Epic vs. Apple: Milliarden-Entwickler legt sich mit Billionen-Konzern an

Was ist

Fortnite-Entwickler Epic Games (Marktbewertung: rund 17 Milliarden Dollar) streitet mit Apple, das 2018 als erster Konzern die Billionen-Dollar-Marke knackte. Es geht um die Frage, ob Apple die Regeln für seinen App-Store allein schreiben und beliebig viel Provision abzwacken darf.

Warum das wichtig ist

Was auf den ersten Blick nach einem Thema klingt, das nur eingeschränkt zum Social-Media-Watchblog passt, hat bei genauerem Hinsehen alle Bestandteile eines mittelgroßen Dramas: Hier kämpft Goliath, der Entwickler des erfolgreichsten Videospiels der Welt gegen Uber-Goliath, eines der mächtigsten Unternehmen der Welt. Beide fahren härteste Geschütze auf, es wird riskant gepokert, hollywoodreif inszeniert und professionell getrollt.

Für beide Seiten steht viel auf dem Spiel. Epic könnte den Großteil seiner Nutzerïnnen und die technologische Grundlage seiner Games-Entwicklung verlieren. Apple riskiert, es sich mit einer ganzen Generation junger Gamerïnnen zu verscherzen – und damit das Geschäftsmodell des App-Store zu gefährden (beide The Verge).

Die Fehde der beiden Unternehmen steht stellvertretend für einen Konflikt, der derzeit zwischen Apple und vielen anderen Entwicklern schwelt. Auch Spotify und Facebook mischen mit, weltweit ermitteln Wettbewerbshüter, Staatsanwälte und Parlamente gegen Apple. Die Schlacht gegen Epic könnte Apple gewinnen, den Kartellkrieg aber verlieren.

Was bislang geschah

"That escalated quickly", überschreibt The Verge die Sektion, in der es alle Texte zum Thema Epic vs. Apple sammelt. 16 Artikel in fünf Tagen verdeutlichen die Relevanz, die (nicht nur) das Tech-Portal dem Streit beimisst, der mittlerweile die halbe Branche mitgerissen hat. Wie fassen die Eckpunkte zusammen:

  • Apple und Google verlangen jeweils 30 Prozent Provision für Apps und In-Game-Käufe, die Nutzerïnnen über die jeweiligen App-Stores tätigen.
  • Ende vergangener Woche umgeht Epic diese Zwangsabgabe mit einem Trick. Spieleentwickler können ihre Apps aktualisieren, ohne dass jedes Update den Review-Prozess von Apple und Google durchlaufen muss.
  • Das nutzt Epic, um in Fortnite eine neue Direktzahlung einzuführen: Wer virtuelle Güter und die In-Game-Währung V-Bucks erwirbt, kann 20 Prozent sparen. Das gilt aber nur für Gamerïnnen, die Epics neue Zahlungsmöglichkeit nutzen.
  • Für Epic ist es ein Win-Win-Move: Es spart sich die 30 Prozent Provision, gibt 20 Prozent an zufriedener Nutzerïnnen weiter und streicht selbst zehn Prozent ein.
  • Apple und Google reagieren wie erwartet: Die Umgehung der Provision verstößt eindeutig gegen die Richtlinien der App-Stores. Also verbannen beide Unternehmen Epic von ihren Plattformen und fordern den Fortnite-Entwickler auf, das Update zurückzuziehen.
  • Genau damit hat Epic gerechnet. Stunden später liegen an einem kalifornischen Gericht zwei mehr als 60-seitige Klagen vor (Epic vs. Apple, Epic vs. Google), und das Unternehmen ruft Gamerïnnen auf, unter dem Hashtag #FreeFortnite in sozialen Netzwerken zu protestieren.
  • Der dreisteste Troll-Move ist aber das 48-sekündige Video "Nineteen Eighty-Fortnite" (YouTube). Es spielt auf Apples ikonischen Werbespot "1984" (YouTube) an, der die Einführung des ersten Macintosh begleitete und den damaligen Markführer IBM attackierte. Nun vertauscht Epic die Rollen, inszeniert sich selbst als Opfer und stellt Apple als Orwellschen Diktator dar.
  • Social-Media-Kampagne und Videoclip richten sich explizit gegen Apple, obwohl Google genauso reagiert hat. Doch da Android-Nutzerïnnen Apps zumindest in der Theorie auch per Sideload installieren und den Play-Store umgehen können, misst Epic der Auseinandersetzung mit Apple offenbar größere Bedeutung und wohl auch größere Erfolgsaussichten zu.
  • Am Wochenende versucht Epic-Chef Tim Sweeney, den Streit um Margen und Profite in einen großen Gerechtigkeitskampf umzudeuten (Twitter): "Another argument against supporting #FreeFortnite is 'this is just a billion dollar company fighting a trillion dollar company about money'. But the fight isn't over Epic wanting a special deal, it's about the basic freedoms of all consumers and developers."
  • Facebook nutzt die Gelegenheit, von seinen eigenen kartellrechtlichen Problemen abzulenken, und zeigt mit dem Finger auf Apple (Washington Post), das sich geweigert habe, die Provision für Unternehmen zu senken, die während der Corona-Krise in Schwierigkeiten geraten sind.
  • Bis zu diesem Punkt läuft alles nach Plan für Epic. Sämtliche Reaktionen waren antizipiert, die Gegenmaßnahmen vorbereitet. Doch dann packt Apple die Bazooka aus (Bloomberg), um es in der martialischen Fortnite-Sprache auszudrücken: Wenn Epic nicht klein beigibt, verliert es am 28. August seine Entwickleraccounts und kann nicht mehr auf die Entwicklerwerkzeuge für iOS und Mac zugreifen. John Gruber vermutet, dass Epic von dieser Eskalation überrascht wurde (Daring Fireball)
  • Das bedroht nicht nur die Zukunft von Fortnite, sondern die Unreal Engine (Protocol), auf der viele erfolgreiche mobile Games aufbauen, etwa PUBG oder Mortal Kombat.
  • Epic spricht von einem "katastrophalen" Schritt und versucht, das Verbot per einstweiliger Verfügung (PDF) zu stoppen. Apple bleibt gelassen und sagt, dass Epic sich einfach nur an die Richtlinien für Entwickler halten müsse (The Verge).

Was für Apple und Epic auf dem Spiel steht

Beide Parteien spielen mit hohem Einsatz. Epic riskiert, den Zugang zu einer der beiden großen mobilen Plattformen zu verlieren – dummerweise zu jener, in der Nutzerïnnen deutlich mehr Geld ausgeben. Von der Wut und virtuell geäußerten Unterstützung Hunderter Millionen Gamerïnnen kann sich Epic nichts kaufen. Die Cashcow ist Fortnite, und die könnte bald deutlich weniger Geld abwerfen.

Apple hat noch mehr zu verlieren. Epic hat die Eskalation geschickt terminiert: Erst vor wenigen Wochen musste Tim Cook vor dem US-Kongress aussagen und dort unter anderem die 30-Prozent-Provision rechtfertigen (docs.house.gov). In den USA ermitteln etliche Staatsanwälte wegen möglicher Kartellrechtsverstöße gegen Apple. Auch die EU-Kommission untersucht Vorwürfe, dass Apple seine Position wettbewerbswidrig ausnutzt.

Die größten Sorgen dürfte Apple die Auseinandersetzung mit Spotify (NYT) bereiten, das ebenfalls gegen die 30-Prozent-Provision vorgeht. Spotify konkurriert mit Apple Music, das logischerweise keine Abgabe leisten muss. Deshalb versucht Spotify, Nutzerïnnen zu bewegen, Abos nicht über die iPhone-App, sondern über die Webseite abzuschließen – darf das innerhalb der App aber nicht erwähnen, weil das gegen Apples Richtlinien verstieße. Die EU-Kommission ermittelt, und die Chancen stehen gut (Ben Evans), dass sie der Argumentation von Spotify folgt.

Zudem versucht Epic, in der Tech-Branche Unterstützer zu gewinnen (The Information). Offenbar will der Games-Entwickler Spotify, Sonos und andere Unternehmen dazu bringen, sich dem Kampf gegen Apple anzuschließen. Im Hintergrund sollen vielen Gespräche laufen, angeblich sympathisieren andere große Spieleentwickler mit Epic.

Auch aus PR-Sicht macht Apple keine gute Figur. Epic hat es geschafft, den Verstoß gegen die Entwickler-Richtlinien in einen vermeintlichen David-gegen-Goliath-Kampf zu verwandeln – zumindest aus Sicht Millionen junger Gamerïnnen. Obwohl Apple nur auf die Einhaltung von Verträgen beharrt, steht es öffentlich als Bully da.

Be smart

In diesem Streit gibt es kein Gut und Böse. Es ist ein knallharter Kampf um Interessen – und um viel Geld. Im Gegensatz zu vielen kleinen Entwicklern verdient Epic mit Fortnite Milliarden obwohl es Apple eine angeblich unmenschliche hohe Provision zahlen muss. Die Inszenierung als Underdog ist strategisch geschickt, aber inhaltlich lächerlich.

Epic will einfach nur noch mehr Kohle machen und am liebsten eine eigene Plattform auf iPhones- und Android-Handys anbieten – aus wirtschaftlicher Sicht verständlich, aber kein Ziel, für das man den Fortnite-Entwickler feiern muss (Stratechery). Zumal es aus Nutzerïnnensicht auch einen Vorteil bietet (Ben Evans), dass Apple alle Apps sorgfältig prüft und Malware aus dem App-Store fernhält.

Wer wirklich unter dem 30-Prozent-Abschlag leidet, sind Indie-Studios wie das Schweizer Unternehmen Information Architects, das die Notizen-App iA Writer entwickelt. In einem langen und lesenswerten Blogpost schildert Gründer Oliver Reichenstein das Problem: Kaum ein Entwickler hat eine Gewinnmarge von 30 Prozent, die Provision bedrohe die Existenz vieler kleiner Software-Schmieden:

To be perfectly clear: The argument is not "are you for Epic or Apple?"". Both are big corporations with shareholders, political influence, self-interests, PR agencies, hypocrisies, and economic fears, striving for more and more power. What we are saying: "In our industry, taking 30% from your revenue, prevents developers from running a sustainable business".

Vor zwölf Jahren, als Apple den App-Store einführte, war das womöglich noch eine angemessene Provision. Schließlich musste Apple die Infrastruktur und die Zahlungsabwicklung bereitstellen. Mittlerweile hat das Geschäft aber skaliert (NYT), und Apple verdient viele Milliarden Dollar pro Jahr (The Verge).

Apple selbst sagt, dass für alle dieselben Regeln gälten – doch das stimmt nicht. Einige große Fische erhalten einen Special-Deals: Um Amazon dazu zu bringen, Prime-Abos direkt über den App-Store zu verkaufen, bot Apple Amazon an, die Provision zu halbieren (Bloomberg). Trotzdem sagte Tim Cook, als er während der Anhörung vor dem Kongress gefragt wurde, ob manche Entwickler eine Vorzugsbehandlungen erhielten:

That is not correct. We treat every developer the same.

Würden wir Apps entwickeln statt Briefings zu schreiben, wären wir ein bisschen sauer auf Apple.


Mozilla kämpft ums Überleben

Was ist

Die Mozilla Corporation, nicht zu verwechseln mit der gemeinnützigen Mozilla Foundation (Wikipedia)) entlässt 250 Mitarbeiterïnnen, das ist ein Viertel der Belegschaft. Mozilla-Chefin Mitchell Baker schreibt (PDF), das Unternehmen leide unter den Folgen der Corona-Krise und wolle sich künftig darauf konzentrieren, effizienter zu arbeiten und neue Erlösquellen zu erschließen.

Warum das wichtig ist

"Wenn Google den Browser-Krieg gewinnt, wird das Netz zur Monokultur", schrieb ich vergangenes Jahr (SZ). "Google bedroht das freie Netz, Facebook bedroht die Demokratie", sagte der damalige Mozilla-Geschäftsführer Mark Surman (SZ).

Chrome dominiert, den Brower-Markt, seine Marktanteile steigen stetig. Firefox war lange eine ernsthafte Alternative, doch mittlerweile scheint Mozilla den Kampf gegen Google verloren zu haben. Wenn der Firefox-Entwickler nun auch noch in finanzielle Schwierigkeiten gerät, ist das ein schlechtes Zeichen.

Selbst wenn Google seine (All)macht nicht missbraucht, sondern nur gebraucht, schadet das dem offenen Netz. Wer den Browser kontrolliert, bestimmt, wie Milliarden Menschen das World Wide Web wahrnehmen (Twitter / @Pinboard). Kein Unternehmen sollte diese Regeln allein bestimmen, warnt der Entwickler Alan Gibson (Landshark):

Google’s capture of the Web is a fait accompli. Only legislation will keep the World Wide Web from finally becoming Web by Google™.

Was hinter den Entlassungen steckt

Bakers Verweis auf die Pandemie ist nur ein Teil der Wahrheit. Andere Tech-Unternehmen haben finanziell davon profitiert, dass Hunderte Millionen Menschen im Home-Office arbeiten mussten. Mozilla hat kein eigenes Anzeigengeschäft, das leiden könnte, wenn sich Werbekunden zurückziehen.

Tatsächlich steckt Mozilla schon länger in der Krise. Bereits Anfang des Jahres mussten 70 Angestellte gehen, damals schrieb Baker in einem internen Memo (TechCrunch):

You may recall that we expected to be earning revenue in 2019 and 2020 from new subscription products as well as higher revenue from sources outside of search. This did not happen.

Mozilla ist und bleibt abhängig vom Such-Deal mit Google, der kurz nach der Ankündigung der aktuellen Entlassungen erneuert wurde. Google zahlt bis 2023 geschätzte 400 bis 450 Millionen Dollar pro Jahr (The Register), um die Standardsuchmaschine im Firefox-Browser zu bleiben. Dieses Abkommen macht seit Jahren den Großteil von Mozillas Einnahmen aus. Angesichts des sinkenden Marktanteils des Firefox-Browsers ist das aber kein zukunftsfähiges Geschäftsmodell (ZDNet).

Deshalb versucht Mozilla, weitere Einkommensquellen aufzubauen, etwa über das kostenpflichtige Abo für den Bookmark-Dienst Pocket oder ein eigenes VPN-Angebot (Mozilla-Blog). Bislang gelingt das mehr schlecht als recht. Wir hoffen sehr, dass Mozilla die Kurve kriegt – und schließen verstohlen das Chrome-Fenster, in dem zumindest die Hälfte des Watchblog-Teams die Links für dieses Briefing gesammelt und gelesen hat.


Social Media & Politik

  • Set the record straight: TikTok hat eine PR-Offensive samt Website und Twitter-Account gestartet, um die Dinge mal gerade zu rücken, wie sie es nennen. Auf tiktokus.info beteuert das Unternehmen einmal mehr, dass niemals Nutzerdaten mit chinesischen Behörden geteilt würden, ja, dass sie eigentlich sowieso der letzte sonnige Ort im Internet wären. Nun ja. Das ganze erinnert stark an die Hard-Questions-PR-Offensive von Facebook, die auch nicht wirklich dabei geholfen hat, ein besseres Licht auf das Unternehmen zu werfen. Es ist halt wie im echten Leben: Selbst wenn dir niemand beweisen kann, dass das Gegenteil der Fall ist, siehst du immer ein bisschen schlecht aus, wenn du permanent beteuerst, dass du auf keinen Fall etwas falsch gemacht hast.

Follow the money

  • Oracle prüft Übernahmen von TikTok: Eigentlich ist Oracle spezialisiert auf die Entwicklung und Vermarktung von Computer-Hardware und -Software für Unternehmenskunden. Nun überrascht das milliardenschwere Unternehmen mit der Nachricht (CNBC), dass es sich ebenfalls um eine Übernahme von TikTok bemühen würde. Ob ein solcher Deal zu Oracle passt, müssen andere bewerten. Dass ein weiteres Schwergewicht ins Bieterrennen um die populäre Short-Video-App einsteigt, möchten wir an dieser Stelle aber dennoch nicht unerwähnt lassen. Mehr dazu in einem kommenden TikTok-vs-Trump-Roundup.
  • Paid Online Events: Facebook führt in den USA, Deutschland und 18 weiteren Ländern eine Funktion ein, mit der Unternehmen Online-Veranstaltungen auf Facebook monetarisieren können. Die Idee besteht darin, Geschäftsinhabern die Möglichkeit zu geben, Veranstaltungen zu kreieren, einen Preis für das Event festzulegen, für die Veranstaltung zu werben, die Zahlungen abzuwickeln und die Veranstaltung durchzuführen – alles von einem Ort aus. In Tests wurden bereits Box-Kämpfe, Kochkurse, Podcast Recordings und Fitnesskurse kostenpflichtig abgehalten. Not bad.

Neue Features bei den Plattformen

Facebook / Instagram

  • Facebook-Instagram-Messaging: So langsam wird es ernst: Facebook startet mit der Integration seiner Messenger, ein erster Schritt in diese Richtung ist getan (The Verge): einigen Instagram-Nutzerïnnen wird bereits das Logo vom Facebook Messenger anstelle des Insta-DM-Icons angezeigt. Zwar können Nutzerïnnen noch nicht von Insta zu Facebook schreiben, aber das wird sicher in den nächsten Tagen der Fall sein.

Telegram

  • Verschlüsselte Videotelefonie: Telegram bietet jetzt Ende-zu-Ende-verschlüsselte Video-Calls an. Und bevor wir unsere Witze über „Attila Hildmann kann jetzt endlich ungestört mit Eva Herman quatschen“ machen, freuen wir uns erst einmal darüber, dass jetzt für sehr viel mehr ganz normale Menschen ein Stück mehr Privatsphäre gewonnen ist.

Snapchat

TikTok

  • Text to Cover: Bei TikTok können Kreative jetzt Text auf Cover-Fotos integrieren (Twitter / @TikTokCreators). Sieht zwar zunächst einmal ganz hübsch aus, könnte aber mittelfristig dazu führen, dass alles gleich aussieht – ähnlich wie wir es bereits von YouTube kennen.
  • 2-Factor-Authentifizierung: TikTok bietet jetzt auch eine 2-Stufen-Verifizierung via SMS oder Email an. Einfach mal im Menü unter Sicherheit gucken. Daumen hoch!

Tipps, Tricks und Apps

  • Witeboard: Wer mal eben schnell mit Kollegïnnen online ein Whiteboard beackern möchte, sollte mal witeboard.com ausprobieren. Quite a gem!

Header-Foto von Anubhav Saxena bei Unsplash