Salut und herzlich Willkommen zur 551. Ausgabe des Social-Media-Watchblog-Briefings. Heute beschäftigen wir uns mit der Europawahl, bekommen einen Vorgeschmack auf den nächsten US-Wahlkampf und berichten über Facebooks Crypto-Währung. Zudem lernen wir, wie TikTok Video-Aufrufe zählt und dass sich Streaming-Zahlen ziemlich leicht beeinflussen lassen. Wir bedanken uns für das Interesse und wünschen eine gewinnbringende Lektüre, Simon und Martin
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Learnings aus der EU-Wahl
Was ist: Die Europawahl 2019 dürfte als erste Wahl in die Geschichte eingehen, die maßgeblich mit im Netz entschieden wurde. Natürlich nicht nur wegen der vielfach diskutierten Videos von Rezo und KollegInnen, sondern vor allem weil junge Menschen ihren Protest on- und offline gleichermaßen artikulierten und damit nachhaltig sowohl die öffentliche Debatte als auch die ausgelatschten Pfade politischer Kommunikation verändert haben (siehe Interview mit dem WDR) – darauf waren Politik und Medien nicht vorbereitet. Sie werden sehr lange brauchen, um sich dem Protest aqäquat zu stellen.
Warum ist das interessant? Wir erleben eine politische Elite, die vielerorts mit Unverständnis, Hohn und Spott auf die Kritik seitens der jungen Generation reagiert(e). Genau das aber scheint all jene motiviert zu haben, die seit den Protesten gegen die Urheberrechtsreform und Friday4Future regelmäßig auf die Straße gehen, sich von CDU und SPD abzuwenden. Das Hashtag #niewiedercdu wurde beim Wahlgang Realität.
Wie es jetzt weitergeht:
- Ich bin felsenfast davon überzeugt, dass wir es fortan häufiger erleben werden, dass einzelne, digital gut vernetzte, exponierte Persönlichkeiten / Gruppen, Debatten anstoßen werden, um die wir als Gesellschaft, aber allen voran die Politik nicht drum herumkommen werden. Das mag überwiegend positiv sein, kann aber auch gefährlich sein, wie Johannes Schneider bei Zeit Online klug analysiert.
- Die YouTube jedenfalls haben ihre Lektion gelernt und werde sicherlich bereits intensiv darüber diskutieren, wie sie sich noch stärker als Stimme der jungen Generation positionieren können.
- Zudem wird darüber diskutiert werden, ob und wie solche Wahl-Empfehlungen von YouTubern (und anderen reichweiten-starken Social-Media-Akteuren) auch Regeln unterliegen sollten. Annegret Kramp-Karrenbauer hat zur großen Verwunderung vieler gestern bereits über neue Regeln fabuliert. Da die HAZ daraus „Regulierungen“ machte, befürchteten viele direkt, AKK wolle die Meinungsfreiheit beschneiden. Das dementierte AKK umgehend. SPON geht davon aus, dass das alles genau so gemeint war: Die Selbstentblößung der AKK.
Be smart: CDU und SPD haben ein Politik- und ein Kommunikationsproblem. Das Politikproblem führt dazu, dass sich junge Menschen auch künftig weiterhin nur bedingt von ihr abgeholt fühlen. Das Kommunikationsproblem führt dazu, dass sie (und alle anderen etablierten Parteien ebenfalls) zu Getriebenen werden könnten.
Tiefgang: Essenz der Digitalisierung: Eine fundamentale Machtverschiebung (Gezeitenraum)
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Facebook will Pelosi-Fake nicht löschen
Was ist: Seit vergangener Woche haben Millionen Facebook-NutzerInnen ein eindeutig und bewusst manipuliertes Video der US-Politikerin Nancy Pelosi gesehen. Trotzdem weigert sich Facebook, die Fälschung zu löschen.
Warum das wichtig ist: Der Vorfall zeigt, wie leicht politische Akteure die Reichweite sozialer Medien missbrauchen können – und wie bereitwillig sich Facebook missbrauchen lässt. Zudem bietet der Vorgang womöglich einen Vorgeschmack auf die kommende US-Wahl.
Was passiert ist: Am vergangenen Mittwoch trat Pelosi bei einer Veranstaltung des liberalen Thinktanks "Center for American Progress" auf. Die Facebook-Seite Politics WatchDog verbreitete die Aufnahme – mit einer entscheidenden Änderung: Das Video läuft etwas langsamer, sodass die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses betrunken wirkt. Seitdem wurde allein der Originalbeitrag knapp drei Millionen Mal angeschaut und 50 000 Mal geteilt. Ein Großteil der 30 000 Kommentare enthält Beleidigungen und persönliche Angriffe auf Pelosi.
Was Facebook sagt: Es gebe keine Richtlinie, die vorschreibe, dass Nutzer nur wahre Informationen auf Facebook teilen dürften. "Wir denken, dass es wichtig ist, dass Menschen selbst entscheiden, was sie glauben sollen", sagte die zuständige Managerin Monika Bickert in einem eine CNN-Interview. Facebooks Job sei es, ihnen akkurate Informationen zu liefern, auf deren Grundlage sie entscheiden könnten.
Was Facebook macht: Statt das Video zu löschen, schränkt Facebook die Reichweite ein und zeigt den Beitrag weniger Menschen in ihren Newsfeeds an. Außerdem sehen NutzerInnen einen Hinweis, dass unabhängige Faktenprüfer die Aufnahme für manipuliert halten. Neben dem Video verlinkt Facebook auf weiterführende Artikel.
Was Youtube sagt: Ein Sprecher teilte mit, dass die Fälschungen eindeutig Youtubes Richtlinien verletzten, welche Inhalte hochgeladen werden dürften. Die Plattform hat bereits am Donnerstag alle Uploads des Videos entfernt.
Be smart: Facebook hält sich strikt an die Regeln, die es sich selbst auferlegt hat: Gelöscht wird nur, was gegen die Gemeinschaftsstandards verstößt – und die verbieten offenbar keine Manipulationen. Man kann darüber streiten, wie sinnvoll die Standards in diesem Punkt sind. Schließlich wird das Video offenbar erfolgreich genutzt, um eine prominente Politikerin persönlich zu diffamieren. Grundsätzlich kann ich Facebooks Haltung aber nachvollziehen, möglichst selten einzugreifen.
Die Situation ist vertrackt: Facebook weigert sich, Verantwortung für Inhalte zu übernehmen, sagen die einen. Facebook schwingt sich zum Richter auf und entscheidet selbst, wo Meinungsfreiheit aufhört, sagen die anderen. Im konkreten Fall hätte ich mir aber eine andere Entscheidung gewünscht. Hinter dem Video steckt so eindeutig bösartige Täuschungsabsicht, dass Facebook hätte eingreifen sollen.
Im vergangenen Jahr hat Mark Zuckerberg noch erklärt, warum Facebook (in den USA) selbst Holocaustleugnung stehen lässt: Er glaube, dass einige Menschen den Völkermord der Nazis tatsächlich anzweifelten. Es sei schwer, ihnen nachzuweisen, dass sie mit Vorsatz lügen. Unabhängig davon, ob man diese Sichtweise teilt (ich tue es nicht), sollte Facebook seinen Chef beim Wort nehmen: Dieses professionell manipulierte Video ist eine Lüge mit Vorsatz.
Autor: Simon Hurtz
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Facebooks Crypto-Währung soll 2020 starten
Was ist: Einem Bericht der BBC zufolge arbeitet Facebook daran, seine Währung mit dem Arbeitstitel „GlobalCoin“ bereits im ersten Quartal 2020 in einigen ausgewählten Ländern zu launchen. Erste Tests sollen bereits Ende des Jahres stattfinden.
Was ist Facebooks Motivation dabei?
- Vordergründig will Facebook eine digitale Währung schaffen, die erschwingliche und sichere Zahlungsmöglichkeiten bietet, unabhängig davon, ob NutzerInnen ein Bankkonto haben oder nicht.
- Vor allem dürfte es Facebook aber darum gehen, Daten über das Kaufverhalten zu sammeln. So ließe sich Werbung noch zielgerichteter ausspielen, ergo mehr verdienen.
Wie ernst meint es Facebook?
- Das Unternehmen ist bereits in Gesprächen mit der Bank of England, mit Western Union und vielen Geschäften, die dann etwa bei Instagram die neue Zahlungsoption anbieten könnten.
- Facebook hat in Genf eine neue Firma mit dem Namen Libra Networks gegründet. Die Firma soll alles anbieten, was für den Aufbau eines Bezahlsystems wichtig ist.
- Zudem zeichnet Facebook-Veteran David Marcus für das Projekt verantwortlich. Marcus, gebürtiger Schweizer, hat bereits als Präsident von Paypal gewirkt und den Messenger zu einem Milliarden-Netzwerk ausgebaut. Keine ganz kleine Nummer also bei Facebook.
Be smart: Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass bislang um die 30 Millionen Menschen Crypto-Währungen nutzen. Mit Blick auf Facebooks 2,7 Milliarden Nutzer insgesamt, ist da also reichlich Luft nach oben. Das Problem: Die Nutzer müssen Facebook vertrauen, um ihr Geld in Crypto-Coins umzutauschen. Und auch wenn es keinen Massenexodus nach all den Datenskandalen gegeben hat, dürfte es mit dem Vertrauen so eine Sache sein.
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Seehofer greift das Chat-Geheimnis an
Was ist: Innenminister Horst Seehofer will Messengerdienste zwingen, das Überwachen von verschlüsselter Kommunikation zu ermöglichen. Unternehmen wie Whatsapp oder Telegram sollen verpflichtet werden, Nachrichteninhalte im Klartext an Behörden zu schicken, wenn Richterïnnen das anordnen. Wer nicht spurt, wird gesperrt – so jedenfalls wünscht es sich Seehofer.
Warum das wichtig ist: Ende-zu-Ende-Verschlüsselung (E2E) schützt die Privatsphäre von Milliarden Menschen vor Kriminellen, HackerInnen, Geheimdiensten und übereifrigen Innenministern. Seehofers Pläne könnten die Sicherheit der wichtigsten Chat-Dienste gefährden oder dazu führen, dass sich Unternehmen wie Whatsapp aus Deutschland zurückziehen.
Was Seehofer will: Auch TerroristInnen und ExtremistInnen profitieren von E2E, die Verschlüsselung erschwert die Arbeit von Sicherheitsbehörden. Wenn ErmittlerInnen einen Verdächtigen überwachen wollen, müssen sie sein Handy mit Späh-Software infiltrieren. Die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) ist besser als Bundes- oder Staatstrojaner bekannt. Selbst diese gezielte Maßnahme ist heftig umstritten, derzeit laufen mehrere Verfassungsbeschwerden. Seehofer möchte den Behörden nun noch viel weitreichendere Möglichkeiten geben.
Wie das technisch funktionieren soll: Das weiß vermutlich auch Seehofer selbst nicht. Das Vorhaben befindet sich noch in der Planungsphase zwischen Innen- und Wirtschaftsministerium. Fest steht nur, dass Behörden nicht selbst entschlüsseln sollen, das müssen die Anbieter übernehmen. Wie die Unternehmen das bewerkstelligen sollen, ist unklar: Ende-zu-Ende-Verschlüsselung trägt diesen Namen, weil Nachrichten direkt auf den Geräten von AbsenderÏnnen und Empfängerïnnen chiffriert werden – Whatsapp könnte selbst dann nicht mitlesen, wenn es das wollte. Jede Einschränkung dieses Prinzips schwächt den Verschlüsselungsstandard für alle NutzerInnen und gefährdet damit die Privatsphäre.
Was die betroffenen Unternehmen sagen: Die sind ganz und gar nicht begeistert. "Das hätte katastrophale Auswirkungen", sagte Wire-Mitgründer Alan Duric dem Spiegel. Seehofers Pläne seien gefährlich. Der Schweizer Messenger Threema sieht das genauso. "Wir sind nicht bereit, bei der Vertraulichkeit der Kommunikation irgendwelche Kompromisse einzugehen." Sollte Deutschland die Nutzung von Threema verhindern wollen, "würde sich das Land nahtlos in die Reihen totalitärer Staaten wie China oder Iran einreihen".
Be smart: Vor 20 Jahren skizzierte Rot-Grün die "Eckpunkte der deutschen Kryptopolitik". Darin finden sich diese Sätze: "Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, die freie Verfügbarkeit von Verschlüsselungsprodukten in Deutschland einzuschränken. Sie sieht in der Anwendung sicherer Verschlüsselung eine entscheidende Voraussetzung für den Datenschutz der Bürger, für die Entwicklung des elektronischen Geschäftsverkehrs sowie für den Schutz von Unternehmensgeheimnissen."
Vor fünf Jahren beschloss die Bundesregierung die "Digitale Agenda". Darin finden sich diese Sätze: "Wir unterstützen mehr und bessere Verschlüsselung. Wir wollen Verschlüsselungs-Standort Nr. 1 auf der Welt werden. Dazu soll die Verschlüsselung von privater Kommunikation in der Breite zum Standard werden."
Seitdem unternehmen PolitikerInnen (besonders tun sich dabei Innenminister hervor) große Anstrengungen, die Versprechen ihrer VorgängerInnen zu brechen. Vom Staatstrojaner bis zur Entschlüsselungsbehörde Zitis zielen ihre Vorhaben darauf ab, die Sicherheit von Verschlüsselung zu untergraben. Jetzt will Seehofer noch einen Schritt weiter gehen. Patrick Beuth kommentiert das treffend: "Deutschland würde in der Welt nicht als Verschlüsselungsstandort Nummer eins gelten, sondern als Backdoor-Bananenrepublik."
Autor: Simon Hurtz
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Keine Lust auf Newsletter via Messenger
Mehr als die Hälfte der Befragten (58 Prozent) hat laut einer repräsentativen Umfrage von YouGov eher keine Lust auf werbliche Inhalte in Messengern (Meedia). Falls ihr also gerade an eurer Messenger-Strategie arbeitet, weniger ist hier definitiv mehr! Dann kann es auch erfolgreich funktionieren – wie Kollege Martin Oswald vom Tagblatt twittert.
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Zahlen, die die Welt bedeuten
Wie TikTok zählt: Bei TikTok verhält es sich bislang genauso wie mit allen anderen Social-Media-Plattformen, wenn es um Presseanfragen geht: entweder es wird auf Blogposts verwiesen oder direkt abgewiegelt. Anders sieht es aus, wenn sich Partner nach Metriken, etc. erkundigen. So konnten wir über diesen Umweg erfahren, wie die gigantischen Zahlen zustandekommen, die TikTok für Hashtags und Videos ausweist:
Bei den Aufrufen handelt es um die kumulierten Video-Impressions. TikTok unterscheidet im Front-End nicht zwischen Impressions und Views.
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Schon einmal im Briefing davon gehört
Streaming-Zahlen lassen sich einer Recherche vom Y-Kollektiv zufolge leicht beeinflussen. So hat sich Reporter Ilhan Coskun mal eben zum Rapper machen lassen und es mit seinem Track von 0 auf über 200.000 Streams geschafft – alles mithilfe eines skurrilen „Social-Media-Experten“. (Ich schwöre, ich bin nicht der Typ mit der Skimaske und den Handschuhen.) Warum das interessant ist? Nun ja: Künstler wie MERO verdienen mit einzelnen Songs via Spotify bis zu 256.000 Dollar. MIT EINEM SONG! Dass es sich da lohnt, an den Zahlen zu schrauben, versteht sich ja von selbst. Spotify selbst hat auf die Anfragen vom Y-Kollektiv nicht reagiert.
ByteDance will laut der FT ein eigenes Smartphone bauen. Natürlich mit allen Apps aus dem eigenen Haus vorinstalliert – TikTok, Video-Spiele, News Feed, etc…
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Tipps, Tricks, Apps
Podcast-Ecosystem: Podcasts sind gekommen, um zu bleiben. So viel steht fest. Wer sich einen Überblick verschaffen möchte, wie es um das Podcast-Universum im Jahr 2019 bestellt ist, welche Firmen dabei eine führende Rolle spielen und wie viel Geld drin steckt, der kann sich diese Studie von a16z bookmarken. So umfangreich, das kann ich hier im Einzelnen nicht wiedergeben. Von daher: ab in die Leseliste. Investing in the Podcast Ecosystem in 2019
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One more thing
Übrigens: In den letzten Tagen ging ja dieses völlig absurde Foto viral, das Bergsteiger am Mount Everest beim Schlangestehen zeigt. Das tragische daran: es ist tatsächlich kein Fake.
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Header-Foto von Hyunwon Jang bei Unsplash