Was ist

Auf zwei Dinge konnte man sich in Brüssel verlassen: Am Morgen geht die Sonne auf, und die Urheberrechtsreform macht Ärger. Auch am Montag ist über dem EU-Parlament die Sonne aufgegangen – aber mit dem Streit ums Copyright geht es zu Ende. Der EU-Rat hat der „Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt“ zugestimmt. Damit ist die Reform endgültig beschlossen.

Warum das wichtig ist

Die Urheberrechtsreform ist eines der umstrittensten Gesetzesvorhaben der vergangenen Jahre. Gegner und Befürworter haben jahrelang darum gerungen, auf beiden Seiten haben mächtige Lobbies und große Unternehmen mitgemischt. Die Reform bringt etliche Risiken mit sich und könnte das Netz grundlegend verändern.

Wie die Abstimmung abgelaufen ist

19 der 28 Mitgliedsstaaten haben der Richtlinie zugestimmt, darunter auch Deutschland. Sechs Länder waren dagegen, drei haben sich enthalten. Wenn Deutschland sich an das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag gehalten hätte, in dem die Bundesregierung verpflichtende Upload-Filter ablehnt, wäre keine Mehrheit zustande gekommen.

Warum die Reform so umstritten ist

In Briefing #535 habe ich die zentralen Kritikpunkte beleuchtet. Hier fasse ich sie nochmal kompakt zusammen. Problematisch sind vor allem drei Artikel: 15, 16 und 17. In früheren Gesetzestexten waren sie als 11, 12 und 13 gelistet.

  • Artikel 15 sieht vor, dass Suchmaschinen Presseverlage bezahlen sollen, wenn sie kurze Ausschnitte aus deren Artikeln anzeigen. Vergleichbare Gesetze in Deutschland und Spanien gelten als gescheitert und waren für Medien wegen der Gerichtskosten sogar ein Verlustgeschäft. Große Verlage haben jahrelang mit zweifelhaften Methoden und schamlosen Lügen für das Leistungsschutzrecht gekämpft.
  • Artikel 16 ermöglicht es, die Verlegerbeteiligung in Deutschland wieder einzuführen, die der BGH 2016 gekippt hatte. Verwertungsgesellschaften dürfen damit wieder pauschal Einnahmen aus Urheberrechten an Verlage ausschütten. Das schadet vor allem freien Journalisten.
  • Artikel 17 besagt, dass Plattformen bereits unmittelbar nach dem Upload für Urheberrechtsverletzungen haften und läuft mit großer Wahrscheinlichkeit auf Upload-Filter hinaus. Plattformen werden Software installieren, die alle Inhalte vor der Veröffentlichung scannt. Das Problem: Maschinen machen Fehler und sind nicht in der Lage zu erkennen, ob urheberrechtlich geschützte Texte, Fotos, Videos oder Tonaufnahmen legal genutzt wurden, wie es im Rahmen des Zitatrechts möglich ist. Außerdem könnten große Plattformen wie Youtube noch mächtiger werden: Kleinere Wettbewerber sind nicht in der Lage, eigene Filter zu entwickeln. Sie müssten die Software also einkaufen.

Warum Upload-Filter unvermeidlich sind

Befürworter der Reform argumentieren so: Das Wort kommt in Artikel 17 gar nicht vor, warum regt ihr euch alle so auf? Plattformen könnten Verträge mit den Rechteinhabern abschließen, um deren Inhalte legal nutzen zu können.

Das stimmt in der Theorie, wird sich in der Praxis aber kaum umsetzen lassen: Große Plattformen wie Youtube können vielleicht Verträge mit großen Verwertungsgesellschaften wie der Gema abschließen – doch weder vertreten diese Verwertungsgesellschaften alle Urheber, noch hilft das kleinen Online-Foren und anderen Betreibern weiter, die ebenfalls von der Reform betroffen sind. Um nicht selbst in Haftung genommen zu werden, müssen sie Upload-Filter installieren.

Was die EU-Mitgliedsstaten tun müssen

Sie haben zwei Jahre Zeit, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Dabei haben sie gewisse Freiheiten, dürfen den Kern der Richtlinie aber nicht ändern. Damit will die EU verhindern, dass ein Flickenteppich aus unterschiedlichen Einzelgesetzen entsteht. Vor allem bei einer Richtlinie, die den digitalen Raum betrifft, wäre das unsinnig: Das World Wide Web interessiert sich nicht für Staatengrenzen.

Wie sich Deutschland verhält

Union und SPD sind in den vergangenen Monaten einen Schlingerkurs gefahren. Die CDU hat auf nationaler Ebene versprochen, Upload-Filter zu verhindern – ihre Abgeordneten in Brüssel haben aber fast geschlossen für die Reform gestimmt.

Justizministerin Katarina Barley steht sinnbildlich für die Zerrissenheit der SPD. Sie ist parallel Spitzenkandidatin für die Europawahl und hat sich persönlich mehrfach gegen Upload-Filter ausgesprochen. Dennoch billigte das Justizministerium die Reform und wies Landwirtschaftsminsterin Julia Klöckner an, im EU-Rat zuzustimmen. Ein Großteil der SPD-Abgeordneten lehnte die Richtlinien bei der Abstimmung im Parlament ab, und die Jusos bedauern das Ergebnis öffentlich.

Passend zu dieser Unentschiedenheit hat Deutschland die Reform nun endgültig mit auf den Weg gebracht – zugleich aber eine Protokollerklärung abgegeben, die sich hier nachlesen lässt. Meine Kurzzusammenfassung lautet: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Die Bundesregierung gesteht ein, dass Upload-Filter „voraussichtlich zur Anwendung“ kommen werden. Ziel müsse es aber sein, Upload-Filter „weitgehend unnötig“ zu machen.

Außerdem betont die Regierung in der Protokollerklärung, dass die Reform vor allem auf „marktmächtige Plattformen“ wie Youtube und Facebook zielen solle. Quelloffene Software solle verhindern, dass diese Plattformen „mittels ihrer etablierten Filtertechnologie ihre Marktmacht weiter festigen“. Deutschland will eine einheitliche Umsetzung in allen Mitgliedstaaten. Allerdings ist unklar, ob andere Länder mitziehen. Frankreich ist als Copyright-Hardliner bekannt und dürfte kaum für eine abgeschwächte Umsetzung zu gewinnen sein.

Be smart

Das aktuelle Urheberrecht ist 18 Jahre alt. Damals gab es weder Youtube noch Facebook. Eine Reform war also überfällig. Die Richtlinie enthält auch sinnvolle Anpassungen, doch die Bedenken wiegen schwer. Insgesamt dürften eher die Verwerter als die Urheber profitieren, und Artikel 17 könnte ungewollte Auswirkungen haben, deren Ausmaß sich derzeit noch nicht absehen lässt.

Klar ist auch, dass der Streit um die Reform allen geschadet hat. Lobbykämpfe, Beleidigungen, Falschbehauptungen: In den vergangenen Monaten haben viele Menschen das Vertrauen in die Politik verloren. Zumindest eine vage Hoffnung bleibt den Gegner der Reform: Der EuGH könnte Upload-Filter nach 2021 erneut für grundrechtswidrig erklären und Artikel 17 kippen.


Foto-Quelle: Markus Spiske, Unsplash