Was ist

Ein Berufungsgericht in Washington, D.C. hat Beschwerden von TikTok, ByteDance sowie acht prominenten TikTok-Nutzerïnnen abgelehnt. Damit könnte am 19. Januar ein Gesetz in Kraft treten, das TikTok vor die Wahl stellt: Verkaufen oder verboten werden.

Der Konjunktiv ist entscheidend, denn nach wie vor sind viele Dinge unklar. Bevor wir Dich mit Details verwirren, die womöglich in einigen Tagen wieder überholt sind, geben wir einen kompakten Überblick. Wir beschreiben den aktuellen juristischen Stand und mögliche Szenarien, wie es weitergehen könnte.

Davor erklären wir aber noch einmal kurz den Hintergrund. Falls Du Dich schon auskennst, kannst Du den ersten Punkt einfach überspringen.

Worum es überhaupt geht

  • Seit mehr als vier Jahren droht TikTok in den USA immer wieder ein Verbot. Einst versuchte es Donald Trump mit zwei Executive Orders (SMWB), zwischenzeitlich stand ein erzwungener Verkauf an Oracle im Raum (SMWB). Die damaligen Versuche scheiterten vor Gericht.
  • Im vergangenen März machten Demokraten und Republikaner einen neuen Vorstoß. Repräsentantenhaus und Senat stimmten einem Gesetzentwurf zu, der TikToks Eigentümer ByteDance unter Druck setzt: Entweder wird die US-Version von TikTok verkauft, oder die USA verbieten die App.
  • Der "Protecting Americans from Foreign Adversary Controlled Applications Act" soll verhindern, dass "foreign adversary countries" Plattformen mit mehr als einer Million monatlich aktiven Nutzerïnnen in den USA betreiben. Die fraglichen Länder sind Nordkorea, Russland, Iran und China.
  • De facto richtet sich der Gesetzentwurf aber spezifisch gegen ByteDance und TikTok. Beide Unternehmen werden mehrfach explizit erwähnt.
  • Der chinesische Eigentümer soll die US-Version von TikTok verkaufen. Andernfalls müssten Apple und Google sowie Internetprovider verhindern, dass die App aktualisiert und heruntergeladen wird.
  • Für das Gesetz werden drei zentrale Argumente angeführt: TikTok schade Kindern und Jugendlichen, sensible Daten könnten nach China abfließen, die KP könne durch Änderungen an den Algorithmen die öffentliche Meinung manipulieren.
  • Im April unterzeichnete der amtierende US-Präsident Joe Biden das Gesetz. Seitdem tickt die Uhr: TikTok bleiben 270 Tage, um einen Käufer zu finden. Unter Umständen kann der US-Präsident weitere 90 Tage Aufschub gewähren.
  • Diese Frist läuft am 19. Januar aus, einen Tag vor der Amtseinführung des designierten US-Präsidenten Donald Trump.
  • TikTok, ByteDance und acht Creator haben vor dem US Court of Appeals in Washington, D.C. Beschwerde gegen das Gesetz eingelegt. Auch zahlreiche NGOs unterstützten den Einspruch. Das Berufungsgericht hat jetzt darüber entschieden.

Falls Du noch einmal detaillierter nachlesen möchtest, sind unsere Briefings aus dem Frühjahr ein guter Einstieg:

Was klar ist

  • Das Berufungsgericht hält das Gesetz für verfassungsgemäß: In den drei Beschwerden (PDF) wurde unter anderem mit Meinungsfreiheit argumentiert. Ein Verbot verstoße gegen das First Amendment der US-Verfassung, das die freie Rede umfassend vor Eingriffen durch den Staat schütze. Die Richterïnnen sehen das anders (PDF). Es gehe darum, die US-Bevölkerung vor einer "gegnerischen ausländischen Nation" zu schützen, die Einfluss auf die freie Rede in den USA nehmen wolle. Tiefergehende Analysen des Urteils gibt es bei The Verge und Forbes, harsche Kritik kommt von Techdirt.
  • TikTok wehrt sich weiter: Wenig überraschend wird TikTok jedes juristische Mittel ausschöpfen, um ein Verbot zu verhindern. Zum einen hat das Unternehmen den Supreme Court angerufen, der in letzter Instanz die Rechtmäßigkeit des Gesetzes prüfen soll. Zum anderen beantragt TikTok, die Frist auszusetzen, während das Verfahren am Supreme Court läuft (PDF). Das US-Justizministerium fordert das zuständige Berufungsgericht auf, den Antrag von TikTok abzulehnen (PDF).
  • Creator bereiten sich auf ein Verbot vor: Zehntausende Menschen in den USA leben von ihrer Präsenz auf TikTok. Ein Teil dieser Influencerïnnen scheint sich darauf einzustellen, dass sie bald auf andere Apps setzen müssen (NYT). Auf TikTok rufen sie ihr Publikum bereits dazu auf, ihnen auf Plattformen wie Instagram und YouTube zu folgen (Reuters).
  • Ein Verbot wäre ein drastischer Eingriff: Unabhängig davon, was man von TikTok hält, kann man die Relevanz der Plattform nicht wegdiskutieren. 170 Millionen Menschen, rund die Hälfte der US-Bevölkerung, nutzen TikTok. Die App hat große wirtschaftliche, kulturelle und zunehmend auch politische Bedeutung. Ein Gesetz, das auf ein Verbot oder einen Zwangsverkauf hinausläuft, sollte zumindest gut begründet sein.

Was unklar ist

  • Was will Trump? Dem künftigen US-Präsidenten kommt eine entscheidende Rolle zu. Seine Meinung zu TikTok hat er aber immer wieder gewechselt. Einst wollte er die App selbst verbieten, dann schien die Abneigung gegen Meta plötzlich stärker zu wiegen als seine Sinophobie. Ein TikTok-Verbot nutze nur "Zuckerschmuck" und Meta, "dem wahren Feind des Volkes", schrieb Trump im Frühjahr. Im Wahlkampf versprach er, TikTok vor einem Verbot zu "retten" – auch, weil er selbst Gefallen an der App gefunden hatte. Seine aktuellen Äußerungen klingen weniger eindeutig. Bei einem Interview mit NBC vermied Trump eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob er das TikTok-Gesetz stoppen werde.
  • Was kann Trump überhaupt ausrichten? Falls Trump zum Entschluss kommt, dass TikTok in den USA weitermachen darf wie bisher, kann er das nicht einfach selbst entscheiden. Schließlich ist das Gesetz bereits unterzeichnet, und ein Präsident allein kann es nicht außer Kraft setzen. Trump könnte die republikanische Mehrheit in beiden Kammern des US-Kongresses auffordern, das Gesetz zurückzuziehen, doch viele einflussreiche Republikaner unterstützen ein Verbot (Bloomberg). Trump könnte auch seinen Generalstaatsanwalt anweisen, die Inhalte des Gesetzes nicht durchzusetzen. Dann müsste er den App-Store-Betreibern Apple und Google sowie Cloud-Unternehmen wie Oracle und Amazon glaubhaft machen, dass sie keine Konsequenzen fürchten müssen, falls sie TikTok nicht wie im Gesetz vorgeschrieben verbannen. Eine dritte Möglichkeit wäre es, einfach zu behaupten, dass ByteDance eine "qualified divestiture" vorgenommen habe, also relevante Teile von TikTok verkauft hat. (Lawfare).

Dieser Artikel ist nur für zahlende Mitglieder

Jetzt Mitglied werden und vollen Zugriff auf alle Artikel erhalten.

Jetzt Mitglied werden Hast du schon einen Account? Einloggen