Was ist

Der eindeutige Headliner auf Metas Connect-Konferenz war die AR-Brille Orion. Wir schrieben in unserem Briefing (SMWB):

Trotz guter Ausgangsvoraussetzungen hat Meta es verpasst, ein eigenes mobiles Betriebssystem zu entwickeln. Deshalb ist man abhängig von Google und Apple. (…) Seitdem sucht Meta nach der Plattform der Zukunft, nach Software und Hardware, die Smartphones ersetzen. Die Vision für das Metaverse ist bislang nicht aufgegangen. Trotzdem könnten die Dutzenden Milliarden für Forschung und Entwicklung gut investiert gewesen sein, wenn Meta mit Orion der Konkurrenz um Apple, Google und anderen Tech-Konzernen zuvorkommt.

Der letzte Satz verdeutlicht, wie viel auf dem Spiel steht. Das halbe Silicon Valley sucht nach dem Gadget der Zukunft. Denn eins ist klar: Smartphones sind nicht das Ende der technischen Entwicklung. Das iPhone ist das erfolgreichste und wohl revolutionärste Produkt der Technikgeschichte, aber es wird abgelöst oder zumindest ergänzt werden. Neue Geräte werden analoge und virtuelle Realität verschmelzen lassen und KI im Alltag verankern.

Das Problem: So wenig Zweifel es beim Ob gibt, so unklar sind das Wann, Wie und Was. Niemand kann voraussagen, wessen Vision am ehesten aufgehen wird. Trotzdem ist es spannend, diese Entwicklung zu verfolgen. Denn wenn man sich anschaut, wie fundamental das Smartphone fast alle Lebensbereiche verändert hat, dann wird die nächste Evolutionsstufe wohl mindestens genauso relevant.

Deshalb widmen wir Metas Orion heute ein kurzes Follow-up. Zum einen möchten wir mit einigen Tagen Abstand ein paar weitere Gedanken ergänzen. Zum anderen hat sich mit Christian Simon ein treuer Leser (und ehemaliger Autor beim Social Media Watchblog) mit wertvollen Anmerkungen gemeldet. Long story short: Orion ist eine beeindruckende Tech-Demo – aber ob die Brille jemals ein fertiges Produkt wird, steht in den Sternen.

Warum Big Tech von AR träumt

  • Seit mehr als einem Jahrzehnt arbeiten Tech-Konzerne an Brillen, die ihren Trägerïnnen eine zusätzliche digitale Oberfläche bieten sollen. Durch die Gläser sieht man die Umgebung, gleichzeitig trägt man einen Computer im Gesicht. Mitten im Sichtfeld werden Informationen eingeblendet, es gibt Kameras, Lautsprecher, Sprach- und Gestensteuerung.
  • 2012 zeigte Google den ersten Prototyp der Google Glass, der Spott und Kritik auf sich zog ("Glasshole"). Die Technik war nicht bereit für den Massenmarkt, und ganz offensichtlich war die Welt auch nicht bereit für die Technik. Datenschutz, Ethik und Sicherheit waren damals noch mehr als nur Fußnoten.
  • Vier Jahre später präsentierte Snap die erste Version der Spectacles (The Verge). Auch diese Interpretation der AR-Brille startete nie durch. Im Gegensatz zu Google scheiterte Snap aber eher an technischen Limitationen als an moralischen Hürden.
  • Trotzdem hat das Silicon Valley den Traum nicht aufgegeben, Menschen einen Computer auf die Nase zu setzen. Der Griff zum Smartphone mag für Milliarden Menschen längst eine Übersprungshandlung sein, über die sie nicht mehr nachdenken. Dennoch sind die Informationen immer eine Handbewegung entfernt, stecken in der Hosentasche oder liegen auf dem Schreibtisch.
  • Aus Sicht der Tech-Konzerne gilt: Je omnipräsenter ihre Produkte und Dienste sind, desto besser. Jede Form von Friction muss minimiert werden. Was liegt also näher, als sich direkt im Sichtfeld der Nutzerïnnen zu platzieren?
  • Ungeachtet des Glass-Fiaskos arbeitet Google weiter an seiner AR-Vision, auf der Entwicklerkonferenz im Juni zeigte sich kurz ein Prototyp (The Verge). Auf Nachfragen antwortete man damals nur knapp: "The glasses shown are a functional research prototype from our AR team at Google. We do not have any launch plans to share."
  • Snap stellte kürzlich die fünfte Version der Spectacles vor (Snap Newsroom). Die Brille richtet sich aber hauptsächlich an Entwicklerïnnen und hat noch einen weiten Weg in den Mainstream vor sich (The Verge).
  • Mit der HoloLens hat Microsoft seit Jahren ein Mixed-Reality-Headset im Angebot. Wir würden einiges wetten, dass intern auch an AR-Technik gearbeitet wird, die sich unauffälliger in den Alltag integrieren lässt.
  • Und dann sind da eben noch Apple und Meta. Mit der Vision Pro gibt es bereits ein AR-Produkt von Apple zu kaufen. Das Konzept unterscheidet sich aber deutlich. Die Vision Pro ähnelt eher einem massiven Headset als einer Brille. Man blickt nicht direkt durch die Gläser, vielmehr fangen Kameras die Außenwelt ein und projizieren sie auf einen Bildschirm. Folgerichtig spricht Apple bislang nicht von AR, sondern von Spatial Computing.
  • Für Apple ist das wohl nur eine Zwischenstufe. Angeblich sollte schon 2023 eine AR-Brille veröffentlicht werden. Die Technik war aber nicht so weit, deshalb verschob man den Start um mehrere Jahre.
  • Das gab Meta die Gelegenheit, Apple zu düpieren. Das Medienecho auf Orion war groß und fast ausschließlich positiv. Zu den Eindrücken von Alex Heath (The Verge) und Ben Thompson (Stratechery), auf die wir im vergangenen Briefing verwiesen hatten, sind weitere Hands-ons hinzugekommen.
  • Auch Casey Newton (Platformer), Ina Fried (Axios) und Alex Kantrowitz (Big Technology) klingen angetan bis begeistert. Thompson hat mit etwas Abstand weitere Gedanken aufgeschrieben und bilanziert (Stratechery)
That is enough for now, but there will be more to say on all of this in the future. That, more than anything, is the biggest Orion takeaway: AR is going to be a real thing. Much else remains to be determined.

Warum ein Prototyp kein Produkt ist

  • Vergangene Woche betonten wir mehrfach, dass Orion noch Jahre von der Serienreife entfernt ist. Der Prototyp kostet rund 10.000 Dollar (wobei unklar ist, ob das die reinen Materialkosten sind, oder Forschung und Entwicklung auch eingepreist wurden), für ein Consumer-Gerät müsste der Preis drastisch sinken.
  • Wie hoch die Hürden tatsächlich sind, hat uns Christian Simon klargemacht. Er hat sich intensiv mit dem Thema beschäftigt und uns auf das Briefing geantwortet. Seine Anmerkungen empfinden wir als so kenntnis- und hilfreich, dass wir sie hier mit seiner Zustimmung leicht gekürzt wiedergeben möchten:
Dieser ganze Gedanke, dass Technologie immer kleiner, effizienter und billiger wird, hat dank Moores Law für Prozessoren einige Jahre lang gestimmt. Prozessoren sind aber ähnlich wie der Preis schon lange nicht mehr das Hauptproblem von XR-Brillen. Die Probleme sind Displays, Batterien und Heat Dissipation. Und, wie Metas Michael Abrash selbst gesagt hat: "There is no Moores Law for optics, batteries, weight or thermal dissipation". Alle diese Teile müssten Moores-Law-mäßige Entwicklungen hinlegen, damit diese Brillen "in den nächsten Jahren" bedeutend anders aussehen und funktionieren können (und zwar gleichzeitig bzw. im Rhythmus miteinander - wenn das Display doppelt so gut wird, aber dafür doppelt so viel Strom verbraucht, muss die Batterie mehr als doppelt so gut werden, wenn sie gleichzeitig auch kleiner und kälter werden soll usw.) Und all diese Entwicklungen müssen dann auch noch so passieren, dass Meta am Ende den Preis der Orion um mindestens den Faktor 10 (!) senken kann, wenn man mal von "Massentauglichkeit = ungefähr iPhone-Preis ausgeht)? I believe it when I see it.
  • Christians Schilderungen sind eine wertvolle Gegenperspektive zum Tech-Optimismus der US-Beatwriter, die dazu neigen, vor lauter Potenzial die Probleme etwas kleiner zu machen, als sie wirklich sind. Das deckt sich mit den Kritikpunkten von John Gruber (Daring Fireball), der als bekennender Apple-Fanboy und Meta-Verachter zugegeben nicht ganz neutral ist:

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