Neue Gesetze für TikTok, Instagram und YouTube: Social Media im neuen Medienstaatsvertrag

Was ist

Fast unbemerkt ist am 7.11.2020 der Medienstaatsvertrag in Kraft getreten. Nach langen Diskussionen konnten sich die Länder auf die „Modernisierung der Medienordnung“ einigen, nachdem das Bundesverfassungsgericht schon 2018 auf die massiven Verschiebungen durch „die Netz- und Plattformwirtschaft einschließlich der sozialen Medien“ hingewiesen hatte und damit die Debatten um Fake News, Hatespeech, Filterblasen und die Meinungsmacht der großen Plattformen aufgriff. Nun hat der Gesetzgeber nachgezogen. Ziel des Medienstaatsvertrages ist es, die vom Verfassungsgericht skizzierten Probleme anzugehen und die Vielfalt der Medien sowie die „kommunikative Chancengleichheit“ zu wahren. Das war mit dem Rundfunkstaatsvertrag von 1991 nicht mehr zu bewerkstelligen, der die Existenz der großen digitalen Kommunikationsplattformen ausblendete. Die Begründung des Medienstaatsvertrages bezeichnet soziale Netzwerke und Suchmaschinen nun als „digitale Gatekeeper“, die in den medienrechtlichen Rahmen einbezogen werden.

Regelungen im Überblick

  • Social Bots und politische Werbung: Im Bereich der Social Bots sorgt der Medienstaatsvertrag vor allem für Transparenz. Die Länder sehen die Gefahr der Beeinflussung der Meinungsbildung durch von Computerprogrammen automatisiert erstellten Inhalten. Ab sofort müssen diese Inhalte gekennzeichnet werden, wenn das Nutzerkonto dem Anschein nach auf menschliche Kommunikation schließen lässt. Diese Kennzeichnungspflicht auf sozialen Netzwerken wie Facebook, TikTok und Twitter trifft diejenigen, die den automatisierten Account betreiben. Aber auch die sozialen Netzwerke selbst müssen dafür Sorge tragen, dass die Pflicht auch eingehalten wird. Ein weiterer Bereich in dem mit Transparenz der Gefahr von Manipulationen begegnet werden soll, ist der Bereich der Werbung. Ab sofort muss politische, weltanschauliche und religiöse Werbung als solche gekennzeichnet sein. Damit die Nutzerïnnen über den Ursprung und die Finanzierung solcher Werbung informiert sind, muss auch auf die Werbenden bzw. Auftraggeber deutlich hingewiesen werden.
  • Algorithmische Sortierkriterien: Interessant sind vor allem die neuen Transparenzpflichten für algorithmische Sortierkriterien. Den Nutzerïnnen von sozialen Netzwerken und Suchmaschinen aber auch allen Medienhäusern, die ihren Content dort verbreiten, sollen nun erstmals die Kriterien offengelegt werden, nach denen Inhalte angezeigt und sortiert werden. Die sog. Medienintermediäre („jedes Telemedium, das auch journalistisch-redaktionelle Angebote Dritter aggregiert, selektiert und allgemein zugänglich präsentiert, ohne diese zu einem Gesamtangebot zusammenzufassen“) müssen nun die Kriterien, die über den „Zugang und Verbleib eines Inhalts“ auf der Plattform entscheiden sowie die „zentralen Kriterien der Aggregation, Selektion und Präsentation sowie ihre Gewichtung und die Funktionsweise der Algorithmen“ leicht auffindbar und in verständlicher Sprache offenlegen. Wesentliche Änderungen der Kriterien müssen zudem rechtzeitig bekannt gemacht werden. An diese zu veröffentlichenden Relevanzkriterien knüpft der Medienstaatsvertrag ein Diskriminierungsverbot. Damit ist es erstmals gesetzlich verboten, dass unzulässiger Einfluss auf die Auffindbarkeit der Medienangebote genommen wird. Angebote dürfen nicht aufgrund ihrer politischen Ausrichtung oder ihrer Organisationsform über- oder unterrepräsentiert sein.
  • Sorgfaltspflichten nun auch für Blogs, Podcasts und YouTube Accounts: Neu ist, dass sämtliche journalistischen Online-Medien die journalistische Sorgfaltspflicht einhalten müssen. Seit jeher müssen Rundfunk und Presse online wie offline diese Sorgfaltsstandards einhalten. Sie müssen Nachrichten vor ihrer Verbreitung mit der „nach den Umständen gebotenen Sorgfalt auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit“ überprüfen. Maßstab dafür ist der Pressekodex des deutschen Presserats, der z.B. das Gebot enthält, redaktionelle und werbliche Veröffentlichungen zu trennen. Der Medienstaatsvertrag verpflichtet nun neben Rundfunk und Presse auch Informationsdienste („andere geschäftsmäßig angebotene, journalistisch-redaktionell gestaltete Telemedien, in denen regelmäßig Nachrichten oder politische Informationen enthalten sind“) auf diese Sorgfaltspflichten. Gemeint sind journalistische Onlinemedien wie Blogs, Newsletter, Podcasts, YouTube etc. Neu ist auch, dass die Landesmedienanstalt bei Verstößen „erforderliche Maßnahmen“ ergreifen können. Als allerletztes Mittel wäre auch die Anordnung der Löschung von Inhalten denkbar. Dieser Aufsicht durch die Landesmedienanstalten können sich Informationsdienste aber entziehen, wenn sie Mitglied beim Deutschen Presserat oder einer Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle werden. Der Deutsche Presserat hat bereits reagiert und neue Mitgliedschaftsangebote für Online-Medien veröffentlicht.

Bigger Picture

Ein zentrales Problem in der von großen Plattformen dominierten Medienlandschaft ist es für Medien, überhaupt sichtbar und auffindbar zu sein. Auch dazu finden sich im Medienstaatsvertrag sog. Auffindbarkeitsregeln. Bestimmte Inhalte von Rundfunk, Mediatheken und Online-Medien müssen in Benutzeroberflächen „leicht auffindbar“ sein. Diese Regeln gelten aber nur für sog. Medienplattformen wie Joyn, TVNow und Zattoo. Im Gesetzgebungsverfahren wurde von einigen Wissenschaftlern gefordert, Auffindbarkeitsregeln auch für soziale Netzwerke und Suchmaschinen einzuführen. Die neuen Regeln betreffen nur einen kleinen Ausschnitt der Inhalte auf den sozialen Netzwerken. Dort gilt weiterhin vornehmlich das „Hausrecht“ der Plattformen. Die Gemeinschaftsstandards legen fest, welche Kommunikationsstandards auf den sozialen Netzwerken gelten und wie diese durchgesetzt werden (Automation-Rate bei YouTube über 99%). Einige Klauseln der Gemeinschaftsstandards und darauf basierende Löschentscheidungen der Netzwerke werden seit geraumer Zeit vermehrt durch Gerichte am Maßstab der Meinungsfreiheit aus Art. 5 GG überprüft.

Be smart

Die meisten Regeln des Medienstaatsvertrags gelten mit Inkrafttreten am 7.11.2020. Für einige Regeln gelten Übergangsfristen. Viele Detailfragen sind deshalb noch offen, weil die Landesmedienanstalten noch Satzungen schreiben, aus denen sich dann ergibt, wie z.B. die Kennzeichnungspflicht für Bots und die Transparenz der Sortierkriterien genau überprüft werden sollen.

Mit dem Medienstaatsvertrag und dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz hat der Gesetzgeber erst begonnen, Social Media medienrechtlichen zu regeln. Deutschland ist dabei europa- und weltweit ein Vorreiter und man wird sehen müssen, ob die Regeln die gewünschten Erfolge erzielen können. Weitere Gesetze und Regeln werden aber folgen: So wird auch das Kartellrecht (GWB) ein Update bekommen, um möglichst frühzeitig gegen den Missbrauch von Marktmacht im Bereich digitaler Plattformen vorgehen zu können. Um die europäische Urheberrechtsrichtlinie umzusetzen, wird es voraussichtlich ein eigenes Gesetz für Kommunikationsplattformen/Social Media geben (Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz). Auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz wird novelliert. Das wohl bedeutendste Gesetzgebungsverfahren läuft aber in Brüssel. Anfang Dezember soll der Entwurf des Digital Services Act vorgestellt werden. Erwartet wird, dass auch diese Initiative sich dem Problem der Meinungsmacht großer Plattformen und der Bekämpfung von Hassrede und Fake News widmet.

Autor: Jan Kalbhenn, Rechtsanwalt und Geschäftsführer am Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht (ITM) an der Universität Münster


Social Media & Politik

  • Kaum politische Inhalte auf Facebook (?): Facebook fühlte sich im Nachgang zur Wahl genötigt, noch einmal zu unterstreichen, wie wenig Inhalte auf der Plattform zirkulieren, die etwas mit Politik zu tun haben. Laut Blogpost sind das lediglich 6 Prozent aller auf Facebook geteilten Inhalte. Schön und gut. Aber wie viele Menschen diese sechs Prozent am Ende erreichen, wissen wir weiterhin nicht.
  • Politische Anzeigen bleiben vorerst verboten: Mindestens für einen weiteren Monat bleiben politische Anzeigen bei Facebook untersagt, berichtet die New York Times.
  • Biden schlägt Trump sogar auf Twitter: Joe Biden hat Donald Trump nicht nur beim Kampf ums Weiße Haus besiegt sondern auch in Sachen Aufmerksamkeit bei Twitter (Politico).
  • Konservative switchen Apps: Parler, Rumble und Newsmax boomen: Wer sich schlecht behandelt fühlt, geht. Das ist im Digitalen nicht viel anders als im echten Leben. Dass derzeit so viele alternative Social-Media-Plattformen enormen Zulauf (NYT) verbuchen, darf trotzdem Kopfschmerzen bereiten. Ein Auseinanderbrechen der Gesellschaft in unterschiedliche digitale Sphären verheißt nichts Gutes.
  • TikTok says the Trump administration has forgotten about trying to ban it, would like to know what’s up: Die Zeile der Woche kommt von The Verge. Eigentlich hätte TikTok am Donnerstag in den USA vom Netz gehen sollen. Hätte… Wie es weitergeht, ist derzeit völlig unklar.

Follow the money

  • Mitarbeiter sollen TikTok-Influencerïnnen werden: Ja, warum denn auch nicht? Das wird ja wohl nicht zu viel verlangt sein, wenn Mitarbeiterïnnen jetzt eben auch noch mal schnell ein bissl was auf TikTok posten. Ach so. Doch? Ist es? Nun, das sehen einige aus der Retail-Branche aber ganz anders: Retailers are pushing their employees to become TikTok influencers (Digiday).

Academia

  • Journalismus bei TikTok: Müssen Journalisten auf TikTok sein? Braucht dein Haus eine TikTok-Strategie? Und wenn ja: Wer soll denn dann bloß die Nachrichten tanzen? Diese und ähnliche Fragen dürften derzeit viele Kollegïnnen beschäftigen. Um darauf fundierte Antworten geben zu können, lohnt ein Blick auf die wissenschaftliche Untersuchung „How the news media are adapting to the logic of TikTok“. Darin analysieren die Autorinnen die Strategien von über 20 Medienunternehmen. Wer sich lieber selbst ein Bild machen möchte, bekommt in diesem Google Doc eine Liste mit Links zu 168 Medienhäusern auf TikTok.

Empfehlungen fürs Wochenende


Neue Features bei den Plattformen

Instagram

  • Redesign der Navigation: Wow, das ist mal eine Nachricht! Die Verantwortlichen bei Facebook und Instagram sehen TikTok tatsächlich so sehr als Gefahr für das eigene Geschäft, das Instagrams „TikTok-Klon“ nun zentral in die App integriert wird. Wir schauen uns das Verhältnis von Instagram Reels, TikTok und Triller nächste Woche noch einmal genauer an. Heute staunen wir erst einmal über das Signal, das von diesem Redesign der aktuell wohl wichtigsten Facebook-App ausgeht.

  • Vanish Mode: Snapchat hat vor vielen Jahren die Idee von vergänglichen Nachrichten populär gemacht. Die Idee dahinter: Auch im analogen Leben würde schließlich nicht jedes Gespräch und Telefonat archiviert. Jetzt zieht Facebook nach und ermöglicht einen sogenannten Vanish Mode bei Instagram und Facebook Messenger (Techcrunch). Im Gegensatz zu Snapchat ist das Feature aber nicht per default angeschaltet. Das müssen die Nutzerïnnen schon noch selbst machen.

Google

TikTok


Tipps, Tricks und Apps

  • WhatsApp Phone Storage: WhatsApp kann sich ganz schön arg auf den Speicherplatz des Telefons auswirken. WIRED erklärt, wie sich das ändern lässt: etwa indem das automatische Speichern von Fotos und automatische Downloads ausgeschaltet werden.

One more thing

  • Kein Rewind dieses Jahr: YouTube verzichtet dieses Jahr auf sein legendäres Best-of-Video. Es fühle sich einfach nicht richtig an mit Blick auf die Ereignisse in diesem Jahr, heißt es in der Begründung des Unternehmens. Vielleicht hat YouTube aber auch einfach keine Agentur gefunden, die bereit gewesen wäre, die Verantwortung für ein Rewind zu übernehmen. Nach der Kritik in den letzten Jahren nur all zu verständlich.

Header-Foto von Clay Banks bei Unsplash