Salut und herzlich Willkommen zur 490. Ausgabe des Social Media Watchblog Briefings. Im Gegensatz zum vorangegangenen Newsletter gibt es heute kein dominierendes Thema. Dieses Briefing beschäftigt sich mit Youtubes radikalisierenden Algorithmen, Schattenprofilen bei Facebook und einem interessanten Interview des Whatsapp-Gründers. Außerdem gibt es reichlich Plattform-News und Lesestoff fürs Wochenende. Kommende Woche übernimmt dann wieder Martin.

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Youtube spaltet die Gesellschaft

Was ist: Ezra Klein schreibt bei Vox über die Fragmentierung der (in diesem Fall: US-amerikanischen) Gesellschaft und erklärt, welche Rolle Youtube dabei spielt. Der Text dreht sich nur teilweise um Social Media und ist sehr politisch. Die zugrunde liegenden Thesen sind aber essentiell, um den Einfluss von digitalen Plattformen auf politische Meinungsbildung zu verstehen. Auch Caroline Haskins setzt sich bei Motherboard mit dem Phänomen auseinander.

Worum geht es genau? Vergangene Woche hat Martin auf einen Report des Thinktanks Data & Society verlinkt, der analysierte, wie Youtube der sogenannten reaktionären Rechten zu weltweiter Aufmerksamkeit verholfen hat. Klein nimmt die Reaktionen auf den Report als Anlass, um zu verdeutlichen, wie eng die gemäßigte Rechte und das rechtsextreme Lager verbunden sind. Insbesondere Youtubes Algorithmen treiben Nutzer immer weiter in die Radikalität, ohne einen Weg zurück anzubieten.

Algorithmische Empfehlungssysteme reagieren auf Interaktionen, und im Social Web gilt fast immer: je emotionaler und zugespitzter, desto viraler. Wirtschaftlich betrachtet ergibt Youtubes Empfehlungslogik Sinn: Nutzer verbringen mehr Zeit auf der Plattform, hinterlassen mehr Daten und sehen mehr Werbung. Was es für die Gesellschaft bedeutet, radikalen Ansichten eine solch gewaltige Plattform zu geben, scheint mitunter weniger wichtig zu sein.

Kürzlich zeigte Karsten Schmehl bei Buzzfeed, wer die Youtube-Suchergebnisse zu Köthen dominierte: RT Deutsch, Verschwörungstheoretiker und Rechtsradikale, klassische Medien spielten kaum eine Rolle. Auch der Guardian hat das Thema aufgegriffen und kommentiert. Zuvor hatte die New York Times die Ergebnisse analysiert, die Youtube nach den Ereignisse von Chemnitz anzeigte, und war zu ähnlichen Ergebnissen gekommen.

Warum ist das wichtig? Facebooks Algorithmen tragen zu gesellschaftlichen Polarisierung bei, indem sie Nutzern Inhalte anzeigen, die sie in ihrer Meinung bestätigen. Seit Jahren erscheinen regelmäßig Texte über dieses Phänomen, mal Filterblase, mal Echokammer genannt, wobei die Realität etwas komplexer ist, als manche Warner suggerieren.

Meine Wahrnehmung: Journalisten schreiben zu oft über Facebook und zu selten über Youtube. Dort spielen Algorithmen eine mindestens genauso problematische Rolle, aber kaum jemand interessiert sich dafür. Die meisten Tech-Journalisten sind älter als 30 und nutzen selbst noch Facebook. Deshalb überschätzen sie dessen Bedeutung – und unterschätzen die Relevanz von Youtube.

Doch insbesondere bei Teenagern und jungen Erwachsenen ist Youtube längst die mit Abstand wichtigste Plattform, wie dieser Pew-Report zeigt. Sie vertrauen ihren Idolen blind und bilden sich auch politisch eine Meinung. Vor diesem Hintergrund haben Youtubes Empfehlungsalgorithmen eine gewaltige Macht. Im Frühjahr hat Zeynep Tufekci dazu ein Op-Ed in der New York Times geschrieben, das ich für einen der wichtigsten Texte über digitale Plattformen halte, die in den vergangenen Jahren erschienen sind: "Youtube, der große Radikalisator"

Be smart: Soziale Medien sind anfällig für Manipulation, ihre Funktionslogik wird von skrupellosen Akteuren ausgebeutet. Facebook, Google und andere Plattformen haben große Verantwortung – aber es wäre fatal, Tech-Unternehmen für alle gesellschaftlichen Probleme verantwortlich zu machen. Zeynep Tufekci (schon wieder) drückt es in einem Gastbeitrag in der Technology Review so aus: "Aber wir sind nicht nur wegen digitaler Technik dort angelangt, wo wir heute sind. (…) Die Verantwortung dafür liegt nicht bei Russland, Facebook, Google oder Twitter, sondern bei uns."

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Warum der Whatsapp-Gründer gegangen ist

Was ist: Forbes-Autorin Parmy Olson hat Whatsapp-Gründer Brian Acton getroffen und ausführlich mit ihm gesprochen. Er erklärt, wie Differenzen mit Mark Zuckerberg und Sheryl Sandberg zu seinem Abschied geführt haben, bei dem er auf rund 850 Millionen US-Dollar verzichtet hat, weil die entsprechenden Aktien erst zu einem späteren Zeitpunkt in seinen Besitz gewechselt wären.

Was sagt Acton? Im Wesentlichen nennt er zwei Gründe: Er sei nicht einverstanden damit gewesen, Whatsapp mittels Werbung zu monetarisieren (wie es 2019 geschehen soll) und habe sich dagegen gewehrt, Nutzerdaten mit Facebook auszutauschen. Die Facebook-Manager seien "gute Business-Leute", ein zweifelhaftes Kompliment. Es wird deutlich, dass er selbst ethische Fragen für wichtiger erachtet als wirtschaftliche – und Facebook unterstellt, das anders zu handhaben.

Warum ist das interessant? Der Text ist unbedingt lesenswert, weil er einiges über Facebooks Führungskultur und Selbstwahrnehmung verrät. Klar, Acton sieht sich selbst als "den Guten" und hat kein besonderes Interesse, seinem früheren Arbeitgeber Honig um den Mund zu schmieren. Aber was er über Zuckerberg und insbesondere Sandberg erzählt, die seine nutzerfreundlichen Monetarisierungspläne mit dem zweifelhaften Argument "Das skaliert nicht" abgelehnt haben soll, spricht Bände.

Wie glaubwürdig ist das? Facebook Spitzenmanager David Marcus, früher für den Messenger zuständig, mittlerweile Leiter des Blockchain-Teams, reagiert auf Facebook. Zuckerberg habe die Whatsapp-Verschlüsselung immer unterstützt und aktiv verteidigt (allerdings sagt Acton das auch selbst). Marcus wirft Acton vor, kein Interesse daran gehabt zu haben, Whatsapp ein funktionierendes Geschäftsmodell zu verpassen. Am Ende nennt er Actons Interview "a whole new standard of low-class". Meine Lesart: Nahezu alles, was Acton erzählt, stimmt. Sonst hätte Marcus solche Angriffe nicht nötig und würde stattdessen inhaltliche Dementi üben.

Be smart: Hochrangige Führungskräfte bei Facebook gehen Acton direkt an. Das ist ungewöhnlich. Vielleicht ist Marcus einfach sehr loyal gegenüber Zuckerberg und Sandberg und hat das Gefühl, dass Acton die beiden ungerecht behandelt. Trotzdem ist das keine professionelle, souveräne Reaktion. Am absurdesten ist Marcus' letzter Absatz. Er schreibt, dass er bei keinem anderen Unternehmen als Facebook arbeiten wolle, weil es nur dort "ausschließlich um die Menschen" gehe und nicht etwa darum, Geräte zu verkaufen oder zu unterhalten. Facebook, das Daten von Milliarden Nutzern sammelt, personalisierte Werbeanzeigen verkauft, das gesamte Netz mit Like-Buttons verwanzt, anfällig ist für Desinformationskampagnen und Menschen radikalisiert, jenes Facebook behauptet von sich, wahrhaft altruistisch zu sein. Glashaus, anyone?

Mehr zum Thema:

  • Bei Recode versucht Kurt Wagner, Marcus' Ausfälligkeiten zu erklären. Als Leiter des Blockchain-Teams, das regelmäßig Start-ups aufkaufen wolle, sei es für ihn besonders hinderlich, wenn Facebooks Ruf bei Gründern leide – was nach den Abgängen von Acton, Koum, Systrom und Krieger definitiv der Fall sei.
  • Eine Gegenmeinung vertritt Jason Koebler von Motherboard. Wer sein Unternehmen für viele Milliarden Dollar an Facebook verkaufe, sei selbst schuld und verdiene keinen Respekt. Sich nachträglich als Kämpfer für Datenschutz und Nutzerinteressen zu inszenieren, sei unglaubwürdig.

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Weiteres zum Abgang der Instagram-Gründer

Hintergründe zum Abschied der Instagram-Gründer: Das vorherige Briefing beschäftigte sich ausführlich mit Kevin Systrom und Mike Krieger. Mehreren Medienberichte zufolge sollen Meinungsverschiedenheiten mit Mark Zuckerberg der maßgebliche Grund für die Entscheidung gewesen sein. Mike Isaac schreibt nun, dass mehrere Faktoren eine Rolle gespielt hätten: unterschiedliche Auffassung über Änderungen am Produkt, Personalrochaden bei Facebook und Instagram sowie die zunehmende Einflussnahme Zuckerbergs. Einem Dutzend Quellen zufolge hätten Systrom und Krieger deshalb im Laufe der vergangenen Monate ihren Abschied beschlossen. (New York Times)

Wie Facebook Instagram verschlimmbessert hat: Chris Welch zeigt anhand von fünf Beispiele, dass Facebooks Tendenz, Instagram enger mit dem eigenen Netzwerk zu verzahnen, oft nicht im Sinne der Nutzer ist. (The Verge)

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Schattenprofil-Targeting bei Facebook

Was ist: Kashmir Hill hat wieder zugeschlagen. Seit Jahren recherchiert sie Facebooks fragwürdigen Datenschutz-Praktiken hinterher. Jetzt hat sie herausgefunden, dass Werbetreibende bei Facebook Anzeigen aufgrund von Merkmalen schalten können, die Nutzer nicht bewusst preisgegeben – etwa einer Festnetznummer, die sie nie selbst bei Facebook angegeben haben.

Warum ist das interessant? Ein Modegeschäft könnte Frauen Werbung ausspielen, die dort bereits gekauft haben, ein Politiker könnte Nutzern Anzeigen vorsetzen, die auf seiner Mailingliste stehen, ein Casino könnte gezielt mutmaßlich spielsüchtige Menschen ansprechen. Für Werbekunden sind die "Custom Audiences" also definitiv von großem Interesse. Und für Nutzer ist es "interessant" zu erfahren, dass Facebook auch Informationen fürs Targeting freigibt, die sie nur für Sicherheitszwecke hinterlegt (etwa die Handynummer) oder gar nicht selbst preisgegeben haben. Facebook liest beispielsweise Adressbücher seiner Nutzer aus und verknüpft alle enthaltenen Informationen mit bestehenden Accounts. So gelangen E-Mailadressen und Telefonnummern in Facebooks Besitz, die Betroffene niemals selbst mit Facebook teilen würden.

Be smart: Facebook versucht, diese Tatsache vor seinen Nutzern zu verschweigen. Mehrere FAQs zu Werbeanzeigen verschweigen, dass Facebook Informationen fürs Targeting nutzt, die von Dritten stammen. Facebook suggeriert, Nutzern mit dem Archiv-Download eine Möglichkeit zu bieten, alle ihre Daten herunterzuladen und einzusehen. Das stimmt nicht. Ich habe mir im Juli mein eigenes Archiv angesehen und war weniger entsetzt über die vielen Informationen, die darin enthalten sind – sondern vielmehr über all die Dinge, die dort fehlen.

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Kampf gegen Desinformation

Facebook sperrt riesige Fake-Fanseiten: Schon wieder? Man hat sich schon so sehr daran gewöhnt, dass es kaum noch eine Nachricht ist, wenn Facebook Fanpages entfernt, weil betrügerische Akteure dahinterstecken. Doch diesmal ist das Ausmaß bemerkenswert: Die mehr als ein Dutzend Seiten hatten zusammen mehr als 30 Millionen Fans. Sie waren auf beiden Seiten des politischen Spektrums angesiedelt, verbreiteten teils Spam-Links – und sollen von demselben Fake-Account betrieben worden sein. Einmal mehr zeigt sich, wie viele Menschen unbedarft Likes verteilen. (Buzzfeed)

Sperrungen in Österreich: In Österreich hat Facebook die Seite von Unzensuriert.at rausgeworfen, weil sie gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen habe. Die Betreiber werten das als "Angriff auf die Pressefreiheit" und fordern Fans auf, ihr auf die russische Plattform VK zu folgen – einem Tummelplatz für Rechte und Rechtsextreme, die selbst für Facebook zu radikal sind. (Standard)

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Social Media & Business

Facebook dominiert das Stories-Format – und will es monetarisieren: Wenn ich meine persönliche Facebook-Timeline betrachte, müssten Stories ein Flop sein: Kaum einer meiner Freunde postet je eine. Offenbar ein klarer Fall von trügerischer anekdotischer Evidenz: 300 Millionen Menschen sollen das Format aktiv nutzen, keine besonders guten Nachrichten für Snapchat. Und jetzt öffnet Facebook Stories weltweit für Werbekunden. (Techcrunch)

Snapchat kriselt: Passend zum Erfolg der Facebook-Stories ein Einblick in das Innenleben von Snapchat: Den Recherchen von Katia Moskvitch zufolge ist die Stimmung im Unternehmen mies. Obwohl Snapchat in vielen Ländern das beliebteste Netzwerk unter Teenagern ist, haben sich die Nutzerzahlen bei knapp unter 200 Millionen eingependelt. Facebook und Instagram haben mit Stories-Klonen Snapchat das Wachstumspotential abgegraben. Angeblich sollen Mitarbeiter die Vision und Führungsstärke von Evan Spiegel anzweifeln. (Wired)

Was Fanpage-Betreiber beachten sollten: Im Juni hatte der EuGH geurteilt, dass Seitenbetreiber auf Facebook teilweise für Datenschutzverstöße mitverantwortlich gemacht werden können. Seitdem herrscht viel Unklarheit, was das konkret bedeutet. Mittlerweile hat Facebook reagiert und neue Nutzungsbedingungen veröffentlicht. Rechtsanwältin Simone Rosenthal erklärt, wie Fanpage-Inhaber ihre Seite datenschutzkonform betreiben können. (t3n)

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Lesestoff fürs Wochenende

Was hinter den Lynchmorden in Indien steckt: Sind Falschnachrichten, die sich massenhaft über Whatsapp verbreiten, schuld an der Gewalt in Indien? Möglicherweise ist diese Darstellung verkürzt, wie Alexis C. Madrigal schreibt. Die wahren Ursachen liegen tiefer. (The Atlantic)

Apple-News aus Mediensicht: Was bringt Apples Aggregator den Verlagen? Viel Reichweite, aber bislang wenig Geld, weiß Will Oremus. Ob Apple künftig Anzeigen zulassen wird, ist unklar. (Slate)

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Tipps, Tricks und Apps

Zehn praktische Tipps für Slack: Zum Abschluss und Start ins Wochenende ein wirklich hilfreiches, leicht verdauliches Listicle. Eike Kühl beschreibt zehn Tricks, die Slack-Nutzer kennen sollten, weil "sie das Leben leichter machen", wie die Überschrift zurecht verspricht. (Motherboard)