Was ist: Am Dienstag haben 348 Abgeordnete des EU-Parlaments der EU-Urheberrechtslinie zugestimmt. Die Reform soll das Urheberrecht ans digitale Zeitalter anpassen. Ob das gelingt, ist fraglich. Was sie bereits "geschafft" hat: Monatelange Proteste auszulösen, Hunderttausende Menschen auf die Straßen zu bringen und Teile einer Generation (zumindest kurzzeitig) zu politisieren, der Erwachsene gern nachsagen, sich nur für Smartphones und Markenklamotten zu interessieren.
Warum das wichtig ist: Das aktuelle Urheberrecht ist fast 20 Jahre alt, eine Reform war überfällig. Die neue Richtlinie könnte aber zum Gegenteil von dem führen, was sich viele ihrer Unterstützer erhoffen:
- Sie könnte kleinen Plattformen schaden und große US-Unternehmen stärken.
- Sie könnte fehleranfällige Upload-Filter etablieren und zur Sperrung von legalen Inhalten führen.
- Sie könnte Verwertern, also großen Verlagen und der Film- und Musikindustrie, nutzen, während Urheber, also Künstler, Kreativschaffende und Journalisten, weniger verdienen.
Worauf sich alle einigen können: Völlig egal, was man inhaltlich von der Reform hält, gibt es einen kleinsten gemeinsamen Nenner, dem niemand widersprechen kann: Der Tonfall, in dem in den vergangenen Monaten gestritten wurde, war beschämend. Auf Seiten der Reformgegner gab es Idioten, die prominente Befürworter wie Axel Voss bepöbelt und massiv bedroht haben. Insgesamt war die Stimmung im Netz oft grenzwertig, manchmal wurden Grenzen überschritten.
Das wiederum haben die Befürworter der Reform zum Anlass genommen, alle Kritiker pauschal zu diskreditieren. Sie haben so getan, als käme der Protest nur von wütenden Teenagern aus dem Netz, die einer perfiden Youtube-Kampagne aufgesessen seien und nicht selbst denken könnten. Von einem "Mob", von Bots" und "gekauften Demonstranten" war die Rede – eine krasse Beleidigung für Millionen Menschen, die Petitionen unterzeichnet haben, für Hunderttausende, die demonstriert haben, für Juristen, Informatiker, Datenschützer, Verbraucherschützer, Netzpolitiker und profilierte Urheberrechtsexperten, die allesamt vor den Konsequenzen gewarnt hatten.
Was in der Reform steht: Es ist unmöglich, 32 Artikel in einem Briefing zusammenzufassen. (Technisch ist es natürlich möglich, aber das will niemand lesen.) Deshalb verweise ich auf diese nüchterne Analyse von Friedhelm Greis, der die Richtlinie Artikel für Artikel durcharbeitet. Drei dieser Artikel sind besonders umstritten, auf die ich kurz einzeln eingehe. Im fertigen Gesetzestext sind es Artikel 15, 16 und 17. Besser bekannt sind sie als Artikel 11, 12 und 13, weshalb ich es bei der ursprünglichen Nummerierung belasse.
Artikel 11, das Leistungsschutzrecht: Suchmaschinen und andere Nachrichten-Aggregatoren sollen Presseverlage dafür bezahlen, wenn sie kurze Ausschnitte der Artikel anzeigen. Vergleichbare Gesetze gibt es in Deutschland und in Spanien. Sie sind katastrophal gescheitert und waren für die Medien wegen der Gerichtskosten sogar ein Verlustgeschäft. Auf europäischer Ebene wird das besser funktionieren, behaupten die Verlage. Warum erklären sie nicht. Ob freie Journalisten und Redakteure davon profitieren, ist zweifelhaft. Das Leistungsschutzrecht ist ein Geschenk für die mächtige Verlegerlobby, allen voran Matthias Döpfner und Springer. Peter Altmaier gibt das sogar relativ offen zu.
Artikel 12, die Verlegerbeteiligung: Dieser Artikel ging in der Diskussion lange Zeit etwas unter. Auch er kommt ausschließlich den Verwertern und nicht den Urhebern zugute. 2016 hatte der BGH entschieden, dass Verwertungsgesellschaften wie die VG Wort Einnahmen ausschließlich an die Urheber und nicht mehr an die Verlage ausschütten müssen. Artikel 12 würde die Verlegerbeteiligung in Deutschland wieder einführen. Die Freischreiber, ein Verband freier Journalisten, erklären in einem offenen Brief, warum das unfair ist.
Artikel 13, die Upload-Filter: Oft wurde die gesamte Urheberrechtsreform mit Upload-Filtern gleichgesetzt – obwohl dieses Wort gar nicht im Gesetzestext vorkommt. Ich glaube, dass mittlerweile jeder mindestens zwei bis fünf Texte darüber gelesen hat und spare mir eine neuerliche Erklärung. Stattdessen behelfe ich mir mit zwei Links: Hier erkläre ich, was Upload-Filter sind, und hier kommentiere ich, warum ich sie aus drei Gründen für problematisch halte.
Mein persönliches Fazit: Ich glaube, dass man zwischen den Inhalten der Reform und dem Streit über die Reform unterscheiden muss. Beide sind aus mehreren Gründen ärgerlich bis gefährlich:
- Ich bin nicht sicher, ob Artikel 13 derart katastrophale Auswirkungen haben wird, wie oft zu lesen war. Ich will nicht beschwichtigen: Allein die Tatsache, dass niemand mit Sicherheit ausschließen kann, dass Plattformen Upload-Filter einführen, die wiederum massenhaft Inhalte zu Unrecht löschen, rechtfertigt die Kritik. Es ist mir unerklärlich, wie nach einem derart langen Gesetzgebungsprozess trotzdem eine Richtlinie verabschiedet wird, vor der derart viele renommierte Experten eindringlich warnen.
- Wo ich mir dagegen sicher bin: Die Reform wird in erster Linie den Reichen und Mächtigen nutzen. "Man will Handlungen nicht verhindern, sondern zu Geld machen", schreibt Wolfang Michal. "Doch vom erhofften Geldsegen dürften die Urheber wenig abbekommen."
- Ich musste/durfte die Reform über mehrere Jahre journalistisch begleiten, und was mich dabei am meisten schockiert hat, waren nicht die Inhalte, sondern die Ahnungslosigkeit vieler Politiker, die darüber entscheiden. Zwei Interviews mit Axel Voss sind in den vergangenen Wochen zum Meme geworden, weil er darin ein unfassbares Ausmaß an digitalem Unverständnis offenbart: Marcel Weiß hat das Vice-Interview kommentiert, ich habe das Zeit-Interview annotiert. Ich glaube, dass Voss tatsächlich meint, im besten Sinne der Urheber zu handeln, die es ja tatsächlich immer schwerer haben, mit ihrem geistigen Eigentum Geld zu verdienen. Aber gut gemeint reicht leider nicht.
- Voss ist nur das prominenteste Beispiel einer Reihe von Politikern: Ich habe mehrere Interviews und Hintergrundgespräche geführt, in denen ähnliche Aussagen gefallen sind. Hier entscheiden überwiegend konservative (es gibt Ausnahmen wie die Grüne Helga Trüpel) Wirtschafts- und Kulturpolitiker über Gesetze, die einen Raum betreffen, von dem sie nichts verstehen: das Netz. Das ist traurig und tragisch, weil ihnen nicht klar (oder egal?) ist, welche Auswirkungen ihr Handeln haben kann. Statt auf Experten – teils aus ihren eigenen Parteien – zu hören, tun sie fundierte Gegenargumente pauschal als unbegründet ab, weil es im Netz auch Menschen gibt, die krakeelen und übertriebene Panik schüren.
- Was den Gesetzgebungsprozess angeht, könnten Optimisten sagen: Dieser hitzige Streit war es, der viele junge Menschen erst für das sperrige Thema interessiert hat. Es brauchte die Eskalation, um der Reform die Aufmerksamkeit zu geben, die eine Richtlinie mit potenziell weitreichenden Auswirkungen verdient hat. Für viele Jugendliche war es der erste Kontakt zur Politik. Sie werden ihr Interesse behalten, sich demokratisch beteiligen und wählen gehen, sobald sie alt genug dafür sind.
- Ehrlich gesagt bin ich nicht sicher, ob sich diese Hoffnung erfüllen wird. Ja, am Dienstag war im Netz die Hölle los. Hashtags wie #NieMehrCDU und #GehtWaehlen trendeten. Am vergangenen Samstag habe ich auf der Demo in Berlin viele Jugendliche getroffen, die von Youtubern mobilisiert wurden und das erste Mal auf die Straße gegangen sind. Ich würde mir wünschen, dass dieses Engagement anhält, dass junge Menschen die Zukunftsthemen Netzpolitik und Klimaschutz in die Parlamente tragen und damit Wahlen und politische Entscheidungen beeinflussen. Aber realistisch betrachtet sind Rentner eine deutlich größere Wählergruppe als Artikel-13-Gegner. Wer jetzt #NieMehrCDU schreibt, hat ohnehin noch nie CDU gewählt, und auch 2019 wird Netzpolitik keine Wahl entscheiden.
Wie es jetzt weitergeht: Die Reform ist immer noch nicht endgültig beschlossen. Voraussichtlich am 15. April muss der EU-Rat zustimmen, also die Mitgliedsstaaten – und zwar einstimmig. Die deutsche Justizministerin Barley gilt als Gegnerin von Artikel 13, musste sich bislang aber dem Druck aus dem Kanzleramt beugen. Theoretisch könnte sie auf ein deutsches Nein drängen. Praktisch ist das eher unwahrscheinlich, auch wenn sich die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag noch eindeutig gegen verpflichtende Upload-Filter ausgesprochen hatte. Es wäre allerdings nicht das erste Mal im Laufe des Gesetzgebungsprozesses, dass Dinge passieren, mit denen niemand gerechnet hat.
Falls der Rat zustimmt, müssen die Mitgliedsstaaten die Inhalte binnen zwei Jahren umsetzen: Im Gegensatz zu Verordnungen, die sofort gültig sind, bedarf es bei Richtlinien entsprechenden nationalen Gesetzen. Kurz vor der Abstimmung hat die Union gesagt, dass die bei der nationalen Umsetzung auf Upload-Filter verzichten wolle. Auch das sollte Gegnern nur begrenzte Hoffnung machen: Es dürfte keine Möglichkeit geben, die Auslegung von Artikel 13 in Deutschland zu ändern.
Vielversprechender sind da schon die Klagen, die mehrere Parteien und Organisationen angekündigt haben: Bereits 2012 hat der EuGH Upload-Filter für grundrechtswidrig erklärt. Es wäre nicht das erste Mal, dass Richter Bürger vor Politikern schützen müssen.
Autor: Simon Hurtz
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