Musk, mal wieder: Er kauft, er kauft nicht, er kauft

Was leider nicht ist

Ruhe.

Ach, Elon. Hättest du nicht …? Es war doch Wochenende, mal kurz durchatmen, Füße hochlegen und Finger weg von Twitter? Natürlich nicht. Drama, Baby!

Was ist

Elon Musk möchte die Twitter-Übernahme aussetzen. Angeblich will er vor dem Kauf erst prüfen, wie viele Spam- und Fake-Accounts es wirklich gibt. Das ist selbst für Musk eine bemerkenswert bescheuerte Begründung.

Tatsächlich dürfte er ganz andere Sorgen haben: Musk möchte entweder den Kaufpreis drücken oder sucht nach einer Möglichkeit, komplett aus dem Kaufvertrag auszusteigen. (Natürlich kann man nie ganz ausschließen, dass er einfach nur trollt und Spaß daran hat, mit minimalem Aufwand die halbe Medien- und Finanzwelt verrückt zu machen.)

Was Musk sagt

Our estimate is based on multiple human reviews (in replicate) of thousands of accounts, that are sampled at random, consistently over time, from accounts we count as mDAUs. We do this every quarter, and we have been doing this for many years.

Warum Musk damit nicht durchkommen wird

  • Fake-Accounts sind ein Problem. Nicht nur auf Twitter, sondern auf allen Plattformen und im ganzen Netz. Hinter einem signifikanten Teil der Konten stecken keine echten Menschen, rund die Hälfte des gesamten Datenverkehrs im Internet stammt von Bots. Automatisierte Accounts kapern Hashtags und manipulieren Trending-Topics, Werbekunden zahlen wissentlich für Fake-Klicks.
  • Fairerweise muss man sagen, dass Musk diesen Missstand seit Wochen immer wieder anprangert. Unter anderem hat er versprochen, dass er Spam-Bots loswerden möchte, wenn er Twitter übernimmt.
  • Wie er das tun will, ist unklar. Alle Plattformen versuchen, das Bot- und Spam-Problem zu lösen. Twitter löscht mehr als eine halbe Million Accounts pro Tag (Twitter / Parag Agrawal). Leider gibt es keine Zauberformel – vielleicht kennt Musk eine.
  • Twitter schätzt den Anteil der Fake- und Spam-Accounts offiziell auf weniger als fünf Prozent. Diese Angaben finden sich in den Quartalszahlen.
  • Seit mehr als acht Jahren schreibt Twitter dort aber auch (PDF):

In making this determination, we applied significant judgment, so our estimation of false or spam accounts may not accurately represent the actual number of such accounts, and the actual number of false or spam accounts could be higher than we have estimated.

  • Diese Schätzung ist möglicherweise zu niedrig. Eine aktuelle Analyse beziffert den Anteil auf knapp 20 Prozent (What's New in Publishing). Uns graut vor dem Moment, an dem Musk darauf aufmerksam wird.
  • Agrawal selbst versichert dagegen, dass Twitter relativ sicher sei, dass der Anteil tatsächlich unter fünf Prozent liege.
  • (Musks Reaktion auf den langen Thread: das Kothaufen-Emoji – very much on brand.)
  • Davon unabhängig sind Spam-Accounts kein Anlass, die Übernahme "vorübergehend auf Eis zu legen", wie Musk es nennt. Einen solchen Mechanismus sieht der Kaufvertrag schlicht nicht vor, ganz gleich aus welchem Grund.
  • Musk hatte vor dem Kauf die Möglichkeit, interne Berichte einzusehen, um sich ein besseres Bild des Unternehmens zu machen, für das er 44 Milliarden Dollar zahlt.
  • Diese "Due Diligence" lehnte er ab, und nicht nur das: Offenbar hat er nicht mal die öffentlichen Berichte gelesen. Sonst müsste er jetzt keine zwei Wochen alte Reuters-Meldung verlinken, die sich wiederum auf Twitters aktuellen Quartalsbericht bezieht, der wiederum seit dem ersten Quartal 2014 immer wieder dieselbe, oben zitierte Passage enthält.

Was Musk bezwecken könnte

Musk ist ein Troll, aber er ist hochintelligent. Hinter seinen Tweets dürfte Kalkül stecken. Mag sein, dass es ihm wirklich ein Anliegen ist, Spam-Bots zu bekämpfen – aber das ist nicht der Grund, warum er jetzt mit diesem Thema um die Ecke kommt. Zwei andere Szenarien sind deutlich wahrscheinlicher:

1. Musk will Twitter doch nicht kaufen

  • Seit Musk den Kaufvertrag unterzeichnet hat, ist Twitters Börsenkurs deutlich gesunken. Mittlerweile sind die Aktien wieder genauso viel wert (CNBC) wie zu dem Moment, als er seinen Einstieg verkündete.
  • Auch sein eigenes Vermögen hat sich durch fallende Tesla-Kurse um rund 50 Milliarden Dollar reduziert. Die Finanzierung des Deals läuft nicht ganz so rund wie gedacht, Tesla-Aktien zu beleihen ist lästig.
  • Obwohl er kräftig trommelt, haben sich noch nicht genug Investoren gefunden, damit er ganz auf den sogenannten Margin Loan auf seine Tesla-Anteile verzichten kann.
  • Zudem muss er zusätzlichen zu Bankkrediten und Aktien-Darlehen 21 Milliarden Dollar seines eigenen Vermögens einbringen. Dafür wird er weiter Tesla-Anteile verkaufen müssen, was den Börsenkurs weiter drücken dürfte.
  • Long story short: Vielleicht hat sich Musk verkalkuliert und merkt gerade, dass es zwar ganz nice ist, sein Lieblingsspielzeug besitzen, aber doch nicht so nice, dass es ihm 44 Milliarden Dollar wert ist. Schließlich kann er auch jetzt schon fast alles schreiben, was er will.
  • Das Problem für Musk: Aus dem Kaufvertrag kommt er nicht so einfach raus. Er hat sich verpflichtet, Twitter für den festgeschriebenen Preis zu kaufen, und es reicht auch nicht, eine Milliarde Dollar zu zahlen (so wie es auch wir in einem vergangenen Briefing geschrieben hatten, als wir noch nicht den gesamten, 73-seitigen Vertrag (SEC) gelesen hatten).
  • Darüber hinaus muss er einen "Material Adverse Effect" nachweisen, der den Wert des Unternehmens nachhaltig beschädigen könnte. Historisch ist das eine extrem hohe Hürde, nur wenige Übernahmen wurden aus diesem Grund nachträglich annulliert.
  • Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zählt der Anteil der Spam- und Fake-Accounts nicht dazu. Vor einem Gericht dürfte Musk keine Chance haben, aus dem Vertrag auszusteigen.
  • (Die Vorstellung, dass Twitter Musk verklagen könnte, damit er die Plattform doch kauft, obwohl er sie gar nicht mehr besitzen will, passt in ihrer Absurdität gut zu den Ereignissen der vergangenen Wochen.)

2. Musk will weniger zahlen

  • Angesichts fallender Tech-Kurse erscheinen die vereinbarten 54,20 Dollar pro Aktie plötzlich wie ein ziemlich guter Deal für Twitter.
  • Vielleicht will Musk nicht ganz aussteigen, aber den Preis drücken: Hört mal zu, lieber Twitter-Verwaltungsrat, ich habe euch 54,20 Dollar pro Aktie geboten, aber euer Unternehmen ist jetzt nur noch die Hälfte wert – ich biete 42 Dollar. (Copyright für den Weed-Witz: Matt Levine (Bloomberg))
  • Auch in diesem Fall könnte Musk wohl keine Richterin von seiner Sichtweise überzeugen, weil der Kaufvertrag ihn bindet, den er selbst unterzeichnet hat.
  • Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, dass sich Twitter darauf einließe, den Preis neu zu verhandeln. Das Unternehmen ist (selbstverschuldet) in einer miesen Situation: Falls Musk darauf besteht, weniger zu zahlen, kann Twitter ihn entweder verklagen und monatelang vor Gericht streiten – oder es akzeptiert die erneute Demütigung und gibt sich mit weniger zufrieden.
  • Die Moral der Belegschaft hat im vergangenen Monat bereits so stark gelitten, dass es vielleicht das geringere Übel wäre, sich zum Schnäppchenpreis an Musk zu verkaufen, als einen langen Prozess zu riskieren, der das Ansehen weiter beschädigt.
  • Der Kaufvertrag schreibt vor, dass sich beide Seiten nicht ohne Rücksprache öffentlich zur Übernahme äußern – mit einer ungewöhnlichen Ausnahme: Musk darf twittern, was er will, solange er weder Unternehmen noch Angestellte verunglimpft.
  • Sollte Musk darauf abzielen, weniger zu zahlen, ergäbe sein Verhalten Sinn. Tweet für Tweet stellt er das Unternehmen bloß, verunsichert Angestellte und Aktionärïnnen und scheint alles dafür zu tun, Twitters Wert zu senken.
  • Um es noch mal deutlich zu machen: Musk möchte Twitter kaufen und antwortet dem aktuellen Chef des Unternehmens in aller Öffentlichkeit mit einem Kothaufen (Vice) – das ist Peak Shitposting, literally.

Header-Foto von Andre Benz