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14.10.2020 | Kritik: Nur dagegen sein reicht nicht | Keine Plattform für Holocaustleugnung: Was hinter Zuckerbergs Sinneswandel steckt

14.10.2020 | Kritik: Nur dagegen sein reicht nicht | Keine Plattform für Holocaustleugnung: Was hinter Zuckerbergs Sinneswandel steckt

Facebook-Kritik: Nur dagegen sein reicht nicht

Was ist

Zwei aktuelle Ereignisse zeigen, dass es einfach ist, auf Facebook einzuprügeln – aber nicht immer fair und zielführend. Wir nehmen die Kontroverse um das "Real Facebook Oversight Board" und die nachträgliche Relativierung der Cambridge-Analytica-Affäre zum Anlass, etwas grundsätzlicher über Kritik an Facebook nachzudenken.

Was wir vorab klarstellen wollen

In nahezu jedem Briefing beleuchten wir die Schattenseiten globaler Plattformen. Wir sind überzeugt, dass Facebook viele Dinge falsch macht – nicht unbedingt aus böser Absicht, was die politischen und gesellschaftlichen Nebenwirkungen aber nicht weniger gefährlich macht.

Facebook ist ein Unternehmen, das Kritik verdient, scharfe und durchaus auch aggressive Kritik. Oft braucht es solchen Druck, bis Facebook reagiert. Wir wollen Facebook also nicht vor Kritik in Schutz nehmen, sondern nur die Art und Weise der Kritik hinterfragen.

Was das "Real Facebook Oversight Board" ist

Wie der Streit eskalierte

Was wir vom FOB halten

Was wir vom RFOB halten

Was von der Cambridge-Analytica-Affäre übrig bleibt

We have heard from sources in British political circles that Cambridge Analytica's advertised powers of online suggestion were rather overblown and in fact mostly useless. In the end, it was skewered by its own hype, accused of tangibly influencing the Brexit and presidential votes on behalf of political parties and campaigners using Facebook data. Yet, no evidence could be found supporting those claims.

Was man aus dem CA-Bericht lernen kann

Be smart

Emotionen funktionieren besser als Fakten, Schwarz und Weiß erzeugt mehr Resonanz als Grau. Genau das, was den Ton auf Facebook oft so toxisch macht, führt dazu, dass Facebook-Kritik auch nach 16 Jahren Facebook oft noch ärgerlich unterkomplex ausfällt. Casey Newton bringt es auf den Punkt (OneZero):

Once journalists figured out that you could get infinite retweets by typing “Facebook is bad” into a box, it totally changed the tenor of the coverage.

"Warum sich Facebook nicht selbst reparieren kann", heißt ein aktueller Longread im New Yorker. Der Text zeigt, dass Facebook teils mehr Wert darauf legt, seinen Ruf zu retten als Probleme zu lösen. Fundierte Kritik ist also nötig – heute mehr denn je.


Keine Plattform für Holocaustleugnung: Was hinter Zuckerbergs Sinneswandel steckt

Was ist

Facebook wird künftig weltweit Inhalte löschen (Facebook-Newsroom), in denen die Shoa geleugnet oder verharmlost wird. Holocaustleugnung ist in etwa einem Dutzend Länder strafbar, in den USA aber legal. Nach deutschem Recht gilt die Leugnung des Holocausts als Volksverhetzung und ist strafbar. Deshalb sperrt Facebook entsprechende Postings hierzulande schon immer.

Außerdem will Facebook Nutzerïnnen, die nach Begriffen suchen, die mit dem Holocaust oder Holocaustleugnung in Verbindung stehen, künftig auf glaubwürdige Informationen verweisen. Ähnlich geht die Plattform bereits mit Suchanfragen zum Coronavirus um. Die Funktion soll im Laufe des Jahres eingeführt werden.

Warum das überraschend kommt

Vor gut zwei Jahren klang Zuckerberg noch ganz anders. "Ich bin jüdisch, und es gibt Menschen, die bestreiten, dass der Holocaust stattgefunden hat", sagte er 2018 in einem Podcast mit Kara Swisher (Vox). "Ich finde das extrem abstoßend. Letztendlich glaube ich trotzdem nicht, dass unsere Plattform das löschen sollte."

Er denke nicht, dass alle Menschen, die den Holocaust leugnen, dies absichtlich und wider besseren Wissen täten. Es sei schwer, ihnen Absicht zweifelsfrei nachzuweisen. Holocaustleugnung sei ein abstoßendes Beispiel, aber auch er selbst sage versehentlich falsche Dinge, wenn er öffentlich spreche. Facebook sollte Menschen nicht verbannen, wenn sie falsche Dinge sagten.

Warum es sich Zuckerberg anders überlegt hat

Er habe seine Meinung geändert, nachdem er Daten gesehen habe, die zeigten, dass antisemitische Gewalt zunehme, schreibt Zuckerberg in einem Facebook-Post. Die Abwägung zwischen Redefreiheit und Hassrede sei niemals eindeutig, doch "angesichts des aktuellen Zustands der Welt" glaube er, dass die Entscheidung nötig sei.

In der Ankündigung im Facebook-Newsroom zitiert Monica Bickert eine erschreckende Studie: In den USA sagen etwa ein Viertel der Menschen zwischen 18 und 39 Jahren, dass der Holocaust ein Mythos sei, übertrieben dargestellt werde oder sie sich nicht sicher seien. Ihr Fazit:

Unsere Entscheidung wird durch den gut dokumentierten weltweiten Anstieg von Antisemitismus und dem alarmierenden Level von Unkenntnis über den Holocaust gestützt.

Warum die Entscheidung überfällig war

Mark Zuckerberg hat mehr als 800 Tage gebraucht, um es sich anders zu überlegen. Doch für die Erkenntnis, dass seine eigene Auslegung von Meinungsfreiheit womöglich dazu beträgt, dass sich Vorurteile und Antisemitismus verbreiten, hätte es keine Datengrundlage gebraucht. Es hätte gereicht, auf Dutzende Organisationen und Verbände zu hören, die seit Jahren appellieren, Facebook dürfe Menschenwürde nicht der Redefreiheit unterordnen.

Entsprechend fallen die Reaktionen von Holocaust-Überlebenden, des Internationalen Auschwitz Komitees, des Jüdischen Weltkongress und der Anti-Defamation League aus. Sie sprechen von einer "starken Botschaft", einem "historischen Schritt" – fragen aber auch, warum es so lang gedauert hat.

The big picture

Be smart

Viele Journalistïnnen spekulieren (The Register), ob Zuckerberg nicht ganz andere Motive hatte: Drohende Regulierung, die schlechten Umfragewerte von Donald Trump und zunehmender Druck könnten seinen Meinungsumschwung begünstigt haben.

An solchen Mutmaßungen wollen wir uns nicht beteiligen. Letztlich ist das auch nicht entscheidend. Wichtig sind jetzt zwei Dinge:

  1. Facebook muss die Ankündigungen auch umsetzen und Inhalte konsequent löschen. Das wohlformulierteste Regelwerk ist nutzlos, wenn auf die Worte keine Taten folgen.
  2. Die Community-Standards sind nur ein kleiner Teil des Problems. Wenn werbefinanzierte Plattformen ihre Algorithmen auf Interaktionen maximieren, spielt das Extremistïnnen in die Hände, die mit emotionalen Botschaften die Mechanismen sozialer Netzwerke ausnutzen. Das muss sich ändern – zur Not auch gegen Zuckerbergs Willen.

Header-Foto von Clem Onojeghuo bei Unsplash