Was ist
Wir sind zurück aus unserer Winterpause und hoffen, dass Deine Feiertage genauso ruhig und erholsam waren wie unsere. Ein Vorsatz fürs neue Jahr: weniger Labern, schneller zum Punkt kommen. Denn Aufmerksamkeit ist ein wertvolles Gut, und wir möchten sorgsamer damit umgehen.
Das setzen wir gleich mal um und verschicken heute ein ungewöhnlich kurzes Briefing. Das liegt primär an der Aktualität, die uns beim Schreiben überholt hat. Während wir gerade unsere Prognosen für 2025 formulierten, veröffentlichte Mark Zuckerberg ein Video auf Instagram und Facebook, in dem er einige einschneidende Veränderungen für Metas Plattformen ankündigt.
Die Wichtigste: In den USA werden Faktenchecker durch Community Notes nach dem Vorbild von X ersetzt. Zudem möchte Meta die Grenzen der Redefreiheit ausweiten und deutlich laxer moderieren. Alle Änderungen zielen darauf ab, den künftigen US-Präsidenten Donald Trump und seine Wählerïnnen zu besänftigen.
Wir halten die Tragweite dieser Entscheidungen für so groß, dass wir uns um 14:30 Uhr spontan entschieden haben, das Thema dieser Ausgabe zu verändern. Wenn Zuckerberg die Content-Moderation auf zwei der wichtigsten Kommunikations-Plattformen der Welt grundlegend verändert, dann ist das einfach wichtiger als ein paar Vorhersagen fürs kommende Jahr.
Was Zuckerberg sagt
Das Video dauert rund fünf Minuten. Wir empfehlen Dir, es vollständig anzusehen. Man bekommt einen guten Eindruck, wie Zuckerberg tickt. Vor allem die Rhetorik ist vielsagend: Zuckerberg spricht ständig von Zensur und nutzt aufgeladene Begriffe wie legacy media, political bias und mainstream discourse, die nahelegen, dass sich Medien und Politik in einer linksliberalen Blase bewegten.
Ausführlicher und etwas zahmer formuliert kann man die Ankündigungen auch im Meta-Newsroom nachlesen. Der Blogeintrag beinhaltet zwar alle Fakten, vermittelt aber nur ein unvollständiges Bild. Wenn man Zuck beim Reden zuhört, wird viel deutlicher, dass er damit gezielt Republikaner anspricht.
Konkret kündigt Zuckerberg sechs Dinge an:
- Meta wird sein Faktencheck-Programm in den USA beenden und stattdessen Nutzerïnnen Beiträge annotieren lassen, so wie es X mit Community Notes vorgemacht hat. Zuckerberg wirft den Faktencheck-Organisationen vor, politisch voreingenommen zu sein und Vertrauen zerstört zu haben. Im Laufe der kommenden Monate werden die Faktenchecks zunächst in den USA verschwinden. Beiträge werden dann nicht mehr überprüft und in ihrer Reichweite gedrosselt. (Ob und wie es mit den deutschen Faktencheck-Partnern Correctiv, dpa und AFP weitergeht, ist unklar.)
- Die Nutzungsbedingungen sollen vereinfacht und gelockert werden. Das betrifft Themen wie Migration und Gender, bei denen die bisherigen Richtlinien "out of touch with mainstream discourse" seien. Zuckerberg behauptet, dass es nur noch darum gehe, Menschen mit anderen Überzeugungen auszuschließen. Das wolle Meta ändern.
- KI-Systeme sollen nur noch Inhalte automatisiert sperren, die schwere Verstöße gegen Metas Nutzungsbedingungen beinhalten. Dazu zählen etwa Terrorismus, Kindesmissbrauch, Drogen und Betrug. Zudem werde man die Schwelle deutlich erhöhen, sodass weniger Beiträge zu Unrecht entfernt werden (und gleichzeitig mehr illegale Inhalte online bleiben). Für weniger schwere Verstöße setzt Meta darauf, dass Nutzerïnnen die Inhalte selbst melden. Das wird dazu führen, dass rassistische, frauenfeindliche und beleidigende Posts seltener moderiert werden.
- Politische Inhalte feiern ein Comeback. Meta hat jahrelang und insbesondere vor der US-Wahl versucht, Instagram und Facebook in eine Politik-freie Zone zu verwandeln (SZ). Alles, was ansatzweise "politisch" war (Meta hat nie genau definiert, welche Inhalte in diese Kategorie fallen), wurde gedrosselt und nicht aktiv empfohlen. Das soll sich ändern. Zuckerberg sagt, man sei jetzt "in einer neuen Ära", und Menschen wollten diese Inhalte wieder sehen. Wohl nicht ganz zufällig beginnt diese neue Ära mit Trumps Amtseinführung.
- Die Teams für Trust and Safety und Content-Moderation ziehen von Kalifornien nach Texas und in andere Bundesstaaten um. Zuckerberg begründet das so: Man könne nur dann Vertrauen aufbauen, wenn man an Orten arbeite, die weniger Bedenken auslösten, dass Meta politisch voreingenommen sei. Auch damit folgt Zuckerberg dem Vorbild von Elon Musk, der die Firmensitze von Tesla, X und SpaceX nach Texas verlegte.
- Gemeinsam mit Trump will Meta sich gegen Regierungen wehren, die US-Konzerne dazu drängen, mehr zu "zensieren". Meinungsfreiheit sei in den USA so gut geschützt wie in keinem anderen Land. Dagegen versuche die EU mit einer ständig zunehmenden Zahl an Gesetzen, "Zensur zu institutionalisieren". In den vergangenen vier Jahren habe sich sogar die US-Regierung für mehr "Zensur" ausgesprochen und damit andere Staaten ermutigt. Mit Trump habe man die Möglichkeit, Redefreiheit wieder herzustellen.
Was das bedeutet
- In drei Worten: Meta goes MAGA.
- Zuckerbergs Rechtsruck zeichnet sich seit Monaten ab. Bereits im Sommer kroch er in einem offenen Brief dem Republikaner Jim Jordan zu Kreuze und entschuldigte sich für angebliche Zensur auf Druck der Biden-Regierung.
- Gut einen Monat später sagte er bei einer Podcast-Aufzeichnung, Facebook habe zu viel Verantwortung für politische und gesellschaftliche Probleme übernommen. Das sei ein Fehler gewesen, der dem Konzern bereits zehn Jahre lang geschadet habe und Meta noch ein weiteres Jahrzehnt beschäftigen werde (SMWB).
- Kurz vor der US-Wahl zählte Zuckerberg dann zu jenen Milliardären, die offen die Nähe zu Trump suchten (SMWB). Neben Amazon, Sam Altman und Tim Cook spendete Meta eine Million Dollar für Trumps Amtseinführung.
- Zwei aktuelle Personalentscheidungen von Meta verdeutlichen den Kurs, den Zuckerberg seinem Konzern verordnet. Nach fast sieben Jahren muss Cheflobbyist Nick Clegg gehen (NYT). Nachfolger wird Cleggs Stellvertreter Joel Kaplan, ein früherer Berater von George W. Bush mit guten Beziehungen zu den Republikanern.
- Als erste Amtshandlung trat Kaplan heute bei Fox News auf und sprach dort über die Änderungen, die Zuckerberg ankündigte. Dabei fallen Sätze, die wenig Spielraum für Interpretation lassen:
We have a new administration coming in that is far from pressuring companies to censor and [is more] a huge supporter of free expression. It gets us back to the values that Mark founded the company on.
- Zudem beruft Meta drei neue Mitglieder in seinen Verwaltungsrat (Meta-Newsroom), in dem damit drei Frauen und zehn Männer sitzen: John Elkann, Charlie Songhurst und Dana White. Die ersten beiden sind bislang nicht durch politische Äußerungen aufgefallen, White dagegen umso mehr. Der Chef der Ultimate Fighting Championship ist ein langjähriger Trump-Vertrauter und steht politisch weit rechts.
Be smart
Zuckerberg unternimmt alles, um Trump klarzumachen: Wir sind deine Freunde. Sein Video wurde als erstes mit Trumps Lieblingssender Fox News geteilt, wo auch Metas neuer Cheflobbyist prominent auftritt. Rhetorisch und inhaltlich bewegt sich Zuckerberg voll auf Trump-Linie.
Damit geht Meta deutlich weiter als andere Tech-Konzerne. Die versuchen zwar auch, sich mit dem neuen Präsidenten gut zu stellen und Regulierung zu verhindern. Doch bislang hat sich niemand so schamlos angebiedert wie Zuckerberg.
Nicht alles davon ist Taktik. Zuckerberg betont seit Jahren, wie wichtig ihm Meinungsfreiheit ist. Zumindest in dieser Frage dürfte er persönlich näher bei Trump als bei Biden stehen und tatsächlich dankbar dafür sein, Metas Richtlinien wieder näher an seinen eigenen Überzeugungen ausrichten zu können.
Trotzdem ist das gesamte Video ein einziger Kniefall vor Trump und lässt wenig Zweifel daran, dass Meta in den kommenden Jahren weiter nach rechts rutschen wird. Offen ist nur, ob sich der künftige Präsident besänftigen lässt: Trump hat unter anderem gedroht, Zuckerberg ins Gefängnis zu stecken, Meta und Google zu zerschlagen und die Social-Media-Konzerne für ihre vermeintliche "Zensur" zur Rechenschaft zu ziehen.
Klar sind dagegen die Folgen für Metas Plattformen. In seinem Newsletter Reliable Sources kommentiert CNN-Autor Brian Stelter treffend:
Meta's framing – in its PR blog post – is "More Speech and Fewer Mistakes." An alternate title could be "More Lies and More Confusion."
Social Media & Politik
- TikTok-Verbot: Trump hat den Supreme Court gebeten, das TikTok-Verbot bis zu seiner Amtseinführung auf Eis zu legen. (Supreme Court, PDF)
- Weitere Klage gegen TikTok: Der Generalstaatsanwalt aus Utah wirft TikTok vor, gewusst zu haben, dass Kriminelle die Livestreaming-Funktionen der Plattform für Geldwäsche-Aktivitäten nutzen. Zudem sei TikTok darüber im Klaren gewesen, dass bei Livestreams Minderjährige „Grooming“ ausgesetzt seien. (Bloomberg)
- Großbritannien plant Verbot von Deepfakes, die als Revenge-Porn ausgelegt werden können. (Reuters)
Follow the money
- Telegram ist profitabel: Telegram hat 2024 einen Meilenstein erreicht: Zum ersten Mal in der Firmengeschichte ist das Unternehmen profitabel. (New York Times)
Neue Features bei den Plattformen
Bluesky
- Bluesky bietet in den USA testweise ein Trending-Topics-Feature. (The Verge)
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