Salut und herzlich Willkommen zur 540. Ausgabe des Social-Media-Watchblog-Briefings. Heute schauen wir aus gegebenem Anlass auf die Reform des Urheberrechts. Zudem blicken wir auf Facebooks Überlegungen, den News Feed in den Stories Feed zu integrieren. Ferner beschäftigen wir uns mit Mobile-Traffic-Statistiken und den läppischen Arbeitszeiten bei chinesischen Tech-Unternehmen. Wir wünschen eine gewinnbringende Lektüre und bedanken uns für das Interesse!

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Urheberrecht: Reform gelungen, Internet tot?

Was ist: Auf zwei Dinge konnte man sich in Brüssel verlassen: Am Morgen geht die Sonne auf, und die Urheberrechtsreform macht Ärger. Auch am Montag ist über dem EU-Parlament die Sonne aufgegangen – aber mit dem Streit ums Copyright geht es zu Ende. Der EU-Rat hat der "Richtlinie über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt" zugestimmt. Damit ist die Reform endgültig beschlossen.

Warum das wichtig ist: Die Urheberrechtsreform ist eines der umstrittensten Gesetzesvorhaben der vergangenen Jahre. Gegner und Befürworter haben jahrelang darum gerungen, auf beiden Seiten haben mächtige Lobbies und große Unternehmen mitgemischt. Die Reform bringt etliche Risiken mit sich und könnte das Netz grundlegend verändern.

Wie die Abstimmung abgelaufen ist: 19 der 28 Mitgliedsstaaten haben der Richtlinie zugestimmt, darunter auch Deutschland. Sechs Länder waren dagegen, drei haben sich enthalten. Wenn Deutschland sich an das Versprechen aus dem Koalitionsvertrag gehalten hätte, in dem die Bundesregierung verpflichtende Upload-Filter ablehnt, wäre keine Mehrheit zustande gekommen.

Warum die Reform so umstritten ist: In Briefing #535 habe ich die zentralen Kritikpunkte beleuchtet. Hier fasse ich sie nochmal kompakt zusammen. Problematisch sind vor allem drei Artikel: 15, 16 und 17. In früheren Gesetzestexten waren sie als 11, 12 und 13 gelistet.

  • Artikel 15 sieht vor, dass Suchmaschinen Presseverlage bezahlen sollen, wenn sie kurze Ausschnitte aus deren Artikeln anzeigen. Vergleichbare Gesetze in Deutschland und Spanien gelten als gescheitert und waren für Medien wegen der Gerichtskosten sogar ein Verlustgeschäft. Große Verlage haben jahrelang mit zweifelhaften Methoden und schamlosen Lügen für das Leistungsschutzrecht gekämpft.
  • Artikel 16 ermöglicht es, die Verlegerbeteiligung in Deutschland wieder einzuführen, die der BGH 2016 gekippt hatte. Verwertungsgesellschaften dürfen damit wieder pauschal Einnahmen aus Urheberrechten an Verlage ausschütten. Das schadet vor allem freien Journalisten.
  • Artikel 17 besagt, dass Plattformen bereits unmittelbar nach dem Upload für Urheberrechtsverletzungen haften und läuft mit großer Wahrscheinlichkeit auf Upload-Filter hinaus. Plattformen werden Software installieren, die alle Inhalte vor der Veröffentlichung scannt. Das Problem: Maschinen machen Fehler und sind nicht in der Lage zu erkennen, ob urheberrechtlich geschützte Texte, Fotos, Videos oder Tonaufnahmen legal genutzt wurden, wie es im Rahmen des Zitatrechts möglich ist. Außerdem könnten große Plattformen wie Youtube noch mächtiger werden: Kleinere Wettbewerber sind nicht in der Lage, eigene Filter zu entwickeln. Sie müssten die Software also einkaufen.

Warum Upload-Filter unvermeidlich sind: Befürworter der Reform argumentieren so: Das Wort kommt in Artikel 17 gar nicht vor, warum regt ihr euch alle so auf? Plattformen könnten Verträge mit den Rechteinhabern abschließen, um deren Inhalte legal nutzen zu können.

Das stimmt in der Theorie, wird sich in der Praxis aber kaum umsetzen lassen: Große Plattformen wie Youtube können vielleicht Verträge mit großen Verwertungsgesellschaften wie der Gema abschließen – doch weder vertreten diese Verwertungsgesellschaften alle Urheber, noch hilft das kleinen Online-Foren und anderen Betreibern weiter, die ebenfalls von der Reform betroffen sind. Um nicht selbst in Haftung genommen zu werden, müssen sie Upload-Filter installieren.

Was die EU-Mitgliedsstaten tun müssen: Sie haben zwei Jahre Zeit, um die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Dabei haben sie gewisse Freiheiten, dürfen den Kern der Richtlinie aber nicht ändern. Damit will die EU verhindern, dass ein Flickenteppich aus unterschiedlichen Einzelgesetzen entsteht. Vor allem bei einer Richtlinie, die den digitalen Raum betrifft, wäre das unsinnig: Das World Wide Web interessiert sich nicht für Staatengrenzen.

Wie sich Deutschland verhält: Union und SPD sind in den vergangenen Monaten einen Schlingerkurs gefahren. Die CDU hat auf nationaler Ebene versprochen, Upload-Filter zu verhindern – ihre Abgeordneten in Brüssel haben aber fast geschlossen für die Reform gestimmt.

Justizministerin Katarina Barley steht sinnbildlich für die Zerrissenheit der SPD. Sie ist parallel Spitzenkandidatin für die Europawahl und hat sich persönlich mehrfach gegen Upload-Filter ausgesprochen. Dennoch billigte das Justizministerium die Reform und wies Landwirtschaftsminsterin Julia Klöckner an, im EU-Rat zuzustimmen. Ein Großteil der SPD-Abgeordneten lehnte die Richtlinien bei der Abstimmung im Parlament ab, und die Jusos bedauern das Ergebnis öffentlich.

Passend zu dieser Unentschiedenheit hat Deutschland die Reform nun endgültig mit auf den Weg gebracht – zugleich aber eine Protokollerklärung abgegeben, die sich hier nachlesen lässt. Meine Kurzzusammenfassung lautet: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Die Bundesregierung gesteht ein, dass Upload-Filter "voraussichtlich zur Anwendung" kommen werden. Ziel müsse es aber sein, Upload-Filter "weitgehend unnötig" zu machen.

Außerdem betont die Regierung in der Protokollerklärung, dass die Reform vor allem auf "marktmächtige Plattformen" wie Youtube und Facebook zielen solle. Quelloffene Software solle verhindern, dass diese Plattformen "mittels ihrer etablierten Filtertechnologie ihre Marktmacht weiter festigen". Deutschland will eine einheitliche Umsetzung in allen Mitgliedstaaten. Allerdings ist unklar, ob andere Länder mitziehen. Frankreich ist als Copyright-Hardliner bekannt und dürfte kaum für eine abgeschwächte Umsetzung zu gewinnen sein.

Be smart: Das aktuelle Urheberrecht ist 18 Jahre alt. Damals gab es weder Youtube noch Facebook. Eine Reform war also überfällig. Die Richtlinie enthält auch sinnvolle Anpassungen, doch die Bedenken wiegen schwer. Insgesamt dürften eher die Verwerter als die Urheber profitieren, und Artikel 17 könnte ungewollte Auswirkungen haben, deren Ausmaß sich derzeit noch nicht absehen lässt.

Klar ist auch, dass der Streit um die Reform allen geschadet hat. Lobbykämpfe, Beleidigungen, Falschbehauptungen: In den vergangenen Monaten haben viele Menschen das Vertrauen in die Politik verloren. Zumindest eine vage Hoffnung bleibt den Gegner der Reform: Der EuGH könnte Upload-Filter nach 2021 erneut für grundrechtswidrig erklären und Artikel 17 kippen.

Autor: Simon Hurtz

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News Feed + Stories Feed = Hybrid Feed

Was ist: Facebook arbeitet daran, News-Feed-Posts in den Stories Feed zu integrieren. (TechCrunch)

Warum ist das interessant? Noch handelt es sich um einen kleinen, nicht-öffentlichen Test. Es liegt aber auf der Hand, dass Facebook intern bereits die Zeiten für eine Post-Feed-Ära auslotet – Stories befinden sich hinsichtlich der regulären Nutzung weiter on the rise, selbst wenn Werbetreibende Unternehmen im Feed derzeit noch tolle Ergebnisse erzielen.

Wie soll das genau funktionieren?

  • Dieses Gif der Reverse-Engineering-Expertin Jane Manchun Wong zeigt ganz gut, wie Facebook sich das vorstellt.
  • Prinzipiell geht es darum, Inhalte aus dem regulären News Feed in den Stories Feed zu integrieren. Somit würden die Inhalte aus dem News Feed künftig also auch geswiped und nicht gescrollt.
  • Auch kann per Tap geliked werden, respektive direkt im Feed-Karussel mit den Inhalten interagiert werden.
  • Auch bedarf es keines separaten Formats (so wie das bislang bei der Weiterverarbeitung von Posts in Stories war) – Facebook zieht sich einfach die regulären Posts und packt sie in den Stories-Feed.

Be smart: Facebook steht vor dem Problem, dass der News Feed bislang die einzige richtige Gelddruckmaschine für das Unternehmen ist. Wenn nun aber immer mehr Nutzer lieber mit Stories interagieren, somit die umkämpften Eyeballs eher im Stories Feed als im News Feed verweilen, dann muss sich Facebook überlegen, wie sie Werbern den Stories Feed schmackhafter machen.

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Lauschangriff durch Sprachassistenten

Was ist: Die Strafverfolgungsbehörden haben Alexa (und andere Sprachassistenten) als mögliches Ermittlungsinstrument erkannt. Das war mir bislang so noch nicht bekannt und wird in einem sehenswerten Beitrag von RBB beleuchtet.

Warum ist das interessant? Jeder, der einen Sprachassisten zuhause auf dem Wohnzimmertisch stehen hat, sollte wissen, dass er damit potentiell freiwillig Beweismittel gegen sich selbst schafft. Nicht, dass ich davon ausgehen würde, dass unter unseren LeserInnen viele dabei sind, die extrem viel kriminelle Energie besitzen, aber…

Was Gerhart Baum sagt: „Sie tauschen ihre Menschenwürde ein gegen ihre Bequemlichkeit.“

Übrigens: Nicht nur Computer hören mit, wenn NutzerInnen ihre Befehle diktieren. SPON schreibt: „Um die virtuelle Amazon-Assistentin zu verbessern, transkribieren und analysieren Mitarbeiter jeden Tag Tausende von aufgezeichneten Gesprächen. Wird es zu privat, sollen sie offenbar aufhören.“ Klingt überzeugend, oder? Ich meine, das kennt doch jeder: Wenn es so richtig spanennd wird, hört man weg.

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YouTube: King of Mobile Traffic

Was ist: Der mobile Traffic legt weiter zu. Bereits im März ist eine Statistik erschienen, die eindrucksvoll aufzeigt, wie groß vor allem YouTubes Anteil am Mobile Traffic ist.

Warum ist das interessant? Die Statistik unterstreicht die unterschiedlichen Spielarten, wie Tech-Anbieter genutzt werden. Zwei Anmerkungen:

  • Facebook Video ist mobil betrachtet größer als Netflix, obwohl Netflix weltweit für den meisten Traffic verantwortlich ist. Die Zahlen zeigen, dass Netflix eben primär am Rechner, respektive Fernseher genutzt wird – weniger auf dem Smartphone.
  • Facebook und Snapchat liegen gleich auf, was den mobilen Traffic angeht, obwohl Snapchat bedeutend weniger NutzerInnen hat. Die Zahlen untermauern, dass Snapchat sich zurecht als Camera-App positioniert – Videos und Fotos spielen eine extrem große Rolle bei der Kommunikation auf der Plattform.

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Schon einmal im Briefing davon gehört

996 – so lautet die Abkürzung für die in China im Tech-Sektor durchaus üblichen Arbeitsstunden pro Woche. Also von 9:00 Uhr bis 21:00 Uhr an sechs Tagen die Woche. Während das für mich nach absolutem Wahnsinn klingt, ermutigt Alibaba-Chef Jack Ma junge Mitarbeiter, diese Vorgaben „zu umarmen“. (Bloomberg)

Zuckerbergs Security: Gut informierte Watchblog-LeserInnen dürften davon bereits Notiz genommen haben – jetzt hat es noch einmal etwas größer die Runde gemacht: Für die Sicherheit von Mark Zuckerberg wird im Branchenvergleich am allermeisten Geld in die Hand genommen – stolze 20 Millionen Dollar im Jahr 2018. Zum Vergleich: Für Sheryl Sandbergs Sicherheit gibt Facebook „nur“ 3 Millionen Dollar aus. (TechCrunch)

Wider Prokrastination : Wer zur Prokrastination neigt, kann sich jetzt einen Wildfremden auf den Computer holen und sicherstellen, dass die nächsten 50 Minuten maximal produktiv werden. Quasi Chatroulette für fokussiertes Arbeiten. Total absurd. Focusmate heißt die Firma, die das anbietet. Mel Magazine hat einen Artikel zum Thema.

Patente: Super spannend und noch nie drüber nachgedacht: ein Großteil der Buttons und Swipe-Optionen, die wir täglich in den sozialen Medien nutzen, sind patentrechtlich geschützt. Deshalb ist es auch manchmal gar nicht so leicht, ein neues Desing auszurollen. Christie Tang liefert bei OneZero einen spannenden Überblick zum Thema: From Like Buttons to Message Bubbles: The UX Designs You Can’t Use.

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Neues von den Plattformen

 

Facebook

  • Messenger wieder zurück in die Haupt-App: Jane hat wieder zugeschlagen und einen spannenden Test gefunden: so bastelt Facebook derzeit an der Option, einige Messenger-Funktionen wieder in die Haupt-App (Facebook Blue) zu integrieren. Sicherlich bereits eine Vorbereitung auf die Verzahnung aller Messenger. Facebooks Umbau ist in vollem Gange.

Twitch

  • Twitch Sings: Die bei Gamern extrem populäre Live-Streaming-Anwendung Twitch bringt jetzt ihr erstes Game an den Start: Mit Twitch Sings können NutzerInnen Karaoke im Live Stream singen. Der Clou: das Publikum ist dazu angehalten, sich einzubringen und Vorschläge für nächste Titel, Gesten oder Karaoke-Stile (Sing wie eine Katze!) zu unterbreiten. Miau! (TechCrunch)

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Tipps, Tricks und Apps

Podcast-Empfehlung: Streaming und Original Content nimmt auch in unserem Newsletter einen immer größeren Platz ein. Kein Wunder: die Tech-Konzerne investieren Milliarden in ihre Angebote, um die NutzerInnen bei Laune zu halten. Wer Podcasts mag und einen Überblick beim Thema behalten möchte, dem kann ich „Original Content“ von TechCrunch empfehlen. Hier die aktuelle Ausgabe.

Newsletter-Empfehlung: Ebenfalls zum Thema Streaming kann ich Dir den Newsletter von Jannis Schakarian (@netzfeuilleton) ans Herz legen: einmal die Woche fasst der Innovationsmanager von funk alles Wichtige rund um Netflix, Amazon und Co zusammen. Sehr lesenswert, dieser Streamletter!

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One more thing

Irrsinn der Woche: Jeder kennt ja diese kleinen Zettel, die beim Hotel-Checkin ausgefüllt werden müssen. Bitte einmal kurz Namen, Adresse, Geburtsdatum, etc. – die Kollegin macht in der Zwischenzeit schon eimal die Rechnung. Dass diese Transparenz überhaupt sein muss, ist mir eh schon ein Dorn im Auge. Dass sie via Zettel-Wirtschaft stattfindet ebenfalls. Jetzt wird klar: Sicherheitsbehörden lassen deshalb nicht von den Zetteln, weil sie die Möglichkeit schätzen, über Fingerabdrücke und DNA-Spuren auf dem Meldezettel, Gesetzesbrechern auf die Spur zu kommen. What?!! Die WELT hat die ganze Geschichte.

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Header-Foto von Hanny Naibaho bei Unsplash