Salut und herzlich Willkommen zur 546. Ausgabe des Social-Media-Watchblog-Briefings. Heute blicken wir etwas ausführlicher auf die Europawahl. Zudem berichten wir über die Praxis von Tech-Unternehmen, Inhalte von Nutzern ohne deren Wissen zu labeln. Ferner geht es um Marketing mit TikTok, Schleichwerbung bei Instagram und Shopping via YouTube. Ich wünsche wie üblich eine gewinnbringende Lektüre und bedanke mich für das Interesse an unserem Briefing! Herzlichst, Martin

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Europa steht vor der Wahl

Was ist: Die Europawahl steht vor der Tür und die Sorgen mehren sich, dass die Tech-Unternehmen nicht genug gegen mögliche Desinformationskampagnen unternehmen.

Was ist da dran? Zunächst einmal muss festgehalten werden, dass vor allem Facebook und Twitter sehr wohl aktiv geworden sind und einiges daran setzen, die Integrität von Wahlen zu sichern, wie sie es nennen.

  • So arbeitet das Team von Nathaniel Gleicher, Head of Cybersecurity Policy bei Facebook, kontinuierlich daran, Pages und Akteure von der Plattform zu verbannen – etwa jüngst erneut Akteure aus Russland.
  • Auch müssen sich sowohl bei Twitter als auch bei Facebook alle, die Wahlwerbung schalten wollen, vorher registrieren.
  • Zudem gibt es nun Archive, in denen Dritte nachvollziehen können, wer welche Wahlwerbung geschaltet und finanziert hat.
  • Zudem hat Facebook in Dublin ein spezielles Lagezentrum eingerichtet, um besondere Vorkommnisse rund um die Wahl im Blick zu behalten. Die Tagesschau war vor Ort und hat sich einen Eindruck vom europäischen „War Room“ verschaffen können.

Ferner gibt die Wissenschaft zu bedenken, dass bislang noch keine ähnlichen Kampagnen wie beim Brexit oder bei der US-Wahl 2016 zu beobachten sind. Das würde vor allem daran liegen, dass wir es bei der Europawahl nicht mit einer Schwarz-Weiß-Situation zu tun hätten. Die Europawahl sei zu komplex, für schlichte Propaganda.

Aber, aber! Auch wenn bislang alles ruhig scheint, gilt es folgende Punkte zu bedenken:

  • Es ist bislang nicht eindeutig geklärt, was als Wahlwerbung auf Social Media zählt. Bislang definieren das die Plattformen weitestgehend selbst – imho ist hier die Politik zwingend gefordert, eindeutige Regeln zu definieren.
  • Bisland ist Facebooks EU-Werbebibliothek noch extrem limitiert. So werden nur Inhalte aufgeführt, die seit März 2019 geschaltet wurden. Auch gibt es keine automatischen Reports, sondern Nutzer müssen mühsam recherchieren.
  • Zudem werden Inhalte, die Facebook nicht als politische Werbung deklariert, auch nicht in der Werbebibliothek geführt.
  • Auch können Akteure, die sich nicht registriert haben, trotzdem Anzeigen schalten und Tausende Menschen erreichen, bevor Facebook die Anzeige „entdeckt“ und von der Seite nimmt.
  • Ferner ist noch überhaupt nicht geklärt, wie Desinformationskampagnen via WhatsApp oder in Gruppen begegnet werden soll. Genau dort tummeln sich aber die Menschen nun einmal primär, wie jüngst der Pivot von Facebook gezeigt hat.
  • Darüber hinaus ist es NGOs und EU-Institutionen nicht möglich, europaweit Werbung zu schalten – etwa mit einem Aufruf zu Wahl. Grund dafür sind Facebooks Spielregeln, dass Organisationen nur in dem Land werben dürfen, in dem sie auch registriert sind. Das widerspricht natürlich fundamental der europäischen Idee.
  • Last but not least erklären Wissenschaftler, dass die API, mit der das Werbearchiv angezapft werden kann, viel zu limitiert ist (Mozilla).

Be smart: Facebook hat jüngst bekannt gegeben (Newsroom FB), welche Forschungseinrichtungen (NiemanLab) Zugang zu Facebooks Datenschatz bekommen, um zu untersuchen, welchen Einfluss Facebook auf die Demokratie hat. So untersucht etwa ein Team der TU München, wie es um Desinformationskampagnen bei der Bundestagswahl 2017 bestellt war. Das ist spannend und sehr löblich. Gleichwohl ist es nur ein Blick zurück. Mit Blick auf die Integrität der Europawahl helfen diese Forschungen nicht.

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Kampf gegen Desinformationen

Instagram jetzt auch mit Fact Checking: Künftig werden all jene Inhalte, die Fact Checker bei Facebook als fragwürdig gekennzeichnet haben, auch auf Instagram entsprechend gelabelt (Poynter). Hintergrund ist der, dass es häufig die gleichen Inhalte (Posts, Fotos, Links) sind, die auf Facebook und Instagram zirkulieren. Die Arbeit der Fact Checker nun auch auf Instagram auszuweiten ist somit nur konsequent.

KI und Content Moderation: Die großartigen Kollegen von netzpolitik haben mit einer Content Moderatorin von Facebook gesprochen und sich erklären lassen, wie die Automatisierung von Content Moderation bei FB funktioniert. Der Text macht deutlich: Künstliche Intelligenz kann Facebooks Moderationsprobleme nicht lösen, ohne neue zu schaffen.

Beschwerde einlegen – jetzt auch bei Instagram möglich: Vermutlich ist es bereits einigen von euch schon einmal passiert, dass ein Insta-Post nach der Veröffentlichung wieder von der Seite verschwunden ist. Zwar gibt es dazu in aller Regel eine Erklärung, aber keine einfache Möglichkeit, dagegen Beschwerde einzulegen. Genau das will Instagram nun ändern: Instagram will soon let you appeal post takedowns (Engadget).

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Posts werden händisch gelabelt

Was ist: Die Kennzeichnung von user-generated Content (auch als "Datenannotation“ bekannt), ist eine Wachstumsbranche. Unternehmen wie Facebook und Google versuchen durch das manuelle Labeling von Inhalten, ihre KI-Anwendungen zu schulen (Reuters).

Wie funktioniert das genau? In Rumänien, auf den Philippinen oder in Indien schauen sich Tausende (schlecht bezahlte) Mitarbeiter in Sub-Sub-Sub-Unternehmen Millionen von Inhalte an und sortieren die Posts nach folgenden Kategorien:

  • What is being shown in the post? Self, building, landmarks, food, animals, adult, teenager, nature
  • What is the occasion of the post? An everyday place or activity, a positive major life event, a negative major life event
  • Is there an expressive element? Thought, opinion, feelings
  • Why did the author make the post? To plan an activity, update others about one’s life, entertain others with something funny, inspire others, share something spiritual

Was ist das Problem dabei? Die NutzerInnen wissen nicht, dass ihre Inhalte derart sortiert werden. Zudem werden nicht nur öffentliche Posts „gelabelt“, sondern auch Inhalte, die nur mit ausgewählten Freunden geteilt wurden. Auch werden Stories-Fragmente, Link-Posts, Event posts, Videos und Photos – ja sogar Screenshots von Chats untersucht.

Facebook users are not offered the chance to opt out of their data being labeled.

Be smart: Facebook erklärt, „Privacy is the future“. Wann diese Zukunft kommt, lassen sie aus guten Gründen offen.

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#Werbung #Ad #Sponsoring #YogaForLife

Was ist: Cathy Hummels postet gern Fotos auf Instagram. Über 486.000 andere Accounts folgen ihr. Nicht immer ist eindeutig erkennbar, ob es sich beim Post um Werbung handelt oder nur Marketing in eigener Sache. Deshalb wurde Hummels vom Verband Sozialer Wettbewerb (VSW) abgemahnt. Die zuständige Kammer beim Landgericht München wies die Zivilklage nun ab (taz).

Was bedeutet das? Erst einmal nicht so viel. Ähnliche Fälle sind bei anderen Gerichten anhängig. Die Fitness-Bloggerin Pamela Reif hatte jüngst eine ähnliche Klage verloren. Endgültige Klarheit kann wohl erst eine Entscheidung des Bundesgerichshofs schaffen.

Warum ist das dann überhaupt interessant? Die Kammer in München hat erklärt, dass es ja wohl offenkundig sei, dass Cathy Hummels mit ihrem Account ein kommerzielles Interesse verfolge – niemand könne über 486.000 Freunde haben. Eine erfrischende Sicht auf die Dinge, die ein gesundes Maß an Medienkompetenz voraussetzt.

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Schon einmal im Briefing davon gehört

Der Thread als eigene Form: Der geschätzte Kollege Dirk von Gehlen durfte im Deutschlandfunk darüber nachdenken, warum sich der Twitter-Thread gerade zu einer eigenständigen Text-Gattung aufschwinkt. Twitter-Threads – Achtung, ich mach mal ne Ansage!

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Statistiken

Twitter-Nutzer in den USA: Nein, Twitter ist nicht repräsentativ. Weder in Deutschland, noch in den USA. Wie PEW für die USA zeigt, sind Twitter-NutzerInnen in den USA jünger und eher geneigt, Demokraten zu wählen als die Allgemeinheit. Auch würden die meisten NutzerInnen nicht selbst twittern, die Top-10-Prozent wäre dafür aber für 80 Prozent der Tweets verantwortlich. Mehr gibt es hier: Sizing up Twitter Users.

Ad Spending: Laut IAB Report haben die Ausgaben für digitale Werbung in den USA 2018 erstmalig die 100-Milliarden-Dollar-Marke geknackt. Die Ausgaben für Desktop-Werbung sind dabei leicht rückläufig, Mobile zieht noch einmal kräftig an.

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Video Boom

Twitters Video-Strategie: Twitter versucht sich weiter am Thema Video und verkündet neue Deals mit dem Wall Street Journal, TIME, BuzzFeed News, CNN und MTV. Aber auch Partnerschaften mit der NBA, MLB und The Ringer oder der Drone Racing League wurden eingefädelt. Twitter möchte kein Content Hub werden wie YouTube oder Facebook Watch. Sehr wohl aber versucht Twitter, seine NutzerInnen mit ausgewählten Inhalten / Sendungen zu bedienen.

Neue Video-Guidelines bei Facebook: Auch Facebook bastelt weiter an seiner Video-Strategie und verkündet neue Guidelines. So will das Unternehmen in den kommenden Monaten daran arbeiten, „Original Videos“ im Feed, bei Facebook Watch und bei „more Videos“ höher zu ranken (Facebook Newsroom). Konkret geht es Facebook dabei vor allem darum, den ganzen Eintagsfliegen auf der Plattform weniger Sichtbarkeit zu geben, den professionellen Video-Machern hingegen umso mehr.

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Neues von den Plattformen

Google

  • Datenspeicherung: Google bietet Nutzern künftig die Option, Daten (Standortverlauf und Aktivitätsdaten) automatisiert zu löschen. Sehr, sehr gute Sache. (Google Blog)
  • Google Shopping: Wenn Amazon in Sachen Search und Werbung immer wichtiger wird, dann muss Google halt in Sachen Shopping mehr bieten. So jedenfalls lautet wohl die Idee hinter Googles Plänen, künftig mehr Shopping zu wagen – etwa mit Verlinkungen bei YouTube oder Anzeigen in der Bildersuche. Das erinnert alles stark an Instagram Checkout und Co. E-Commerce ist echt das Thema. Habe darüber übrigens auch in meiner Mai-Kolumne bei brand eins geschrieben.

Twitter

  • Upgrade für Retweets: Twitter erweitert die Palette an Möglichkeiten, wie „retweetet“ werden kann. So lassen sich künftig Retweets auch mit Videos, Fotos und Gifs ausstatten – und eben nicht nur mit Text. (TechCrunch)

Facebook

  • Ad Spending: Facebook hat ein neues Tool entwickelt, das es kleinen Unternehmen ermöglicht, mehr oder weniger automatisiert Werbekampagnen zu erstellen (und zu fahren). Ob das gut funzt, kann ich natürlich noch nicht sagen. Dass solche Automatisierungsprozesse aber Auswirkungen auf die Agenturwelt haben dürften, liegt auf der Hand. (TechCrunch)

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Tipps, Tricks und Apps

Protect your digital privacy: Privacy ist ja nach „Time Well Spent“ das nächste BuzzWord. Damit man sich nicht nur darauf verlässt, dass die Googles dieser Welt das mit der Privatsphäre in den Griff kriegen, zeigt Wirecutter, was mensch selbst für mehr Privatsphäre im Netz tun kann: 7 Simple Ways to Protect Your Digital Privacy.

22 Dinge, die ich als Tech-Entrepreneur gelernt habe: Auch wenn du nicht gerade überlegst, ein eigenes Unternehmen zu gründen, sind diese 22 Lektionen durchaus lesenswert. Die wichtigste Regel lautet für mich: Obsess over customers, not competitors. Ich hoffe, man merkt das 🙂

Marketing via TikTok: Seit ein paar Wochen sind auch Bayern München und Borussia Dortmund auf TikTok mit eigenen Accounts präsent. Digiday hat mit den Verantwortlichen gesprochen und lässt sich erklären, was sich Marken und Unternehmen von einer eigenen TikTok-Präsenz erhoffen. Its all about the youth: „We can reach a younger target group via creative storytelling with TikTok, from which we are seeing high interaction rates.How marketers are testing TikTok.

Instagram Stories für App Downloads: Einige von euch werden bereits ähnliche Erfahrungen gemacht haben: Instagram Stories eignen sich zwar nicht für Traffic in der Breite, aber durchaus für satten Traffic zu ausgewählten Zielen. Bei Digiday erklären die Macher vom Bleacher Report, wie sie Stories nutzen, um App Downloads zu fördern.

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One more thing

Zuckerberg Smile: Wer schon immer einmal über die Stimmung von Mark Zuckerberg befinden wollte, der kann nun zumindest an seinem Lächeln schrauben.

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Header-Foto von Touann Gatouillat Vergosm bei Unsplash