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Warum Impf-Desinformation so gefährlich ist | Stratcom-Bericht | Zukunft von Social Media

Warum Impf-Desinformation so gefährlich ist | Stratcom-Bericht | Zukunft von Social Media

Warum Impf-Desinformation so gefährlich ist – und so erfolgreich

Was ist

Die Corona-Impfung ist da: Fast jeden Tag verkünden Eilmeldungen die Zulassung neuer Impfstoffe gegen Sars-CoV-2. Mittlerweile werden die ersten Menschen geimpft. Es sind Nachrichten, die Mut machen, dass 2021 ein Jahr werden könnte, in dem das Leben nicht mehr komplett von der Pandemie bestimmt wird.

Doch gleichzeitig verbreiten sich Panikmache und Lügen über die Impfstoffe. Wissenschaftlerïnnen warnen vor einer Flut an bewusst gestreuter Desinformation. Social-Media-Plattformen tun ihr Bestes, sind aber trotzdem überfordert und schaffen es nicht, die Anti-Impf-Propaganda wirksam einzudämmen.

Warum das wichtig ist

Ob man sich impfen lässt oder nicht, mag eine persönliche Entscheidung sein – die Folgen betreffen aber alle Mitmenschen. Die Corona-Impfung wird erst dann wirklich effektiv, wenn sich ein Gutteil der Bevölkerung dazu bereiterklärt.

Aktuellen Umfragen wollen sich nur 60 (Pew) bis 70 Prozent (Kaiser Family Foundation) der Menschen in den USA impfen lassen. Und wenn die Anti-Impf-Kampagne weiter Fahrt aufnimmt, könnte dieser Anteil sogar noch sinken.

Wie die Panik geschürt wird

Wir wollen gar nicht im Detail auf die Lügen eingehen. Es ist der übliche Sumpf aus antisemitischen und wissenschaftsfeindlichen Verschwörungsmythen: Mikrochips, 5G, Impfpflicht, globale Eliten, cui bono, Bill Gates. Wer den Unsinn nachlesen will: Rebecca Heilweil und Sarah Emerson (OneZero) zeichnen die Verbreitung der Desinformation nach.

Grundsätzlich kann man sagen: Es gibt nicht das eine dominierende Narrativ. Vielmehr vermischen sich Lügen über die Corona-Impfung mit jahrealten Anti-Impf-Mythen. "They are inserting the word ‘covid’ into the usual canards", sagt etwa Renée DiResta (Washington Post), die am Stanford Internet Observatory zu Desinformation forscht. "They recognize the potential audience is much, much larger — it’s not just new parents searching for info. It is everyone."

Warum Anti-Impf-Propaganda so erfolgreich ist

Seit die erste Impfung erfunden wurde, gibt es Gerüchte über angebliche Gefahren. Die Debatten datieren bis ins 19. Jahrhundert zurück, wie DiResta in einer langen und lesenswerten Analyse (The Atlantic) beschreibt.

Doch damals gab es kein Internet und keine sozialen Medien. 2020 lassen sich Lügen mit einem Klick in die Welt setzen und in Sekundenbruchteilen weiterverbreiten. Das Geraune und die Warnungen gehen oft viral, weil sie eine starke Emotion ansprechen: Angst. Seit Jahren zählen Anti-Impf-Gruppen zu den aktivsten Communities auf Facebook und anderen Plattformen.

Diese mächtige, stetig gewachsene Bewegung vermischt sich nun mit der QAnon-Sekte und anderen Verschwörungsläubigen, die das Coronavirus für eine Verschwörung halten. Rechte Influencerïnnen und dubiose Alternativmedien pushen die Propaganda und erreichen damit ein Millionenpublikum.

Warum die Plattformen machtlos sind

Facebook, Instagram, Twitter und YouTube wissen, wie gefährlich die Anti-Impf-Welle sein kann. Kürzlich fiel in einem Hintergrundgespräch die Aussage (Gedächtnisprotokoll): "Wenn das so weitergeht, dann war die US-Wahl ein Kindergeburtstag. Ich will mit gar nicht vorstellen, was passiert, wenn die ersten Komplikationen bei Geimpften auftreten. Dann bricht im Netz die Hölle aus."

Es liegt also nicht an mangelndem Willen. Alle Plattformen haben relativ strikte Maßnahmen eingeführt und löschen Lügen über Impfungen genauso wie gefährliche Desinformation über das Coronavirus. Zusätzlich versuchen sie, irreführende Beiträge mit Warnhinweisen zu versehen und Nutzerïnnen auf seriöse Quellen zu verweisen.

Doch es gibt mehrere Gründe, warum sie die viralen Falschbehauptungen nicht eindämmen können:

Be smart

Wir sind in unserem Freundeskreis bislang von Corona-Leugnerïnnen verschont geblieben. Die Begegnungen beschränken sich auf Facebook-Postings von alten Schulfreundïnnen oder losen Bekannten. Doch wenn es um die Impffrage geht, könnte sich das ändern – die Zahl der Menschen, die einer Impfung skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen, ist auch in Deutschland (Ärztezeitung) erschreckend hoch (Barmer).

Stratcom-Bericht: Biete 300 Dollar, suche 300.000 Fake-Interaktionen

Was ist

Der Nato-Thinktank Stratcom hat untersucht, wie konsequent große Social-Media-Plattformen gegen Manipulationsversuche vorgehen. Der "Social Media Manipulation Report 2020" wirft kein gutes Licht auf die Fähigkeit der Netzwerke, gefälschte Interaktionen zu erkennen und zu entfernen.

Wie die Forscherïnnen vorgingen

Was die Forscherïnnen herausfanden

Warum die Plattformen machtlos sind

Be smart

Mark Zuckerberg lobt bei jeder Gelegenheit die angeblich ach so kluge AI, die immer mehr Spam und illegale Inhalte automatisch filtere. Grundsätzlich stimmt das auch: Facebook sperrt jedes Jahr Milliarden Fake-Accounts und löscht Hasskommentare schneller als früher. Ein Großteil der Verbesserungen ist auf maschinelles Lernen zurückzuführen, das gilt auch für Twitter und YouTube.

Der Stratcom-Bericht zeigt, dass trotzdem eine Menge Betrügereien und Manipulationen durchs Raster rutschen. Allerdings muss man auch sagen: Der politische und gesellschaftliche Schaden hält sich wohl in Grenzen. Die dubiosen Dienstleistungen werden vor allem von kleinen Unternehmen oder Kriminellen in Anspruch genommen.

Bei politischen Wahlen oder Themen wie der Corona-Pandemie scheinen gefälschte Interaktionen nur eine geringe Rolle zu spielen. Für die Glaubwürdigkeit der Plattformen ist das eine gute Nachricht. Für den Glauben an die Menschheit eher nicht: Hinter all den Millionen Accounts, die Lügen über Covid-19 liken, hinter der Pandemie eine große Verschwörung vermeintlicher Eliten wittern und jetzt schon Panik vor einem Impfstoff schüren, stecken keine Bots. Es sind echte Menschen, sie glauben den Unsinn wirklich.

The Future

Social Strikes Back

Die Risikokapitalgeber Andreessen Horowitz gehören zu den einflussreichsten Personen im Silicon Valley. Mit ihren Wetten auf bestimmte Apps und Branchen bestimmen sie maßgeblich mit, in welche Richtung sich das Consumer-Internet entwickelt. Nun agieren aber auch sie mit ihren Investments nicht im leeren Raum. Vielmehr gehört es zu ihrer Aufgabe, den Markt extrem genau zu durchleuchten, um Trends frühzeitig zu erkennen und zu benennen. Ihre Reportings sind somit also immer lesenswert aber niemals uneigennützig. Ihr neuester Report beschäftigt sich mit der Zukunft von Social: Social Strikes Back. Folgenden Themen widmen sie dabei u.a. einzelne Artikel:

"Video is evolving from an add-on to a requisite. Through innovative new platforms and integrated tools, video is dramatically reinventing the way we shop, learn, work out, network, even party. Video can turn intimidating or awkward tasks like learning a new language or making professional connections more engaging, interactive, and fun. That vision has already been realized elsewhere around the world; now the pandemic has accelerated video-first innovation here."


Header-Foto von Ali Gooya bei Unsplash