Was ist

Telegram hat offenbar große Pläne. Gründer Pavel Durov, der Telegram bislang überwiegend aus einem Privatvermögen von geschätzten 15 Milliarden Dollar finanziert, will den Messenger profitabel machen und womöglich an die Börse bringen. Dafür wäre ein radikaler Kurswechsel nötig. Bislang operiert Telegram weitgehend im Verborgenen, schreibt sich seine eigenen Regeln und verweigert sowohl Geheimdiensten als auch Forschenden die Auskunft.

Im Falle eines Börsengangs müsste Telegram zulassen, was Durov seit Jahren unter allen Umständen zu verhindern versucht: eine gewisse Transparenz, zumindest in finanzieller und organisatorischer Hinsicht.

Warum das wichtig ist

Hunderte Millionen Menschen kommunizieren über Telegram. Manche nutzen den Messenger als harmlose Chat-App. Andere verbreiten Terror-Propaganda und Verschwörungserzählungen, verkaufen Waffen und illegale Drogen, schmieden gewalttätige Umsturz-Pläne oder schüren Hass auf Minderheiten. Doch Telegram ermöglicht nicht nur organisierte Kriminalität, sondern dient auch als Zufluchtsort für Dissidenten und Oppositionelle, die sich dort vernetzen und den Widerstand gegen autoritäre Regime organisieren.

Kurzum: Es gibt wenige Apps, die so stark polarisieren wie Telegram. Durov gilt wahlweise als gefährlicher Radikal-Libertärer oder als einer der letzten aufrichtigen Kämpfer gegen angebliche Zensur. Das macht ihn zu einer faszinierenden Persönlichkeit mit großem Einfluss und Telegram zur wohl wichtigsten App, die für kaum jemanden greifbar ist.

Wie sich Telegram verändern möchte

Durov gibt selten Interviews, sieben Jahre lang sprach er nicht mit Medien – bis jetzt. Mitte März erzählte er der Financial-Times-Reporterin Hannah Murphy von seinen Plänen für Telegram. Wir fassen die wichtigsten Aussagen zusammen:

  • Derzeit sollen rund 900 Millionen Menschen Telegram monatlich öffnen (wie fast alle Aussagen lässt sich die Zahl nicht überprüfen). Das wären fast doppelt so viele wie vor drei Jahren. Zum Vergleich: WhatsApp hat knapp zwei Milliarden Nutzerïnnen, Signal rund 30 Millionen.
  • (Interessante Randnotiz: Auf seiner Webseite schreibt Telegram, man habe 41 Millionen MAUs in der EU. Online-Plattformen mit mehr als 45 Millionen monatlich aktiven Nutzenden gelten in der EU als VLOPs, für die der Digital Services Act greift. Falls Telegram weiter wächst, könnten daraus bald ganz neue Transparenzpflichten entstehen.)
  • Offenbar peilt Telegram einen Börsengang in den USA an, sobald das Unternehmen profitabel ist. Das soll spätestens im kommenden Jahr so weit sein.
  • Aktuell liegen die Kosten bei 70 Cent pro Nutzerïn, das wären rund 630 Millionen Dollar pro Jahr. Der Umsatz bewegt sich also im dreistelligen Millionenbereich. Meta setzte vergangenes Jahr mehr als 2,5 Milliarden Dollar um – pro Woche (135 Milliarden im Jahr 2023).
  • Durov will mehrere Angebote von Investorïnnen abgelehnt haben, die Telegram mit mehr als 30 Milliarden Dollar bewertet haben sollen.
  • Aktuell arbeiten rund 50 Personen in Vollzeit für Telegram, darunter 30 Entwicklerinnen und sieben System-Administratoren. Das ist ein außergewöhnlich winziges Team. Keine andere Plattform dürfte ein solches Verhältnis aus Beschäftigten und Nutzenden haben.

Was das bedeutet

  • Falls Durov seine Ankündigung ernst meint, müsste er Telegram grundlegend verändern. Börsennotierte Unternehmen müssen bestimmte Rechenschaftspflichten erfüllen, etwa regelmäßig Quartalsberichte veröffentlichen, Hauptversammlungen abhalten, Geldströme offenlegen und Risikoabschätzungen für Investorïnnen herausgeben.
  • Doch damit allein wäre es nicht getan. Telegram in seiner aktuellen Form wäre eine schwer verkäufliche Aktie. Investorïnnen wollen eine gewisse Sicherheit und Verlässlichkeit, die Telegram nicht bieten kann.
  • Will man wirklich Anteile eines Unternehmens besitzen, das Terroristen und Extremisten eine Bühne bietet, bestenfalls halbherzig gegen strafbare Inhalte vorgeht, als Sammelbecken für organisierte Kriminalität gilt und sich regelmäßig sowohl mit Sicherheitsbehörden als auch mit Apple und Google anlegt?
  • Zudem könnte der zweifelhafte Ruf auch Werbekunden abschrecken, die Anzeigen in großen, öffentlichen Kanälen buchen könnten. Im Vergleich zu den Inhalten, die auf Telegram online bleiben, ist X ein Paradebeispiel für gewissenhafte Content-Moderation – und selbst dort wollen immer weniger Unternehmen werben, seit Elon Musk den Ton angibt.

Wie Telegram Geld verdienen möchte

  • Im Gegensatz zu Plattformen wie Instagram oder TikTok lassen sich Messenger nicht so leicht monetarisieren. Nutzerïnnen reagieren allergisch auf Werbung in ihren privaten Chats. Signal finanziert sich durch Spenden und eine Stiftung, Meta setzt bei WhatsApp auf Unternehmenskunden.
  • Diesen Weg geht nun auch Telegram. Mit Telegram Business bietet man Funktionen, die sich vorwiegend an Geschäftskunden richten: Angabe von Öffnungszeiten und Standort, Shortcuts für schnelle Antworten, automatisierte Begrüßungen, Abwesenheitsnotizen, Chatbots sowie Tags und Links für Chats.
  • Gleichzeitig können Betreiberinnen von Telegram-Kanälen künftig die Hälfte der Einnahmen erhalten, die Telegram mit Werbung erzielt, die es in diesen Kanälen schaltet (Telegram). Wer das nicht möchte, kann die Anzeigen für den eigenen Kanal deaktivieren.

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