Salut und herzlich Willkommen zur 576. Ausgabe des Social-Media-Watchblog-Briefings. Heute widmen wir uns der Dauerbaustelle YouTube. Zudem schauen wir auf die Einführung einer Gesichtserkennung für alle durch Facebook. Auch beschäftigen wir uns damit, wie leicht Influencer künftig zu Shop-Betreibern werden könnten und warum Menschen für Desinformationen so zugänglich sind. Wir wünschen eine gute Lektüre und senden herzliche Grüße, Martin & Team

P.S. Um die neuen Dating-Features bei Facebook und Instagram kümmern wir uns dann in der nächsten Ausgabe.

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YouTube brennt

Was ist: Bei YouTube brennt seit Monaten die Hütte. Zwar haben sie mittlerweile erkannt, in welcher Lage sie stecken und verweisen auf erste Erfolge, gleichwohl gleicht die Plattform weiterhin einer Großstadt, in der die Polizei sich heute mal um dies kümmert, morgen mal das verbietet, und eigentlich niemand so richtig weiß, wie die Regeln nun lauten, an die mensch sich halten soll.

Bitte etwas konkreter:

  • YouTube erklärt darin, dass sie fünfmal mehr „hateful content“ im zweiten Quartal entfernt hätten (Tagesschau) – 80 Prozent seien dabei automatisiert gelöscht wurden.
  • Die Dimensionen klingen gewaltig: mehr als 100.000 Videos, über 70.000 Kanäle. Da räumt einer mal richtig auf, könnte man meinen. Gleichwohl liefert YouTube keinerlei Referenzwerte und wir haben somit keine Idee, ob es sich bei den entfernten Accounts womöglich nur um die Spitze des Eisberges handelt.
  • Zudem eiert YouTube weiterhin rum, kann sich nicht auf verlässliche Standards verständigen. So wurde etwa der Account von Martin Sellner, Chef der Identitären Bewegung Österreich und einer der führenden Köpfe der Neuen Rechten in Europa, zunächst gesperrt und dann keine zwei Tage später wieder zugelassen (BuzzFeed News).

Warum das alles so wichtig ist? Nun ja, weil das alles gar nicht mehr witzig ist, was da passiert. Die Studien mehren sich, aus denen ersichtlich wird, welche Rolle YouTube bei der Radikalisierung spielt – gerade durch die Empfehlung rechtsextremer Inhalte (Cornell University).

Übrigens: Leider ist die Politik imho noch weit davon entfernt, wirkliche Handlungsmacht über die Konzerne zu erlangen. Millionenstrafen wie jene, die jüngst von der FTC für das Sammeln von Kinderdaten (Zeit Online), auferlegt wurden, sind in das Geschäftsmodell miteingepreist und lassen Google nur müde lächeln (VOX).

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Gesichtserkennung für alle

Was ist: Facebook führt eine Gesichtserkennung für alle ein.

Zwar ist das neue „Feature“ grundsätzlich optional, also eigentlich nur via opt-in verfügbar, gleichwohl wirft die Anküdigung von Facebook einige Fragen auf:

  • Es ist aus dem Blogpost zur Einführung leider nicht wirklich herauszulesen, wer jetzt reagieren muss und wer nicht.
  • In Europa jedenfalls sollten die Nutzer safe sein, weil eine Gesichtserkennung, die per default an ist, schlicht illegal ist. Trotzdem empfehlen wir, das Feature in den Einstellungen noch einmal zu suchen und ggf. zu überprüfen – hier der Link zur Hilfe-Page.

Was für normale Nutzer wichtig ist:

  • Das Feature Gesichtserkennung ist künftig daran geknüpft, dass man als Nutzer von Facebook alarmiert wird, wenn jemand Drittes ein Foto hochlädt, auf dem man selbst zu sehen sein könnte.
  • Auch die beliebte Foto-Tagging-Funktion ist nun mit dem Gesichtserkennungs-Feature verbandelt.
  • Wer auf beides (oder eines der beiden Features) nicht verzichten kann, muss zwangsläufig die Gesichtserkennung anschalten.

Wie das Feature funktioniert:

  • Facebook verarbeitet die Bilder von dir, um zu extrahieren, wie dein Gesicht aussieht. Das Ergebnis ist eine Art Zahlenreihe, die als Template bezeichnet wird.
  • Die Gesichtserkennung funktioniert derart, dass sie statistisch ähnliche Zahlenreihen, die aus anderen Bildern extrahiert wurden, miteinander vergleicht.
  • Wer also nicht möchte, dass Facebook überhaupt erst ein solches Template von seinem Gesicht erstellt, sollte die Gesichtserkennung nicht anschalten.

Übrigens: Egal, wie du dich entscheidest, Facebook wird sowieso irgendwann dein Gesicht faken können – sie werden jedenfalls immer besser darin (Fast Company). Oh dear.

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Neues aus der Abteilung Datenschutz

Datenpanne, again: 419 Millionen Telefonnummern von Facebook-Nutzern lagen frei zugänglich auf einem Internet-Server. Facebook zufolge handelt es sich um alte Daten. Auch gebe es keine Hinweise auf gehackte Accounts. Tss. Simon hat für die SZ aufgeschrieben, was Kriminelle trotzdem alles mit einer Telefonnummer anstellen können.

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Neues aus dem Deepfake-Department

ZAO: Mit der nur in China verfügbaren App ZAO lassen sich ziemlich hübsche Fakes aus einem Selfie sekundenschnell erstellen (SPON) – etwa um einmal die Hauptrolle in der Titanic zu spielen (Twitter / AllanXia). Solche Cheapfakes sind quasi das Pendent zu den bislang noch extrem aufwänding zu produzierenden Deepfakes – also den täuschend echten Video/Audio-Manipulationen, für die es bislang noch richtig satte Rechenpower brauchte. Bei allen Abstrichen in der Qualität zeigt die App durchaus, wo die Reise hingehen könnte. Don’t believe what you see (brand eins)

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Kampf gegen Desinformation & Hass

Mehr Transparenz bei US-Wahl-Werbung: Um die US-Wahlen 2020 vor Einflussnahme Dritter zu schützen und insbesondere in Sachen Werbung mehr Transparenz zu wagen, verlangt Facebook von allen, die politische Anzeigen schalten wollen, noch mehr Informationen (Techcrunch).

Alle Augen auf Instagram: Apropos Wahlen 2020 – eine Studie des NYU Stern Center lenkt hinsichtlich möglicher Desinformationskampagnen das Augenmerk verstärkt auf Instagram. Es sieht ganz so aus, als könnte das der nächste große Battleground werden.

Facebook und Brasilien: Zwar hatte Facebook betont, bei den Wahlen in Brasilien soweit alles ganz gut im Griff gehabt zu haben. Einige Mitarbeiter sind sich da aber nicht so sicher (WSJ).

Is Facebook ready for 2020? In diesem Zusammenhang möchte ich gern die aktuelle Ausgabe des Vergecast empfehlen, der sich intensiv mit der Frage beschäftigt, ob Facebook denn nun gewappnet ist für die US-Wahlen 2020. Als Interviewgast haben sie niemand geringeres als Facebooks Ex-Sicherheitschef Alex Stamos gewinnen können.

Twitter & Pinterest: Auf Twitter und Pinterest wurden BuzzFeed zufolge Screenshots von US-JournalistInnen ohne deren Zustimmung gesammelt und geteilt. Die Accounts wurden jetzt zum Glück dicht gemacht.

Media Hacking: Wer sich mit der Manipulation von Medien beschäftigt, kommt an dieser Studie von Data Society nicht vorbei: „Source Hacking: Media Manipulation in Practice“ zeigt auf, wie Akteure vorgehen, um die Quelle einer bestimmten Falschnachricht zu verschleiern, damit diese dann von Journalisten und anderen Social-Media-Nutzern aufgegriffen werden – eine Strategie, die etwa insbesondere in Breaking-News-Situationen häufig eingesetzt wird.

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Studie: The news we believe

Was ist: Mandy Jenkins hat sich im Rahmen ihres „John S. Knight Journalism Fellow“ in Stanford mit dem Thema Desinformation beschäftigt. Das Spannende daran: Ihr ging es primär um die Rezipienten und die Frage, warum Menschen für Desinformationen überhaupt zugänglich sind. Dabei spielt ihr Verhältnis zu Nachrichten und Social Media eine besondere Rolle.

Die Ergebnisse können auf dieser Website (Project Disconnect) in aller Ruhe betrachtet werden. Gern möchte ich aber an dieser Stelle einige ihrer Beobachtungen teilen:

  1. Distrust in the power of the media: Die Befragten bekunden nur wenig Vertrauen in die Arbeit der Medien und könnten daher auch grundsätzlich nicht all zu gut zwischen den „good guys“ und „bad guys“ unterscheiden.
  2. The media isn’t “one of us”: Viele der Interviewten gaben zu Protokoll, dass Vertreter der Medien immer nur kommen würden, wenn etwas passiert sei. Journalisten würden sich sonst nur wenig um die Communities und Regionen, über die sie berichten, scheren.
  3. Difficulty discerning facts and opinions: Auch sei es für die allermeisten Befragten sehr schwer zu unterscheiden, ob es sich bei Artikeln nun um Nachrichten oder Meinungsartikel handeln würde.
  4. Information overload from news aggregators and social media: Zudem sei es enorm schwierig, echte News herauszufiltern bei der Flut an Informationen, die via Social Media & Aggregatoren über sie hineinbrechen.
  5. The overestimation of disinformation: Die meisten der Befragten gaben zu verstehen, dass Desinformationen und Hoaxes ein extrem ernstzunehmendes Problem seien. Dabei zeigt die Forschung, dass das nicht wirklich der Fall ist – vielmehr hat die übertriebene Berichterstattung Zweifel wachsen lassen.
  6. Overestimation of media literacy skills: Alle Befragten waren der Auffassung, dass sie in der Lage sind, Falschnachrichten von echten Nachrichten zu unterscheiden, indem sie zum Thema eigenständig recherchieren. Häufig verschlimmert dies aber nur das Problem.
  7. Negative feelings about social media, especially Facebook: Alle Befragten äußerten sich negativ über Facebook. Gar nicht mal wegen Datenschutzbedenken, sondern weil sie besorgt darüber waren, wie sich ihre Facebook-Nutzung auf die eigenen Emotionen auswirkte.

Ihre Schlussfolgerungen lauten:

"The primary problem facing the news industry as it pertains to the issue of disinformation is its deteriorating relationship with its audience. If the audience doesn’t trust the media’s motives or processes, it follows that it also wouldn’t have faith in such important journalistic practices as fact-checking.

Though it is easy to assume that those who believe disinformation are unintelligent, incurious or uncaring about the false news they help amplify, I found this not to be the case. The participants I spoke to were educated and exceedingly thoughtful about their media-consumption choices. I do hope you’ll take the time to dig further into their case studies and get a better idea of who they are.

The importance of context as it pertains to news and history cannot be overstated in understanding disinformation. People consume information through their own individual lenses, so one person’s news is another’s “fake news” — seen this way, all sides can believe they are right, and the opposing side wrong.

Everyone has their own filters, via conscious choice or applied unwittingly through technology, that dictate what information they will see and what they will believe."

Be smart: Die Ergebnisse ihre Studie sind nicht repräsentativ. Dafür hat sie mit viel zu wenig Teilnehmern gesprochen. Gleichwohl fand ich ihre Ergebnisse und Schlussfolgerungen sehr lesenswert und wollte sie gern an dieser Stelle teilen.

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Follow the money

NFL & TikTok machen gemeinsame Sache (Techcrunch). Pünktlich zum Start in die neue Saison hat sich die NFL einen offiziellen TikTok-Account zugelegt und feiert mit einer offiziellen Challenge (#WeReady) den Auftakt. Für die NFL sind solche Kooperationen nichts ungewöhnliches. Auf Twitter bieten sie bereits Livestreams an. Und auch auf Snapchat Discover sind sie dabei. Für TikTok hingegen gleicht die Koop natürlich einem Ritterschlag – als chinesisches Unternehmen in den USA…

Influencer werden zum Shop-Betreiber: Das Startup Storr bietet Influencern in Kopperation mit Adidas die Möglichkeit, einen eigenen Online-Shop anzulegen. Dieser kann dann mit Adidas-Produkten befüllt und via Instagram, Facebook und Twitter angeboten werden. Die Marke selbst kümmert sich um den Bezahlvorgang und alles weitere – der Influencer erhält 6 Prozent Provision. Super smart. Und ein weiterer Stoß ins Mark für alle traditionellen Retailer: The next phase of retail: Adidas is turning influencers into sneaker salespeople (Fast Company)

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Empfehlungen fürs Wochenende

Facebook Libra: Die geschätzten Kollegen Marcel Weiss und Christoph Koch sprechen in ihrem hörenswerten Neunetz-Podcast über die ambitionierten Pläne von Facebook, eine Cryptowährung namens Libra einzuführen. Sie gehen dabei noch einmal auf die grundsätzliche Idee von Libra ein und stellen dar, warum gerade die Verbindung von Libra und Instagram explosiv sein könnte. Für alle, die bislang noch nicht so richtig verstanden haben, wie Libra funktionieren soll (so wie meine Wenigkeit…) sind das gut investierte 55 Minuten.

Elderly Gamers: Holly! Es gibt Opas, denen 200.000 Menschen beim Ego-Shooter-Zocken auf Twitch zuschauen. What a time to be alive: Older people are embracing video games. For some, that means stardom (NBC News)

The Myth of the free speech crisis: Dieser Longread des Guardians beschäftigt sich damit, wie übertriebene Ängste vor Zensur Hassrede normalisiert und Minderheiten zum Schweigen gebracht haben. Sehr, sehr starker Text, den ich mir persönlich für Sonntagmorgen zur Wiedervorlage abgelegt habe.

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Neues von den Plattformen

Facebook

  • Überarbeitetes Desktop-Layout: Unglaublich, aber wahr: Facebook startet das Roll-out für das grundlegend überarbeitete Desktop-Layout. Künftig gibt es dann z.B. oben die "wichtigsten" Tabs (analog zur mobilen Version), wobei jedes Tab dann zu einer extra auf das jeweilige Nutzungsszenario zugeschnittenen Page führt. (Social Media Today)

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Apps, Tipps und Tricks

Reddit gehört ja nach wie vor zu den am meisten unterschätzten Websites in Deutschland. Damit du einmal eine Idee bekommst, was dort passiert, teilen wir gern Gizmodos Liste von 21 spannenden Subreddits – darunter u.a. so großartige Subreddits wie r/educationalgifs, r/MovieDetails oder r/explainlikeimfive.

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One more thing

Sad Lunch Break: Wenn du das nächste Mal wieder niemanden zum Mittagessen findest, kannst du einfach diese Website aufrufen: das Internet hat für alles eine Lösung!

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Header-Foto von lwzee bei Unsplash