Ausgabe #866 | 9.3.2023
Was ist
- Der vermeintliche Zombie lebt, Facebook geht es prima. Das sagt jedenfalls Tom Alison, der als Facebook-Chef womöglich ein wenig voreingenommen ist.
- (Kurzer Einschub: Auch anderthalb Jahre nach der Namensänderung vervollständigen wir "Facebook-Chef" immer noch unwillkürlich mit Zuckerberg. Der ist aber CEO von Mutterkonzern Meta.)
- Tatsächlich trotzt Facebook seit Jahren allen Abgesängen. So oft, wie die Plattform mittlerweile für irrelevant, uncool, vergreist oder cringe erklärt wurde, müsste sie längst ausgestorben sein.
- Facebook hält sich aber nicht nur, sondern – glaubt man Alison und Metas Metriken – floriert sogar. Zwei Milliarden Menschen sollen Facebook täglich öffnen, mehr als je zuvor.
- Alison Blogeintrag (Meta-Newsroom) enthält neben einigen Zahlen, länglichen Lobliedern auf AI und viel Selbstbeweihräucherung auch eine spannende Nachricht, gut versteckt am Ende: Facebook könnte den Messenger bald in die blaue App zurückbringen.
Warum Facebook den Messenger reintegrieren möchte
- Im Jahr 2014 wurde Zuckerberg bei einem Q&A gefragt, warum Facebook den Messenger als eigenständige App ausgliedern möchte. Er antwortete (The Verge):
We wanted to do this because we believe that this is a better experience. Messaging is becoming increasingly important. On mobile, each app can only focus on doing one thing well, we think. The primary purpose of the Facebook app is News Feed. Messaging was this behavior people were doing more and more. 10 billion messages are sent per day, but in order to get to it you had to wait for the app to load and go to a separate tab. We saw that the top messaging apps people were using were their own app. These apps that are fast and just focused on messaging.
- Knapp neun Jahre später deutet sich eine überraschende Kehrtwende an: "Wir testen derzeit die Möglichkeit, dass Nutzerïnnen innerhalb der Facebook-App auf ihren Messenger-Posteingang zugreifen können, und wir werden diese Tests bald ausweiten", schreibt Alison. Im Laufe des Jahres sollen weitere Messaging-Funktionen in Facebook integriert werden.
- Der Schritt ist nachvollziehbar. Als Facebook eine separate Chat-App startete, war die Social-Media-Welt eine andere. Die meisten Apps konzentrierten sich auf einen Einsatzzweck: Instagram war eine Foto-Plattform, WhatsApp ein simpler Messenger, die TikTok-Revolution startete erst vier Jahre später.
- Damals war es noch möglich, eindeutig zwischen sozialen Netzwerken und Messengern zu unterscheiden. Das eine war öffentliche Kommunikation, das andere privater Austausch.
- Heute verschwimmen die Grenzen zwischen den Apps. Auf Signal und WhatsApp gibt es Stories, Spotify und Reddit kopieren TikTok (TechCrunch), Instagram und Facebook quellen über vor Funktionen und mehr oder weniger dreist nachgebauten Formaten.
- Das gilt auch für die Messaging-Funktionen. Vor allem jüngere Nutzerïnnen chatten per DM, sei es auf Snapchat, TikTok oder Insta. Diese Plattformen ersetzen oder ergänzen für viele Menschen klassische Messenger wie WhatsApp, iMessage oder Signal.
- Alison schreibt, dass sich soziale Interaktionen zunehmend ins Messaging verlagerten. Deshalb werde Facebook es erleichtern, Inhalte aus dem Feed per DM zu teilen – ohne, dass sie zu einer anderen App wechseln müssen.
- Auf Instagram würden Reels bereits fast eine Milliarde Mal täglich über DMs geteilt, auf Facebook nähmen privat geteilte Reels ebenfalls stark zu.
- Vor diesem Hintergrund wirkt die Zweiteilung überholt. Vielleicht geht Facebook tatsächlich zurück zu seinen Wurzeln und ist Anfang 2024 wieder genau das, was es 2014 war: ein soziales Netzwerk, auf dem Menschen aktiv Inhalte teilen und sich Nachrichten schreiben – nur, dass Creator Medien als Inhaltslieferanten ersetzen und Videos statt Texten und Fotos dominieren.
Yes, but
- Wir sind auf Facebook Karteileichen, auch unser Freundes- und Bekanntenkreis hängt dort nicht mehr ab. Aus beruflichem Interesse schauen wir noch gelegentlich vorbei, privat ist die Plattform für uns irrelevant. Deshalb können wir schlecht beurteilen, was heute noch auf Facebook los ist.
- Bislang sahen wir Facebook in erster Linie eine Cashcow, die Meta melken wird, solange Menschen dort Werbung anschauen. Dass sich Facebook neu erfindet, weiter wächst und perspektivisch vielleicht sogar jüngere Nutzerïnnen zurückgewinnt, hielten wir für unwahrscheinlich.
- Vielleicht ist Alisons Zuversicht mehr als Zweckoptimismus, vielleicht hat Facebook eine unerwartet rosige Zukunft. Zumindest kennen wir aber keine einzige Person unter 25, die Facebook regelmäßig nutzt.
- In diesem Zusammenhang möchten wir aus einem Text zitieren, den wir im vergangenen Briefing bereits teilten. Kalley Huang und Sheera Frenkel haben mit mehr als einem Dutzend jüngeren Instagram-Nutzerïnnen über deren …