Twitter kopiert Snapchat kopiert TikTok

Was ist

Der Jedipedia zufolge waren die Klonkriege ein Konflikt zwischen der Galaktischen Republik und der Konföderation. Dem Social Media Watchblog zufolge sind die Klonkriege ein Konflikt zwischen Facebook, Snapchat, TikTok und YouTube, bei dem einer dreister kopiert als der andere.

Was bekannt ist

Dass Social-Media-Plattformen die erfolgreichsten Alleinstellungsmerkmale ihrer Konkurrenten nachahmen, sollte niemanden mehr überraschen. Allein Facebook hat sich in den vergangenen Jahren Dutzende Male bei der Konkurrenz bedient und so ziemlich jedes Feature, das ansatzweise interessant schien, ins eigene Produkt integriert.

Was neu ist

Innerhalb weniger Tage haben mehrere große Konzerne voneinander kopiert. Selbst Snapchat, das mit seinen Stories die Klonkriege ausgelöst hatte, ahmt nun TikTok nach. Die Plattformen nähern sich dadurch immer weiter an.

Wir beziehen uns dabei auf diese aktuellen Entwicklungen:

  • Twitter führt Fleets nun weltweit ein (Twitter-Blog), nachdem das Format in Ländern wie Brasilien, Indien und Italien getestet wurde. Abgesehen vom Namen unterscheidet es sich nicht groß von Stories, wie man sie von nahezu jeder anderen Plattform kennt.
  • Twitter testet Spaces (The Verge), das der Audio-App Clubhouse nachempfunden ist. Nutzerïnnen können dort in Chat-Rooms zu bestimmten Themen diskutieren und sich mit Sprachnachrichten austauschen.
  • Snapchat startet Spotlight (Snap), ein neuer vertikaler Feed für kurze Videos, dessen Aufbau und Ranking-Faktoren TikToks "For You"-Seite gleichen.

Was Twitter bislang machte

  • Twitter war noch nie dafür bekannt, Innovation an Innovation zu reihen. Das Produkt veränderte sich jahrelang nur unwesentlich, die (technisch banale) Verdoppelung des Zeichenlimits war noch die bemerkenswerteste Neuerung.
  • Auch 2020 hat sich Twitter bislang eher darauf konzentriert, bestehende Probleme zu beseitigen. Es gibt eine Reihe von neuen Funktionen, um Belästigungen und Bedrohungen zu melden. Twitter ist für Frauen, Minderheiten und marginalisierte Gruppen dadurch zu einem etwas erträglicheren Ort geworden.
  • Im Mai war Twitter die erste Plattform, die es wagte, sich offen mit Donald Trump anzulegen, als es dessen Tweets mit Faktenchecks versah. Das gab die Richtung für die US-Wahl vor: Im Vergleich zu Facebook griff Twitter entschlossener durch und versuchte zu verhindern, dass sich Desinformation ausbreitet.
  • Neue Features kamen aber nicht hinzu. Das Nutzungserlebnis blieb mehr oder weniger unverändert.

Was Twitter jetzt macht

  • Nach Snapchat (2013), Instagram (2016), Facebook/Messenger (2017), WhatsApp (2017), Youtube (2018), Netflix (2019), LinkedIn, Spotify, Google und der New York Times (alle 2020) ist Twitter mit sieben Jahren Verspätung nun auch auf die Idee gekommen, es doch mal mit Stories zu versuchen.
  • Fleets werden keinen Kreativitätspreis gewinnen – im Gegenteil: Wenn sich Instagram nicht schon vor Jahren unverfroren bei Snapchat bedient hätte, hagelte es sicher Hohn und Spott über die Kopie des Stories-Formats.
  • Auch Spaces sind nicht unbedingt innovativ, sondern eine Reaktion auf den Erfolg von Clubhouse. Twitter hofft, dass Menschen empathischer reagieren, wenn sie auch die Stimme ihres Gegenübers hören, statt nur einen unpersönlichen Text zu lesen. Die Funktion wird zunächst mit ausgewählten Nutzerïnnen getestet, die besonders oft zur Zielscheibe von Hass und verbaler Gewalt werden. Dazu zählen etwa Frauen, Schwarze oder LGBTQI.
  • Will Oremus interpretiert (OneZero) die beiden Formate als Versuch, nach dem absehbaren Ende der Trump-Ära eine neue Daseinsberechtigung zu ergründen. Jack Dorsey und die meisten Twitter-Angestellten dürften Trump persönlich verabscheuen, doch zumindest wirtschaftlich hat das Unternehmen von seiner Präsidentschaft profitiert.
  • Angeblich sind noch weitere Funktionen geplant. "We’re exploring methods of private feedback on the platform, as well as private apologies, and forgiveness", sagte Produktmanagerin Christine Su bei einem Pressebriefing. "And so that may look like a notification — that’s like a gentle elbowing from someone that you follow. Or it also may look like a nudge like you’ve seen before." Details oder ein Zeitplan sind noch nicht bekannt.

Warum das Risiken birgt

  • Einerseits passen Stories perfekt zu Twitter. Dort sind die Inhalte ohnehin noch vergänglicher als auf anderen Plattformen. Visuell erzählte Geschichten oder Beobachtungen, die nach 24 Stunden verschwinden, ergänzen das Produkt auf eine sinnvolle und natürliche Art.
  • Andererseits könnte man argumentieren: Twitter braucht Stories gar nicht, um die Timeline zu erweitern. Alex Hern drückt es so aus: "An Instagram user’s profile is a carefully curated version of themselves, all but begging to be scrolled back through; a Twitter profile page is a chaotic mess of posts that make little sense outside the context in which they were sent."
  • Er fragt sich deshalb, wodurch sich Fleets von Tweets unterscheiden sollen. Vor allem stellt er eine berechtigte Frage: Warum führt Twitter nicht einfach vergängliche Tweets ein, auf die viele Nutzerïnnen sehnsüchtig warten?
  • Viele Menschen teilen weniger Inhalte auf Twitter, weil sie fürchten, dass ihnen die Tweets Jahre später auf die Füße fallen könnten. Beispiele für alte Tweets, die neue Debatten auslösen, gibt es schließlich reichlich.
  • Wer seine Timeline nach einem bestimmten Zeitraum automatisch aufräumen will, muss auf Tools oder Apps von Drittanbietern ausweichen. Twitter könnte das mit einer Art Verfallsdatum deutlich eleganter und einfacher lösen.
  • Zudem schafft sich Twitter sowohl mit Fleets (Slate) als auch mit Spaces (TechCrunch) eine Reihe neue Content-Moderation-Probleme – ein Bereich, der nicht unbedingt zu Twitters Stärken zählt.
  • Für beide Formate sollen dieselben Richtlinien gelten, die auch auf Tweets angewendet werden. Doch Regeln zu formulieren ist leicht, sie durchzusetzen ist oft schwer. Stories eignen sich gut, um unbemerkt Desinformation und Propaganda zu verbreiten. Und Clubhouse kann ein Lied davon singen (The Verge), wie schwer es ist, Audio-Inhalte zu moderieren.

Warum Snapchat TikTok kopiert

  • Seit acht Jahren setzt Snapchat neben der Snap-Map und dem Discover-Feed für öffentliche Accounts vor allem auf privates Peer-to-Peer-Messaging.
  • Der Plattform fehlt bislang eine Möglichkeit, neue Inhalte von anderen, unbekannten Nutzerïnnen zu entdecken, wie sie etwa Instagram (Explore), TikTok (For You) und YouTube (Video-Vorschläge) anbieten.
  • Mit Spotlight soll sich das ändern. Der neue Feed kuratiert kurze Videos, die Nutzerïnnen extra dafür erstellen. Sie müssen nicht mal ihren Account öffentlich schalten, sondern können einfach Inhalte nur für Spotlight freigeben.
  • Im Gegensatz zu TikToks "For You"-Feed werden Kommentare und Likes allerdings nicht öffentlich sichtbar sein. So wird zumindest ein Teil des geschützten, privaten Rausm erhalten.
  • Snapchat will Menschen mit Geld locken: Bis mindestens Ende des Jahres sollen jeden Tag eine Million Dollar an Nutzerïnnen ausgeschüttet werden (BuzzFeed), die virale Videos für Spotlight produzieren.
  • Der Betrag richtet sich nach der Zahl der Views, die genaue Aufteilung (wenige Menschen bekommen viel Geld vs. viele Menschen bekommen wenig Geld) ist nicht bekannt. Die Mindestausschüttung liegt bei 250 Dollar, ein Großteil der Summe soll auf die Top-Inhalte entfallen. Nutzerïnnen müssen mindestens 16 Jahre alt sein und in den USA wohnen.
  • Es ist nicht die erste Funktion, mit der sich Snapchat stark an TikTok orientiert: Im Oktober startete "Sounds on Snapchat" (TechCrunch). Damit können Nutzerïnnen ihre Snaps mit Musik aus einem vorgegebenen Katalog anreichern.
  • Und erst Ende vergangene Woche übernahm das Unternehmen das britische Start-up Voisey (Business Insider), das stark an TikTok erinnert und sich auf das gemeinsame Erstellen von Musik und kurzen Clips konzentriert.
  • Nachdem das halbe Silicon Valley Snapchat kopiert hat, will Snapchat nun seinerseits die erfolgreichsten Merkmale von TikTok aufs eigene Produkt übertragen.

Be smart

Wer Social-Media-Kanäle professionell betreut, dürfte es mit Casey Neistat halten (Twitter):

"One app that posts stories across Instagram, Twitter, Facebook and Snap simultaneously. Please."

Doch auch für normale Nutzerïnnen ist die Entwicklung relevant. Es droht eine Social-Media-Welt, in der sich die Netzwerke nur noch durch Design und Begrifflichkeiten unterscheiden – Funktionalität und Ausdrucksmöglichkeiten könnten austauschbar werden: Direktnachrichten, Live-Video, Fotofilter, Stories, AR-Lenses – fast alle haben fast alles (Axios).

Das liegt natürlich auch an den Nutzerïnnen selbst: Stories sind ja auch deshalb überall, weil so viele Menschen das Format gern verwenden. Doch das ist nicht der einzige Grund. Werbetreibende geben für Bewegtbild-Anzeigen deutlich mehr Geld aus als für alle anderen Werbeformen. Follow the money.


Follow the money

  • Ads bei Facebook und Instagram stagnieren: Facebook erzielt nahezu 99 Prozent seiner Einnahmen über Anzeigen. Instagrams Anteil am Gesamtumsatz beträgt mittlerweile rund Einviertel. Soweit so erfolgreich. Das Wall Street Journal berichtet nun allerdings, dass die Zeiten, in denen Facebook immer mehr Umsätze mit Anzeigen generieren konnte, vorbei sein könnten: die Preise stagnieren. Facebook muss daher einerseits dringend neue „Orte“ kreieren, um noch mehr Werbeplätze anbieten zu können (read: Gruppen, Messenger, neue Apps…). Andererseits wird Facebook sehr viel stärker auf E-Commerce setzen. Nur so können sie weiter wachsen.

  • Instagram zahlt Publisher testweise für Inhalte: Instagram testet derzeit mit ausgewählten Publishern verschiedene Möglichkeiten, Medienhäuser für ihre Inhalte zu bezahlen (Axios). Wir kennen ähnliche Unternehmungen bereits von Facebook. Von daher: Freuen Sie sich bitte nicht zu früh!

Header-Foto von Ju On bei Unsplash