Was ist

Eine Woche vor der US-Wahl ist das Schreckensszenario in greifbare Nähe gerückt: Ein rassistischer und korrupter Straftäter mit faschistischen Tendenzen könnte US-Präsident werden. Jetzt versuchen die Reichen und Mächtigen im Silicon Valley, sich und ihre Unternehmen abzusichern. Sie umgarnen Donald Trump, weil sie sich davon Vorteile erhoffen.

Den offensichtlichsten und verwerflichsten Kniefall leistete sich Jeff Bezos. Als der Amazon-Gründer vor elf Jahren die Washington Post für 250 Millionen Dollar kaufte, beteuerte er, dass er sich niemals in redaktionelle Entscheidungen einmischen werde. Das war ein leeres Versprechen. Bezos verhinderte höchstpersönlich, dass die Post eine Wahlempfehlung für Kamala Harris veröffentlichte.

Wir erklären, warum wir die Entscheidung für feige und opportunistisch halten – und warum Bezos damit leider nicht allein ist.

Wie Bezos das Endorsement verhinderte

The Washington Post will not be making an endorsement of a presidential candidate in this election. Nor in any future presidential election. We are returning to our roots of not endorsing presidential candidates.
  • Nach diesem Absatz folgt eine wenig überzeugende Erklärung, warum Lewis das für angemessen hält. Schnell wurde klar, dass er nicht derjenige war, der die Entscheidung getroffen hatte. Lewis fügte sich nur dem Willen des Eigentümers Bezos.
  • Zumindest eines muss man der Post zugutehalten: Sie betreibt hervorragende Berichterstattung in eigener Sache. Und so schreibt sie auch selbst klipp und klar:
An endorsement of Harris had been drafted by Post editorial page staffers but had yet to be published, according to two people (…). The decision to no longer publish presidential endorsements was made by The Post’s owner, Amazon founder Jeff Bezos, according to four people who were briefed on the decision.

Warum Bezos der Post schadet

Bezos kann schreiben. Als er vor fünf Jahren von einem Klatschblatt erpresst wurde, drehte er den Spieß um und ging selbst mit dem Gegenstand der Erpressung an die Öffentlichkeit. Sein Medium-Post "No thank you, Mr. Pecker" ist bis heute ein gutes Anschauungsbeispiel für klare, direkte und überzeugende Kommunikation.

Auch Bezos' Op-ed ist überzeugend – allerdings nur sprachlich und strukturell, nicht inhaltlich. Ausgehend von der (zutreffenden) Beobachtung, dass Medien in den USA ein massives Vertrauensproblem haben, schlussfolgert er, dass die Tradition der Wahlempfehlungen abgeschafft werden sollte. Diese einseitige Parteinahme verstärke die Spaltung, bringe einen Teil der Gesellschaft gegen die Medien auf und erzeuge den Eindruck mangelnder Unabhängigkeit.

Ein Teil dieser Argumentation trifft zu. Vermutlich haben die Wahlempfehlungen, die Times und Post seit vielen Jahrzehnten aussprechen, kaum Einfluss auf die Wahlentscheidung der ohnehin überwiegend linksliberalen Abonnentïnnen. Gleichzeitig stoßen die Endorsements Republikaner vor den Kopf, der Schaden könnte größer sein als der Nutzen.

Aus deutscher Sicht mutet die Tradition der Endorsements ohnehin eher seltsam an. Zum Teil lässt sich das mit der redaktionellen Struktur in den USA erklären, wo anders als bei deutschen Medien strikt zwischen Meinung (Editorial Board) und dem Rest der Redaktion getrennt wird. Wir können aber gut nachvollziehen, warum man diese Wahlempfehlungen kritisch sieht oder abschaffen möchte.

Trotzdem halten wir Bezos' Einmischung aus drei Gründen für schädlich bis skandalös:

  1. Warum zwölf Tage vor der Wahl? Bezos hätte die Entscheidung vor zwei Jahren verkünden können. Damals stand nicht fest, wer kandidieren würde – und es war nicht klar, wie eng das Rennen werden sollte. So kurz vor dem 5. November kann Bezos noch so oft beteuern, dass es ihm nicht darum gehe, sich mit Trump gut zu stellen – es wirkt verdammt unglaubwürdig.
  2. Bezos widerspricht sich selbst. Als Begründung für seine Einmischung führt er ausgerechnet Glaubwürdigkeit an:
We must be accurate, and we must be believed to be accurate. It’s a bitter pill to swallow, but we are failing on the second requirement. (…) We must work harder to control what we can control to increase our credibility.

Und er denkt ernsthaft, dass es dem Ansehen einer Zeitung nutzt, wenn ein Multimilliardär der Redaktion seinen Willen aufnötigt? Selbst überzeugte Trump-Fans (in deren Augen die Post ohnehin "Fake News" ist) werden das für lachhaft halten.

Amazon verkauft der US-Regierung Cloud-Dienstleistungen im Wert von zehn Milliarden Dollar (Amazon AWS). Auch Blue Origin, das von Bezos gegründete Raumfahrtunternehmen, erhält Milliarden von der Nasa (Nasa.gov). Da kann Bezos noch so oft beteuern, dass es nicht um Taktik oder mögliche Gegenleistungen gegangen sei.

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