Salut und herzlich Willkommen zur 548. Ausgabe des Social-Media-Watchblog-Briefings. Heute beschäftigen wir uns mit dem sogenannten Overblocking bei Twitter. Den Text dazu liefert Kollege Luca Hammer (@luca), der sich wie kaum ein Zweiter in Deutschland mit Twitter auskennt. Ferner erklärt uns Kollege Sascha Borowski (@saschaborowski), was die Augsburger Allgemeine nach sechs Monaten Paid Content, Artikel-Score und Conversion-Management gelernt hat. Auch schauen wir auf TikToks Verhandlungen mit der Musikindustrie und sieben Chrome-Tricks, die mensch kennen sollte. Ich bedanke mich für das Interesse und wünsche eine gewinnbringende Lektüre. Toll, dass Du da bist! Martin

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Overblocking bei Twitter

Was ist: Twitter Deutschland sorgt derzeit für Aufsehen, weil es eine ganze Reihe von Accounts sperrt, respektive gesperrt hat. Unter den (temporär) gesperrten Usern befinden sich Sawsan Chebli, Berliner Staatssekretärin, Sven Kohlmeier, Sprecher der SPD-Fraktion für Rechts- und Netzpolitik, und Rechtsanwalt Thomas Stadler.

Was hat es damit auf sich?

  • Die Accounts wurden mit der Begründung der versuchten Wahlmanipulation gesperrt.
  • Am häufigsten sind Tweets betroffen, in denen ein Witz gemacht wurde – etwa: „AfD-WählerInnen sollen ihre Wahlzettel unterschreiben.“
  • Auch Accounts, die den Witz testweise an Grüne-WählerInnen gerichtet haben, wurden prompt gesperrt.
  • Nicht nur neue, sondern auch mehrere Jahre alte Tweets sind betroffen.
  • In den meisten Fällen handelt es sich um eine temporäre Sperre. UserInnen werden aufgefordert den betroffenen Tweet zu löschen, um ihren Account wieder nutzen zu können.
  • Statt zu Löschen kann Einspruch erhoben werden. Einzelne Accounts (etwa @SawsanChebli und @RAStadler) wurden innerhalb weniger Stunden bzw. Tage freigeschalten. Andere warten noch immer oder der Einspruch wurde abgelehnt.
  • Von außen ist nicht sichtbar, ob ein Account gesperrt ist oder nicht. Erst wenn der Account permanent gesperrt wird, erscheint eine entsprechende Meldung – also wenn man versucht, ihn aufzurufen.
  • Unter dem Hashtag #TwitterSperrt tauschen sich NutzerInnen zu dem Thema aus.
  • Es ist wahrscheinlich, dass die Melde-Funktion missbraucht wird, da einzelne Accounts zum Melden von „gegnerischen“ Accounts aufgerufen haben. Wenn Accounts gesperrt wurden, wird die Bestätigung der Sperrung als Trophäe auf Twitter geteilt.

Hintergrund ist die neue Richtlinie zur Integrität von Wahlen (Twitter), sowie eine dazugehörige Meldeoption, die seit dem 29. April in der EU aktiv ist. Zuvor gab es keine Möglichkeit, solche Inhalte zu melden. Es handelt sich dabei um eine Antwort auf die US-Wahl, bei der viele solcher Wahlmanipulations-Versuche festgestellt wurden.

Konkret sind folgende Inhalte verboten

  • Irreführende Informationen zu Teilnahme und Ablauf von Wahlen
  • Unterdrückung und Einschüchterung von WählerInnen
  • Falsche KandidatInnen-Accounts

Politischer Druck wohl der Grund für die Sperren: Theoretisch waren irreführende Inhalte zum Ablauf von Wahlen schon immer verboten, weil Twitter die Nutzung zu rechtswidrigen Zwecken untersagt (Twitter) und in Deutschland nach Strafgesetzbuch § 108a Wählertäuschung und der Versuch strafbar sind. Mit dem NetzDG (Netzwerkdurchsetzungsgesetz) haben diese Sperrungen auch nichts zu tun, da Wählertäuschung nicht in den explizit definierten Anwendungsbereich des NetzDG fällt.

Stattdessen gibt es einen hohen gesellschaftlichen und politischen Druck auf die Social-Media-Plattformen. Die EU Kommission hat Anfang des Jahres einen „Code of Practice against disinformation“ veröffentlicht, der neben Twitter von Facebook, Google und Mozilla unterschrieben wurde. Die Plattformen haben sich verpflichtet, auf freiwilliger Basis gegen Manipulation vorzugehen. Nach einem Jahr wird die EU prüfen, ob die Maßnahmen der Plattformen zufriedenstellend sind. Falls nicht, kann es zu Regulierung durch die EU kommen.

Stichwort Overblocking: Es liegt nahe, dass Twitter sich dazu entschieden hat, sogenanntes Overblocking zu betreiben – also mehr Inhalte zu sperren, als unbedingt nötig.

  • Dadurch können sie stets behaupten, dass sie alles in ihrer Macht getan haben, um gegen Manipulation vorzugehen.
  • Bislang haben sie sich nicht offiziell dazu geäußert – nur darauf hingewiesen, dass sie die Gesprächskultur verbessern (Twitter) möchten.
  • Kritiker hingegen sagen, dass Twitter durch das Overblocking selbst Manipulation betreibt. Schließlich wären manche Inhalte, wie etwa die Witze, von der Meinungsfreiheit gedeckt.
  • Indem Twitter die Nutzung des gesamten Accounts sperrt, statt nur den betroffenen Tweet zu verstecken, wird ein hoher Druck auf die NutzerInnen ausgeübt, den Tweet zu löschen statt Einspruch zu erheben, was Jahre dauern kann.

Be smart: Auch wenn das NetzDG nichts mit Wählertäuschung zu tun hat, geben die Berichte dazu einen Einblick, wie die Plattformen arbeiten. Bei Twitter sind laut dem letzten Bericht (PDF) um die 50 Personen für etwa 42.000 NetzDG-Meldungen pro Monat in Deutschland zuständig. Es ist davon auszugehen, dass das gleiche Team Meldungen angeblich wahlmanipulierender Inhalte ebenfalls bearbeitet.

Ausblick: Am Mittwoch wird Twitter im Ausschuss Digitale Agenda des Bundestages zu den Sperrungen befragt.

Autor: Luca Hammer

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Facebook reagiert auf massive Kritik

Was ist: Facebook antwortet auf die Kritik von Facebook-Mitgründer Chris Hughes – natürlich standesgemäß ebenfalls mit einem Op-ed in der New York Times.

Was steht in dem Op-ed? Naja, ganz grob zusammengefasst in etwa: Stimmt alles gar nicht. Ist alles ganz anders. Facebook ist kein Monopol. Zerschlagen bringt sowieso nix. Social Media ist aus ganz anderen Gründen kaputt – die haben aber nur bedingt was mit Facebook zu tun.

Be smart: Um dieser Argumentation folgen zu können, bedarf es mehr als eines Meinungsbeitrags. Ich empfehle daher dringend, die Unterhaltung von Mark Zuckerberg und Yuval Noah Harari anzuschauen. Da steckt extrem viel drin – vor allem hinsichtlich Zuckerbergs Interpretation dessen, was Facebook eigentlich ist.

BTW: Die Kommentare sind übrigens auch nicht ohne: "Zuck may not be a robot, but his barber certainly is."

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TikTok und die Musikindustrie

Was ist: Die Musikindustrie hat erkannt, dass TikTok durchaus in der Lage ist, neue Stars zu generieren. Geht ein 15-Sekunden-Sound-Snippet auf TikTok viral, stehen die Chancen sehr gut, dass die Streamingzahlen des Tracks ebenfalls explodieren. Doch da dieser Transfer nicht immer funktioniert, bemühen sich die Plattenbosse nun um bessere Verträge mit TikTok.

Bislang hat ByteDance (TikToks Mutterhaus) für die Nutzung von Musiktiteln recht wenig bezahlen müssen. Bloomberg schreibt:

So record labels licensed TikTok the rights to music for a flat fee of only tens of millions of dollars, comparable to what record labels get from Spotify each week, to test what would happen.

Be smart: Dieser Deal scheint mit der zunehmenden Popularität der App überholt. Völlig zurecht. TikTok wäre ohne Musik ziemlich langweilig. Das dürfte auch ByteDance wissen und dementsprechend bereit sein, mehr Geld für Musikrechte auszugeben.

Übrigens: ByteDance hat sich ja die Expansion von TikTok einiges kosten lassen (The Information). Wer Instagram oder Snapchat nutzt, dürfte den Anzeigen von TikTok zuhauf begegnet sein. Die Werbe-Offensie war sogar so groß, dass es Blogposts und Reddit-Threads gibt, in denen erklärt wird, wie man den Anzeigen entkommt. OMG.

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8 Learnings aus sechs Monaten Paid Content, Artikel-Score und Conversion-Management

Viele Medien arbeiten derzeit daran, sich vom reinen Klick-Geschäft loszusagen und loyale Nutzer für Digital-Abos zu gewinnen – und vor allem, sie dann auch dauerhaft an sich zu binden. Dazu gehören auch die KollegInnen bei der Augsburger Allgemeinen. Im Folgenden möchte ich deshalb etwas außer der Reihe einen spannenden Artikel von Sascha Borowski von der Augsburger Allgemeinen ausführlich zitieren. Der Artikel kann in voller Länge auf Saschas Blog gelesen werden.

Acht Learnings aus sechs Monaten mit Paid Content, Freemium, Artikel-Score und Conversion-Management

  1. Guter Lokaljournalismus konvertiert. Klingt platt, ist aber so. Die überwiegende Zahl der Digital-Abos schließen wir jeden Tag mit klassischen Geschichten unserer Lokalredaktionen ab. Welche Themen funktionieren? Stadtentwicklung, Handel, Gastronomie, ÖPNV, regionale Wirtschaft, Arbeitswelt insgesamt, lokale Aufreger. Dazu: Menschen, Menschen, Menschen – persönliche Geschichten und Schicksale sind Stoff, für den Leser bereit sind, zu bezahlen. Wenn sie gut gemacht sind, gut erzählt, gut bebildert, gut verkauft. Klingt wie Brot-und-Butter-Geschäft, ist es auch – aber funktioniert.
  2. Mach’s einfach: 18 verschiedene Abo-Modelle, diverse Bundles? Eher nein. Und wenn der Kunde vor dem Kauf erst ein 68 Zeilen langes Formular mit persönlichen Daten ausfüllen soll, gleich zweimal nein. Jede – auch kleine – Vereinfachung und Entrümpelung des Bestellprozesses hat uns in den vergangenen Monaten geholfen, mehr Digital-Abos zu verkaufen. Am Ziel sind wir da allerdings noch lange nicht. Das Thema UX und Optimierung der Costumer Journey wird uns weiter beschäftigen. Tipp aus der Praxis: Bezahlung per Paypal anbieten – das ist ein echter Treiber im Abo-Geschäft.
  3. Nischenthemen nicht unterschätzen. Jede Redaktion, die schon einmal einen Readerscan oder eine Lesewert-Befragung gemacht hat, diskutiert schnell über die Abschaffung bestimmter Bereiche: Regionale Kultur, Vereinsnachrichten oder Lokalsport sind klassische Kandidaten dafür. Denn diese Ressorts sind alles andere als Massenthemen. Unsere Erfahrung aus sechs Monaten Artikel-Score und Conversion-Management zeigt: Ja, lokale Kultur und Lokalsport sprechen nur sehr spitze Zielgruppen an; aber wenn die Berichterstattung gut gemacht ist, sind diese Zielgruppen auch gerne bereit, ein Abo abzuschließen.
  4. Digital-Abos generieren ist einfacher als Digital-Abos zu halten. Können vermutlich viele Häuser bestätigen, diese Erfahrung machen ja praktisch alle. Die Abbestellerquote bei Digitalabos ist einfach deutlich, deutlich höher als in Print. Umso wichtiger ist für uns der ständige Blick auf den Artikelscore geworden: Je mehr loyale Nutzer wir mit unseren Artikeln erreichen, umso größer ist die Chance, dass diese auch bei uns bleiben. Retension wird für uns auf absehbare Zeit die größte Herausforderung bleiben.
  5. Nachdrehen lohnt. Auch das haben wir sehr schnell gelernt: Gib Artikeln eine zweite Chance, wenn sie nicht konvertieren. Oft reicht ein anderes Bild, ein besserer Teaser oder einfach eine Überschrift, über die man nochmal nachgedacht hat – schon läuft er. Gilt im Übrigen auch für SEO…
  6. Gute Zeiten, schlechte Zeiten. Sonntagabend sind Leser eher bereit, ein Digital-Abo bei der Nachrichtenseite ihres Vertrauens abzuschließen als am Samstagmittag. Und auch sonst lohnt es sich genauer hinzusehen, wann der Aboverkauf auf der Seite läuft und wann nicht. Seit wir das wissen, steuern wir unsere Plus-Artikel gezielter aus – mit zunehmendem Erfolg.
  7. Ohne Daten geht nichts. Aber ohne jemanden, der diese Daten interpretieren und für die Redaktion in Handlungsempfehlungen übersetzen kann, geht auch nichts. Wir haben unsere Daten-Analystin vor eineinhalb Jahren mitten in die Redaktion gesetzt. Ein Erfolgsmodell – auch wenn sich Redakteure und Spezialistin, zugegeben, erst einmal aneinander gewöhnen mussten. Aber seitdem profitierten alle voneinander.
  8. Digital-Abonnenten sind deutlich jünger als Print-Abonnenten. Sicherlich die schönste Erkenntnis aus sechs Monaten intensivem Conversion-Management bei der Augsburger Allgemeinen. Mit gut gemachten Inhalten, professionellem Data-Management, gezielter Themen-Auswahl und -Optimierung, kurz: mit lokalem und regional relevantem Qualitätsjournalismus kann man jüngere Zielgruppen erreichen und für Abos gewinnen.

Die KollegInnen der Augsburger Allgemeinen haben die Zahl der verkauften Digitalabos in den vergangenen Monaten deutlich steigern können. Als nächstes soll ein interdisziplinäres Conversion-Team aufgebaut werden. Alles sehr spannend. Wer noch weitere Fragen hat, kann Kollege Borowski bestimmt gern mal bei Twitter anschreiben: @saschaborowski.

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Tipps, Tricks, Apps

Chrome Tricks: Wer Chrome nutzt, der sollte diese sieben Tricks kennen (oder zumindest wissen, dass mensch mit dem Browser sehr viel mehr machen kann als einfach nur URLs einzugeben.)

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One more thing

Podcast: Ich durfte vor ein paar Wochen beim Medienmacher-Meetup vom Media Lab Bayern erzählen, wie das mit dem Social Media Watchblog alles angefangen hat und warum ich es so spannend finde, Journalismus mit unternehmerischem Handeln zu verknüpfen. Das Gespräch mit Sebastian Esser wurde für die Steady-Podcast-Serie "Wie ich das gemacht habe" aufgenommen und kann via Soundcloud oder Apple Podcast nachgehört werden. Ich finde den Namen der Serie zwar etwas zu dick aufgetragen, aber das Gespräch hat mir viel Freude bereitet – Danke Sebastian und Danke an die Gastgeberinnen Lina Timm und Ronja Rathmann vom Media Lab Bayern.

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Header-Foto von Nuno Alberto bei Unsplash