Ausgabe #886 | 14.6.2023
Was ist
Es ist Mitte Juni, und wer dieses Briefing schon etwas länger liest, weiß, was das bedeutet: Es ist Zeit für den Digital News Report. Neben der ARD/ZDF-Onlinestudie zählt der jährliche Bericht des Reuters-Institutes der Universität Oxford zu den umfassendsten und methodisch besten Untersuchungen zur Nutzung klassischer und sozialer Medien.
Wir haben den Bericht vorab gelesen und konzentrieren uns auf sieben Ergebnisse, die wir für wichtig halten oder die uns überrascht haben. Dabei blicken wir vorwiegend auf Deutschland, internationale Daten nennen wir nur als Vergleichswerte. Unabhängig von unserer eigenen Gewichtung empfehlen wir dir, dich selbst mit dem DNR zu beschäftigen – zumindest, wenn die Inhalte beruflich für dich relevant sind.
Was war
Falls du die Ergebnisse mit denen der vergangenen Jahre vergleichen willst, verlinken wir hier unsere entsprechenden Newsletter:
- 2018: ARD/ZDF-Onlinestudie
- 2019: ARD/ZDF-Onlinestudie, DNR
- 2020: ARD/ZDF-Onlinestudie, DNR
- 2021: ARD/ZDF-Onlinestudie, DNR
- 2022: ARD/ZDF-Onlinestudie, DNR
Wer, wann und wie gefragt wurde
- Den Großteil der Befragungen hat das Meinungsforschungsinstitut YouGov im Januar und Februar 2023 durchgeführt. Insgesamt fließen in den Bericht die Antworten von knapp 94.000 volljährigen Menschen aus 46 Ländern ein.
- Die Ergebnisse sind für fast jedes Land repräsentativ, auch für Untergruppen (Alter, Geschlecht, Region, Bildung) soll die Stichprobe nach Angaben der Forscherïnnen noch groß genug sein. Die statistische Schwankungsbreite liegt bei zwei Prozentpunkten. Kleinere Verschiebungen im Vergleich zu den Vorjahren sollte man also nicht überbewerten.
- Es gibt eine wichtige Einschränkung: Da es sich um eine Online-Befragung handelt, fließen nur Rückmeldungen von Menschen ein, die online sind – ältere und schlechter gebildete Gruppen könnten unterrepräsentiert sein. Auch deshalb ist der direkte Vergleich zwischen Ländern schwierig: In Nord- und Westeuropa sind zwischen 94 und 98 Prozent der Bevölkerung online, in Südafrika und Indien nur gut die Hälfte.
- In Deutschland wurden rund 2000 Personen befragt, die Ergebnisse sind repräsentativ für die deutsche Bevölkerung im Alter ab 18 Jahren mit Internetzugang im Jahr 2023.
- Ausgewertet und aufbereitet wurden die Resultate für Deutschland vom Leibniz-Institut für Medienforschung, Hans-Bredow-Institut. Die Forschenden Julia Behre, Sascha Hölig und Judith Möller haben die Ergebnisse in einem separaten Bericht veröffentlicht, den wir dir ergänzend zum DNR ans Herz legen.
Was dabei herauskam
1. Menschen interessieren sich weniger für Nachrichten und nutzen sie seltener
- Die gute Nachricht zuerst: Im internationalen Vergleich steht Deutschland gut da. In Ländern wie Brasilien, Großbritannien oder den USA haben sich noch viel mehr Menschen von Nachrichten abgewendet.
- Das kann und soll die schlechte Nachricht aber nicht relativieren: Immer weniger Menschen interessieren sich für Nachrichten, und immer weniger nutzen sie regelmäßig.
- 52 Prozent der Befragten sagen von sich, dass sie großes Interesse an Nachrichten haben, 89 Prozent konsumieren mindestens mehrmals pro Woche Nachrichten. Im Jahr 2014 lagen diese Werte bei 81 und 97 Prozent. Das Nachrichteninteresse ist also um fast 30 Prozentpunkte gefallen und liegt noch mal fünf Prozentpunkte tiefer als im Vorjahr.
- Noch drastischer fallen die Werte bei den jüngeren Altersgruppen aus. Weniger als ein Drittel der 18-34-Jährigen bezeichnet sich selbst als äußerst oder sehr nachrichteninteressiert. Bei den Über-55-Jährigen sind es dagegen fast drei Viertel.
- Diese Entwicklung korreliert mit dem politischen Interesse, das ebenfalls stark gesunken ist. Im Vergleich zu 2021, als diese Frage zuletzt gestellt wurde, ist der Anteil der Befragten mit großem politischem Interesse um 15 Prozentpunkte zurückgegangen. In bestimmten Altersgruppen hat sich der Anteil mehr als halbiert, weniger als ein Viertel der 18-24-Jährigen stuft sich noch als stark an Politik interessiert ein.
2. Das Vertrauen in Nachrichten geht zurück
- Beim Nachrichtenvertrauen zeigt sich ein ähnlicher Trend wie beim Nachrichteninteresse. 43 Prozent der Befragten halten den Großteil der Nachrichten für vertrauenswürdig – sieben Prozentpunkte weniger als im Vorjahr.
- Jüngere sind noch skeptischer als Ältere. Gerade mal 28 Prozent der 28-34-Jährigen schenken noch dem Großteil der Nachrichten Vertrauen. 38 Prozent der Befragten dieser Altersgruppe sagen, dass man den Nachrichten eher nicht oder überhaupt nicht vertrauen könne.
- Etwas besser sieht es aus, wenn man explizit nach dem Vertrauen in genutzte Nachrichten fragt. Dann sagen 53 statt 43 Prozent, sie vertrauten den Nachrichten. Der Trend zeigt aber auch hier nach unten.
- Vor acht Jahren schenkten noch sechs von zehn Befragten den Nachrichten Vertrauen. Seitdem sank der Wert kontinuierlich – mit einer Ausnahme: Im Coronajahr 2021 stieg das Nachrichtenvertrauen um acht Prozentpunkte von 45 auf 53 Prozent. Die 43 Prozent aus diesem Jahr sind der niedrigste Wert, seit die Frage 2015 erstmals gestellt wurde.
- Auch die meisten Nachrichtenmarken haben teils deutlich an Vertrauen eingebüßt. Dennoch bleiben öffentliche-rechtliche Institutionen wie Tagesschau und ZDF heute sowie Lokal- und Regionalzeitungen und etablierte Titel wie SZ und Zeit die vertrauenswürdigsten Marken. Erneut genießt die Bild-Zeitung die geringste Glaubwürdigkeit (während die Welt, ebenfalls ein Springer-Titel, gleichauf mit dem Spiegel und der FAZ liegt).
3. Nachrichtenvermeidung
- Eine andere besorgniserregende Entwicklung der vergangenen Jahre scheint sich abzubremsen. Der Anteil der Befragten, die Nachrichten aktiv vermeiden, ist im Vergleich zum Vorjahr stabil geblieben.
- Allerdings auf hohem Niveau: Fast zwei Drittel geben an, zumindest gelegentlich Nachrichten zu vermeiden. Zudem versuchen zehn Prozent der Befragten oft, Nachrichten zu vermeiden – doppelt so viele wie vor vier Jahren.
- Ein knappes Drittel der Befragten, die zumindest gelegentlich Nachrichten vermeiden, ignoriert generell Nachrichten, scrollt weiter oder schaltet um, sobald sie diesen begegnet. Jeweils knapp unter 30 Prozent meiden nur bestimmte Nachrichtenthemen oder -quellen.
- Das mit Abstand am häufigsten genannte Thema ist dabei der Krieg in der Ukraine. 45 Prozent der Befragten, die gezielt bestimmten Themen aus dem Weg gehen, meiden Nachrichten über den Krieg. Es folgen Unterhaltung und Promis, Gesundheit und Sport.
- Zum ersten Mal wurde in diesem Jahr das Interesse an unterschiedlichen Darstellungsformen und Zielsetzungen von Nachrichten untersucht. Das größte Interesse rufen demnach positive Nachrichten hervor, für das sich 58 Prozent der Befragten interessieren.
- Knapp dahinter landen "Nachrichten, die Lösungen vorschlagen, anstatt nur auf Probleme hinzuweisen". Das liest sich wie ein Appell für mehr Constructive Journalism. Allerdings muss man auch sagen: Die Art der Nachrichten, für die sich Menschen in der Theorie interessieren und die sie in der Praxis konsumieren, geht oft weit auseinander.
4. "Quelle: Internet" hat sich durchgesetzt
- "Das Internet? Gibt’s diesen Blödsinn immer noch?", fragt Homer bei den Simpsons. Nun, ja. Und dieser Blödsinn geht wohl nicht mehr weg, das zeigen die aktuellen Zahlen des DNR.
- Im Vorjahr überholte das Internet mit Blick auf den Nachrichtenkonsum erstmals das lineare Fernsehen. Auch 2023 bleibt es an der Spitze. 63 Prozent der Befragten konsumieren wöchentlich Nachrichten im Internet, TV-News schauen 59 Prozent. Beide Werte sind im Vergleich zu 2020 gefallen, das Gleiche gilt für Radio (34%), Print (21%) und Social Media (29%).
- Vor neun Jahren lagen Internet, Radio und Print noch fast gleichauf, während das Fernsehen dominierte. Jetzt ist das Netz zum wichtigsten Medium der Nachrichtennutzung geworden, klassische Ausspielwege verlieren an Bedeutung.
- Es gibt keine Anzeichen, dass sich diese Entwicklung umkehren wird. Das zeigt ein Blick in die Gruppe der 18-24-Jährigen: Internet 71 Prozent, Social Media 44 Prozent, Fernsehen 29 Prozent, Radio 15 Prozent, Print 13 Prozent,. Auch in zehn Jahren wird sich die Gen Z keine gedruckte Tageszeitung nach Hause liefern lassen oder UKW-Radio hören.
- Trotzdem sind zwei Werte spannend: In dieser Altersgruppe ging die Nutzung des Internets als Nachrichtenquelle um acht Prozentpunkte zurück, Social Media verloren elf Prozentpunkte. Das passt zur generell abnehmenden Nachrichtennutzung aus dem ersten Punkt, die Stärke des Effekts ist aber doch überraschend.
- Allerdings sollte man in solche Ausreißer nicht zu viel hereininterpretieren. Die Forschenden schreiben selbst: "Es ist jedoch zu beachten, dass das Nutzungsverhalten in der jüngsten Altersgruppe grundsätzlich hohen Schwankungen unterworfen ist – auch bedingt durch die vergleichsweise kleine Stichprobengröße."
5. Soziale Medien verlieren an Bedeutung für Nachrichten – mit einer Ausnahme
- WhatsApp, YouTube, Facebook und Instagram (in dieser Reihenfolge) sind und bleiben die mit Abstand meistgenutzten Plattformen in Deutschland. Das gilt auch für die nachrichtenbezogene Nutzung, allerdings liegt in dieser Hinsicht YouTube vorn.
- Bemerkenswert sind zwei Dinge: Zum einen verliert dieses Quartett seit drei Jahren konstant an Reichweite und an Bedeutung für den Nachrichtenkonsum. Diese Entwicklung begann bereits 2016 bei Facebook, seit 2021 verlieren auch WhatsApp, YouTube und Instagram.
- Zum anderen gibt es nur eine Plattform, deren Reichweite im vergangenen Jahr gewachsen ist: TikTok. Der DNR beziffert die Verbreitung auf zwölf Prozent der erwachsenen Online-Bevölkerung, auf diesen Wert würden wir aber nicht allzu viel geben. Andere Umfragen gehen von rund 20 Millionen Nutzenden in Deutschland aus, das entspräche knapp 24 Prozent der Gesamtbevölkerung.
- Auch bei Snapchat weichen die ermittelnden Werte des DNR stark von den offiziellen Zahlen ab. Fünf Prozent der Befragten geben an…