt auch mit einem Prompt, der fragt, ob man/frau das wirklich so posten möchte…

App der Woche: So speicherst du deine Notizen sicher und privat

  • Was: Standard Notes
  • Wie viel: Die Grundversion ist gratis. Das "Extended"-Abo kostet zwischen 2,50 und 10 Euro pro Monat. Die Summe hängt vom Abrechnungszeitraum ab (monatlich, jährlich oder eine Zahlung für fünf Jahre im Voraus).
  • Wofür: Fast alle Menschen machen sich Notizen. Ob auf Post-its, College-Blöcken, in einem leeren Dokument oder per Smartphone-App, fast niemand kommt ohne Einkaufslisten, To-dos und Gedächtnisstützen aus. Standard Notes kann all das – und noch eine Menge mehr.
  • Warum: Wir haben mindestens zwei Dutzend Apps für Notizen durchprobiert – und das ist sehr vorsichtig geschätzt. Die Bandbreite reichte von simplen txt-Dokumenten, die mit Notepad bearbeitet und über das eigene NAS verschlüsselt synchronisiert werden, über Gratis-Dienste wie Google Keep bis zu teurer Software mit unzähligen Funktionen. Hängengeblieben sind wir bei Standard Notes. Das hat folgende Gründe:
    • Das Privacy Manifesto ist eines der überzeugendsten, das wir kennen.
      • Alle Notizen sind Ende-zu-Ende-verschlüsselt, man könnte den Dienst auch für Passwörter nutzen. Nutzerïnnen zahlen für das Produkt, aber nicht mit ihren Daten oder ihrer Aufmerksamkeit.
      • Alle Apps und Clients sind Open Source und haben einen Security-Audit hinter sich.
      • Es gibt angenehm schlichte und funktionale Apps für alle relevanten Betriebssysteme (iOS und Android sowie MacOS, Windows und Linux). Zusätzlich funktioniert Standard Notes im Browser.
      • Standard Notes überwältigt nicht mit Features, sondern konzentriert sich auf das Wesentliche: Notizen, sicher und zuverlässig.
      • Das Geschäftsmodell ist überzeugend und wirkt langlebig: Standard Notes verzichtet bewusst auf Lifetime-Abos oder Einmal-Käufe, da diese keine langfristige Entwicklung ermöglichen. Ja, zu viele Abos nerven – aber erstens verkaufen wir selbst eins, zweitens liest sich dieses "Word on Longevity" wirklich überzeugend.
      • Die Entwicklerïnnen (anfangs nur einer, mittlerweile ist das Team gewachsen) sind sehr responsiv und freundlich. Die Apps wird ständig verbessert, Fehler werden schnell und auch am Wochenende behoben.
      • Wer ein Abo abschließt, bekommt etliche zusätzliche Editoren (Markdown, Tasks, Tabellen, Code, Vim etc.), Themes, unbegrenzte Backups für jede Änderung und kann sogar direkt von Standard Notes auf Listed.to publizieren und bloggen.
  • Pro-Tipp: Genau wie das Watchblog hat Standard Notes ein Slack-Team, in dem eine aktive Community Fragen beantwortet, Open-Source-Erweiterungen entwickelt und das Team schnell auf Probleme reagiert.

Header-Foto von Brandy Kennedy bei Unsplash