Salut und herzlich Willkommen zur 617. Ausgabe des Social Media Briefings. Heute geht es um die Frage, ob Social Bots wirklich eine Gefahr für die Demokratie darstellen. Zudem beschäftigen wir uns mit Twitters Strategie gegen Falschinformationen und Instagram Kuratoren – den neuen Cool Huntern (die Älteren werden sich erinnern). Wir bedanken uns für das Interesse und wünschen eine gewinnbringende Lektüre, Martin & Team

Social Bots: Märchen oder Gefahr?

Was ist: Am Wochenende ist beim Guardian ein Artikel erschienen, der über eine spannende Studie berichtet: Einem Paper der Brown-Universität zufolge stammen 1/4 aller Tweets zur Klimawandel-Debatte von Bots. Ein Viertel?! 🤔

Ich fand das so interessant, dass ich den Artikel auf Twitter teilte. Zwar hatte ich darauf hingewiesen, dass es bei der Studie hinsichtlich der Methode Zweifel gibt. Das hat aber Bot-Experte Florian Gallwitz nicht davon abgehalten, meinen Tweet mit einem abschätzigen „Herrje“ zu retweeten. Das widerum hat mich in gleichen Teilen irritiert und neugierig gemacht.

Bei meiner anschließenden Recherche habe ich gelernt, wie komplex und zum Teil auch vergiftet die Diskussion um das Thema Social Bots ist. Gern möchte ich meine Learnings an dieser Stelle teilen:

Der Stand der Forschung

  • Der Deutsche Bundestag hat eine Enquete-Kommission zum Thema Künstliche Intelligenz eingesetzt, um das Thema Social Bots besser zu verstehen.
  • Drei Experten wurden von der Kommission um eine Einschätzung gebeten: Florian Gallwitz (Professor für Computer Science an der TH Nürnberg), Tabea Wilke (Gründerin und Geschäftsführerin von Botswatch) und Simon Hegelich (Professor für Political Data Science an der TU München)
  • Das Spannende: Die drei Experten kommen zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen, was die Existenz und die Bedeutung von Social Bots angeht.
  • Jürgen Hermes (@spinfocl) von der Universität zu Köln hat die drei Stellungnahmen (Gallwitz, Wilke, Hegelich) auf seinem Blog zusammengefasst und eingeordnet. Der Artikel „Jäger der verlorenen Bots“ ist allen zu empfehlen, die sich ausführlicher mit dem Thema beschäftigen wollen. In der Folge zitiere ich aus Hermes Artikel:

Was könnte mit Social Bots gemeint sein? „Social Bots zu definieren ist nicht elementar, über alle drei Gutachten hinweg kann man sie aber destillieren als automatisierte Accounts, die zwei Ziele verfolgen: 1) Meinung manipulieren und 2) fälschlich als Accounts von echten Menschen wahrgenommen werden.

Studien: Social Bots sind unter uns: „Seit mehreren Jahren werden wissenschaftliche Studien durchgeführt, die Social Bots in hoher Zahl als gegeben annehmen und deren Einfluss auf diverse, vorwiegend politische Diskurse quantifizieren. An diesen Studien gibt es inzwischen erhebliche Zweifel, die allerdings noch nicht peer reviewed publiziert wurden.

Bot or not? Wie kann man Social Bots erkennen? Es wurden bisher keine Verfahren entwickelt, mit denen Social Bots, so wie sie oben definiert wurden, mit hinreichender Präzision aufgespürt werden können. Das kann daran liegen, dass solche Verfahren bisher einfach nicht gefunden wurden oder dass sie prinzipiell nicht entwickelt werden können. Oder auch daran, dass schlicht keine Social Bots in relevanter Zahl existieren.

Ist die Existenz von Social Bots nicht einfach logisch? „Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass Akteure versuchen, über eine Masse von Social Bots die Meinungsbildung im Internet und darüber hinaus zu beeinflussen. Es gibt aber auch gute Gründe anzunehmen, dass die Plattformbetreiber dies aktiv zu unterbinden versuchen und dabei erfolgreich sind. In der Summe: Ich (Jürgen Hermes) sehe keinen Grund, Social Bots als Massenphänomen anzunehmen, solange man sie nicht massenhaft nachweisen kann.

Hyperaktive Debattenkultur: „Social Bots sind wohl kein Massenphänomen, aber wohl auch keine Verschwörungstheorie. Meinungsbildung und -manipulation über Social Media ist ein Massenphänomen und demnach auch keine Verschwörungstheorie. Die zugrundeliegenden Mechanismen müssen dringend weiter erforscht werden, aber nicht auf Basis der bisherigen Social-Bot-Annahmen.

Be smart: Wenn das nächste Mal ein Social-Bot-Artikel durch das Netz geistert, lohnt es sich, genauer hinzuschauen: Was ist die Datengrundlage? Welche Werkzeuge wurden genutzt, um Social Bots zu identifizieren? Wie werden Social Bots überhaupt definiert? Auf dieser Basis kann dann seriös über die Studie berichtet werden. Denn zwei Dinge sind mir am Wochenende klar geworden: Ja, es braucht definitiv bessere Berichterstattung rund um das Thema. Nein, es hilft niemandem, Journalismus als „hochkonzentrierten, hirnverbrannten Bot-Verschwörungs-Schwachsinn“ abzutun. Das hat Prof. Gallwitz zum Glück auch verstanden. Seinen Tweet hat er mittlerweile gelöscht.

Go deep:

Social Media & Politik

Für 2500 Dollar im Monat Pro-Bloomberg-Posts raushauen: US-Präsidentschaftsbewerber Michael Bloomberg hat wirklich eine ziemlich fitte Truppe eingekauft, um sein Social-Media-Game zu uppen. Jedenfalls vergeht kaum eine Woche, in der nicht deutlich wird, wie groß die Schlupflöcher bei Facebook und Co weiterhin sind, um politische Werbung unters Volk zu bringen. Der neueste Clou: Bloomberg bezahlt regulären Facebook-Nutzerïnnen 2500 Dollar im Monat, um auf ihren Accounts Pro-Bloomberg-Botschaften zu posten (Quelle: WSJ). Facebook versucht nun, diesem Treiben beizukommen (Quelle: CNBC).

Trumps Werbeplatz-Coup: Wo wir gerade über den Wahlkampf in den USA sprechen: Donald Trumps Social-Media-Team leistet ebenfalls einen hervorragenden Job (wenn ich das jetzt mal so schreiben darf). Simon berichtet in der Süddeutschen Zeitung, dass sich Trump den wohl begehrtesten Werbeplatz der Welt für die Tage vor der US-Wahl gesichert hat: den Masthead bei YouTube. Der Clou daran: Während sämtliche Werbeplätze auf YouTube personalisiert ausgespielt werden, ist der Masthead-Anzeigenplatz fix. Jeder sieht die gleiche Anzeige auf YouTubes-Startseite ganz oben. Immer.

Kampf gegen Desinformation

Twitter mit neuem Labeling: Einem Bericht von NBC News zufolge arbeitet Twitter an visuellen Markierungen von Falsch- und Desinformationen. Das Mockup zeigt, wie Twitter künftig aussehen könnte. Vox erklärt, wie das Labeling funktionieren soll.

Datenschutz-Department

EU empfiehlt Signal: Wie der geschätzte Kollege Alexander Fanta berichtet, liegt netzpolitik eine interne Notiz einer Expertengruppe der EU-Kommission vor, die die Nutzung von Signal als sicherere Alternative zu WhatsApp für den Austausch unter Kollegïnnen vorschlägt. Bislang war WhatsApp der Messenger Nummer Eins unter Diplomaten (Quelle: Guardian). Das könnte sich nun womöglich ändern.

Neues von TikTok

Während es mittlerweile für viele völlig normal geworden ist, TikTok-Dances und -Memes auf Twitter, Facebook und Co abzufeiern, sind wir weiterhin skeptisch, was die Plattform angeht. Durchaus zurecht, wie diese drei aktuellen Meldungen zeigen:

  • TikTok-Verbot bei US-Behörden: AP zufolge dürfen Mitarbeiter der US-Verkehrssicherheitsbehörde (Transportation Security Administration) aus Sicherheitsgründen künftig keine TikToks mehr posten. Mitarbeitern der Heimatschutzbehörde (Department of Homeland Security) ist die Verwendung von TikTok ebenfalls untersagt.
  • Kein Bock auf Anhörung: Um besser zu verstehen, wie eng die Beziehungen nach China sind, sollten Mitarbeiterïnnen von TikTok und Apple vor dem US-Kongress angehört werden. Beide Unternehmen zogen es vor, die Anhörung nicht wahrzunehmen. (Quelle: Washington Post)
  • Lobbyisten gesucht: Aktuellen Stellenanzeigen bei Daybook zufolge sucht TikTok händeringend nach neuem Personal, um aufgeregte Politikerïnnen in Washington zu beruhigen.
  • Filterblase per Gesichtserkennung: Es sieht so aus, als wären Vorurteile aufgrund von äußerlichen Merkmalen für TikTok kein Problem, sondern ein Feature. Dir gefallen weiße Männer mit Bart? Hier sind noch mehr Männer mit weißem Bart. TikToks Gesichtserkennungsfeature macht es möglich. (Quelle: Twitter / Marc Faddoul)

 

Schon einmal im Briefing davon gehört

Die neuen Cool Hunter: Instagram Curator Trendscouts hießen in den 90ern mal Cool Hunter. Heute heißen sie Instagram Curator und erfreuen sich zunehmender Popularität (Quelle: GQ). Wie angenehm: Während Kreative und Influencer sich abstrampeln müssen, um Neues zu erfinden, müssen Kuratoren nur finden. Genau mein Humor 👌🏻

 

Statistiken

Tech-Experten sehen ziemlich schwarz für die weitere Entwicklung der digitalen Welt. Laut Pew Research sagt etwa die Hälfte voraus,

dass der Einsatz von Technologie durch den Menschen die Demokratie bis 2030 aufgrund der Geschwindigkeit und des Umfangs der Realitätsverzerrung, des Niedergangs des Journalismus und der Auswirkungen des Überwachungskapitalismus schwächen wird. Ein Drittel erwartet, dass die Technologie die Demokratie stärken wird, wenn die Reformer Wege finden, um gegen Desinformation und Chaos vorzugehen.

Yikes.

Neue Features bei den Plattformen

Facebook

  • Stories Test: Facebook testet eine neue Discover-Page für Facebook Stories. Das Ergebnis sieht den Entdecker-Seiten von IGTV und Snapchat ziemlich ähnlich. (Quelle: Twitter / Guillaume Baratte)
  • Facebooks Creator Studio ist jetzt auch mobil verfügbar. (Quelle: Techcrunch)

Twitter

  • Threads: Twitter hat an seinen Thread-Funkionalitäten geschraubt und erlaubt Nutzerïnnen nun, neue Tweets bereits veröffentlichten Tweets hinzuzufügen. (Quelle: Twitter / Twitter)

TikTok

  • “Link in Bio“ ist bei TikTok jetzt auch möglich. (Quelle: socialmediatoday)

Vimeo

  • Vimeo Create: Das Video-Portal Vimeo hat sich ja schon längst von der Idee verabschiedet, ein echter YouTube-Herausforderer zu werden. (Eine Entwicklung, die ich persönlich sehr bedaure. Immerhin hatte ich dort meinen Uni-Abschlussfilm veröffentlicht 😅.) Um weiter an der Geschäftsidee zu arbeiten, Tools für Filmschaffende zur Verfügung zu stellen, hat Vimeo jetzt Vimeo Create lanciert: eine Plattform, um mittels Stockmaterial und Tools, die an die Erstellung von Stories erinnern, Videos für alle gängigen Social-Media-Formate zu produzieren. Check it out: Vimeo create!

One more thing

Jan Böhmermann hat mit diesem Tweet ziemlich gut auf den Punkt gebracht, warum wir das hier alles machen.

Header-Foto von Hello Lightbulb bei Unsplash