Ich hatte 70.000 Follower bei X, jetzt bin ich auch hier.

Was ist

Okay, Bluesky ist dieser Tage der Main Character des Internets. Wie schön!

  • Dutzende US-Promis mit Millionen Followern haben in den vergangenen Tagen X den Rücken gekehrt, um bei Bluesky eine neue digitale Heimat zu finden. Die Aufzählung von Hollywood Reporter liest sich wie eine ausufernde Einladungsliste zu den Grammys.
  • Auch im deutschsprachigen Raum haben sich zahlreiche Personen und Institutionen dazu entschieden, ihre Accounts bei X zugunsten einer Präsenz bei Bluesky stillzulegen (und dies auch entsprechend kommuniziert). Die Bandbreite reicht von Armin Wolf bis zum FC St. Pauli.
  • Wie bei jedem Netzwerk steigt auch bei Bluesky mit der Anzahl prominenter Adressen die Anzahl der Nutzerïnnen insgesamt: Die Plattform kommt nun auf etwas mehr als 19 Millionen User (@bsky.app) und scheint bislang dem Ansturm - rein technisch - überwiegend gewachsen zu sein (New York Times).
  • Medienhäuser publizieren fleißig Anleitungen, die einem den Start erleichtern sollen. (The Verge, heise)
  • Alte (Twitter-) Bande werden geknüpft (@dirkvongehlen.bsky.social), neue Bekanntschaften über Starter Packs geschlossen. (Die Anzahl der Starter Packs in der Bluesky Directory ist in einer Woche von gut 5.000 auf weit über 50.000 gestiegen.)
  • Glich Bluesky vor einem Jahr noch der größten WhatsApp-Gruppe Deutschlands, könnte sich die Plattform nun tatsächlich zur neuen digitalen Heimat vieler "Twitter-Fans" entwickeln. Das Momentum ist da. Die Energie ist wirklich ansteckend.

Warum das wichtig ist

  • Elon Musk hat Twitter zu seinem persönlichen Propagandakanal umgebaut. Die Plattform X hat nichts mehr mit dem zu tun, was Medienschaffende, Politikerïnnen, NGOs, Promis und Aktivisten einst so schätzten. Wir haben beim Social Media Watchblog mehrfach darüber berichtet. Zuletzt in unserem vielfach geteilten Artikel von letzter Woche:
7 Gründe, warum Politik und Medien X verlassen sollten
Robert Habeck will X “nicht den Schreihälsen und Populisten” überlassen. Das ist ein Fehler.
  • Die Messe ist also gelesen und es stellt sich (eigentlich seit gut zwei Jahren) für alle Vergraulten die Frage, welche andere Plattform in Twitters Fußstapfen tritt.
  • Was die schiere Größe der Plattformen angeht, heißt der Gewinner eindeutig Threads. Instagrams Chef-Influencer Adam Mosseri verkündete jüngst, die Plattform von Meta habe nun 275 Millionen monatlich aktive Nutzerïnnen (Threads / Mosseri).
  • Da können Bluesky mit gerade einmal 20 Millionen registrierten Accounts und Mastodon (894.000 monatlich aktive User) nicht einmal annähernd mithalten.
  • Aber die Anzahl der Nutzerïnnen allein ist hier womöglich gar nicht entscheidend. Für die Frage, welche Plattform Twitter beerben könnte, kommt es ganz maßgeblich auch darauf an, wie sich die Plattform anfühlt.
  • Nun ist es mit Gefühlen ja so eine Sache. Aber unser Bauch sagt uns, dass sich Bluesky am meisten danach anfühlt, was Twitter einst auszeichnete. Die Möglichkeit, sich in Echtzeit zu politischen Themen auszutauschen, Expertïnnen zu entdecken, lustige Takes zu lesen, bei etwas Neuem dabei zu sein.
  • Wir hatten zu keinem Zeitpunkt in den vergangenen Monaten auch nur annähernd ähnliche Twitter-Vibes auf Threads, wie das derzeit bei Bluesky der Fall ist. (Von Mastodon einmal ganz zu schweigen. Was wirklich schade ist.)
  • Dass sich Threads nicht so sehr nach einem neuen Twitter anfühlt, mag nun von Meta durchaus beabsichtigt sein. Threads soll politischen Inhalten so wenig Raum wie möglich geben. Auch zielt die App durch die Verschränkung mit Instagram stark darauf ab, vor allem Influencerïnnen einen weiteren digitalen Raum zu eröffnen. Die algorithmische Sortierung erschwert es zudem, wirklich zu erfassen, was auf der Plattform gerade los ist. Recommend Media lautet die Losung.
  • Die Zuschreibung „TikTok für Text“ kommt uns für Threads sehr passend vor (Threads / Will Oremus). Es geht bei der App primär um die Inhalte, die am meisten unterhalten, die Nutzerïnnen bei Laune und damit auf der Plattform halten. Es geht bei Threads nicht um die Inhalte mit der größten gesellschaftlichen Relevanz. Für Millionen Nutzerïnnen scheint das völlig fein zu sein.
  • Und genau damit stellt sich die Frage, was ein Twitter-Nachfolger eigentlich sein könnte.

Bluesky als Antithese

  • Aktuell erlebt Bluesky vor allem deshalb einen solchen Boom, weil es die Antithese zu allen anderen gängigen Plattformen da draußen ist.
  • Bluesky bietet seinen Userïnnen per default eine chronologische Timeline. Zwar gibt es die Option, Feeds algorithmisch sortieren zu lassen, aber das ist bislang jedem Nutzer selbst überlassen 🤯
  • Bluesky bietet keine Möglichkeit, Texte, Fotos oder Videos per KI-Prompt zu generieren.
  • Auch spielen Videos bislang so gut wie keine Rolle.
  • Es gibt kein Downranking von Links. Es ist für die Plattform völlig okay, Leute zu Websites außerhalb der App zu schicken — und zwar ohne daran zu verdienen. Verrückt!
  • Dafür gibt es Möglichkeit, die Inhalte der App per Mute- und Block-Funktionen eigenständig zu moderieren.
  • Die Macherïnnen versprechen, dass mit den Posts keine KI-Modelle trainiert werden. (The Verge)
  • Es gibt noch nicht einmal invasives Tracking, mit dem Daten gesammelt werden könnten, um sie Anzeigenkunden zur Verfügung zu stellen.
  • Die Plattform ist offen für Entwicklungen von Dritten, was ziemlich wilde Blüten treiben kann: firehose3d.theo.io, firesky.tv, deletions.bsky.bad-example.com.
  • Die Plattform gehört keinem Milliardär.
  • Das ist schon alles ziemlich bemerkenswert. Und so vermutlich auch nicht durchzuhalten.

Vor welchen Herausforderungen Bluesky steht

  • Bluesky muss irgendwann Geld verdienen. Das Risikokapital der fragwürdigen Crypto-People (LinkedIn / joecardillo) soll ja schließlich Früchte tragen (Bluesky). Dadurch wird sich unweigerlich das Nutzungserlebnis verändern. Bislang ist nicht absehbar, wie das funktionieren soll, ohne die Dinge zu verändern, die Bluesky derzeit so attraktiv erscheinen lassen (s.o.).

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