Salut und herzlich Willkommen zur 532. Ausgabe des Social-Media-Watchblog-Briefings. Der heutige Newsletter versteht sich als SXSW-Sonderausgabe. Oliver Nermerich, Head of Digital Media bei OSK, war in Austin dabei und hat angeboten, als Gastautor einige der wichtigsten Themen und Trends für das Watchblog zusammenzufassen. Da mich ja keiner eingeladen hatte (Zwinkersmiley), ebenfalls nach Austin zu fliegen, habe ich das Angebot von Oliver gern angenommen. Nächste Woche Dienstag dann wieder eine reguläre Ausgabe! Herzlichen Dank für das Interesse an unserer Arbeit und eine gewinnbringende Lektüre, Martin

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Von Oliver Nermerich

Howdy aus Texas

Am vergangenen Freitag, dem 8. März 2019, startete die SXSW 2019 in Austin, eine der größten Digital- und Kreativkonferenzen der Welt. 1987 fand die Tech-Messe mit insgesamt 700 Teilnehmern zum ersten Mal statt. Heute – 32 Jahre später – pilgern mehr als 75.000 Nerds aus der ganzen Welt in die texanische Metropole. Sie folgen den großen Stars der Digitalbranche, die hier spannende Visionen, Innovationen oder aber auch beängstigende Zukunftsgedanken vor großem Publikum präsentieren. Auch dieses Jahr sind viele von ihnen nach Austin gekommen: so z.B. Buzzfeed-Gründer Jonah Peretti, die Futuristin Amy Webb, Instagram-Gründer Kevin Systrom und Mike Krieger, Film-Mogul Jeffrey Katzenberger, Comedian Trevor Noah oder der US-Polit-Superstar Alexandria Ocasio-Cortez. Ein Überblick über die wichtigsten Themen:

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Medien in der Krise

Buzzfeed-Gründer Jonah Peretti hatte eine der zahlreichen Eröffnungsreden direkt am Freitag (hier bei YouTube als Konserve) . Noch vor wenigen Wochen geriet er in die Schlagzeilen, weil er fast 15 Prozent seiner 1.500 Mitarbeiter entlassen musste. Entsprechend groß war das Interesse der Zuschauer. Für Peretti steht fest: „the media is in crisis“. Und einen Schuldigen hat er hierfür auch ausgemacht – die technischen Plattformen, allen voran Facebook. Seine Lösungsidee liegt auf der Hand: Digitale Medien und technische Plattformen müssen zusammenarbeiten. Digitale Medien haben großartigen Content, aber unzureichende Werbeeinnahmen, die Plattformen hingegen verfügen über hervorragende Werbeeinnahmen, allerdings über schlechten Content, weil sie ihn nicht mehr kontrollieren können. Peretti geht sogar einen Schritt weiter und sagt, dass die Plattformen selbst gerade in der Krise stecken. Selbst Algorithmus-Änderungen, Künstliche Intelligenz und Tausende von menschlichen Moderatoren, sogenannte Cleaner, können die Verbreitung von Falschinformationen oder sittenwidrigen Inhalten nicht verhindern. Die Plattformen brauchen ein gesundes Ökosystem, in dem die Erstellung von guten Content gefördert wird. Ob sich die Plattformen auf engere Kooperationen mit den digitalen Medienhäusern einlassen, bleibt abzuwarten. Auch wenn Peretti in den 60 Minuten seines Vortrags einige neue Buzzfeed-eigene Erlösströme aufzeigen kann, wird eines deutlich: Die Antwort auf die Krise hat Buzzfeed noch nicht gefunden.

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Mobile-Video in Hollywood-Qualität

Die SXSW hat in der Vergangenheit schon so manche Apps zu globalen Netzphänomenen gemacht. 2007 gelang Twitter von hier aus der Durchbruch, 2009 dann Foursquare. Ob die neue App Quibi ebenfalls zum globalen Hit wird, weiß keiner. Vor allem jetzt noch nicht. Die neue Videostreaming-App kommt erst im April 2020 auf den Markt, zunächst in den USA und Kanada. Im Auge behalten sollte man sie dennoch. Hinter der App stecken zwei große Namen: Jeffrey Katzenberger, Gründer von Dreamworks Animation und ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Walt-Disney-Studios sowie Meg Whitman, ehemaliger CEO von Ebay und Hewlett-Packard. Bis heute gelang es den beiden Gründern, schon eine Milliarde Dollar Kapital von u.a. Alibaba und Walt Disney, einzusammeln. Quibi steht für Quick Bites, zu deutsch „Videohäppchen“ und zielt auf eine Marktlücke ab: Quibi will mobilgerechte Inhalte in „Game Of Thrones“-Qualität produzieren, für eine Zielgruppe der 18- bis 35-jährigen. Der Markt für lange Formate (45 bis 90 Minuten) ist bereits unter den etablierten Playern wie Netflix oder Amazon Prime verteilt. Hier kommt man nur schwer dran. Aber nur zehn Prozent der Netflixzuschauer konsumieren Inhalte mobil. Da kommt Quibi ins Spiel. Wie das konkret aussehen könnte, erzählt Katzenberger. „Es gibt bislang noch keine Show auf Streaming-Plattformen, die die besten Szenen aller Late-Night-Shows des Vorabends in einem fünf- oder zehn-Minuten-Clip – z.B. für die Bahnfahrt – täglich zusammenfasst.“ Zudem plane Katzenberger eine mehrteilige Show mit Jennifer Lopez und eine Miniserie „Frat Boy Genius“ (Fast Company), in der es um das Leben und die Karriere von Snapchatgründer Evan Spiegel geht. Insgesamt sollen 5.300 Minifilme über die Plattform flimmern.

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Privacy is dead, Voice on the rise

Ein Highlight dieses Jahr war der Vortrag von Amy Webb, Professorin an der Universität New York und Gründerin des “Future Today Institute”. Webb stellte in Austin die zwölfte Ausgabe ihres alljährlichen Tech Trends Report vor, der mit insgesamt 315 Tech- und Wissenschaftstrends und 48 Szenarien so umfangreich und beängstigend wie nie zuvor ist. Die zentrale Prognose: Deine Privatsphäre ist tot. Wer denkt, er sei noch unbeobachtet, irrt sich. Ob Facetracking, die eigenen Smartphoneaktivitäten, die Pulsmessungen durch Wearables oder Mitschnitte durch Sprachassistenten im eigenen Heim – alles wird gespeichert und die Daten landen auf den Servern der Techkonzerne. Neu dabei sind die sogenannten Biodaten, sprich Daten über die körperliche Gesundheit. Amazon gilt hier als Vorreiter. Der Techriese hat ein Patent für eine AI-basierte Technologie eingereicht, die es Alexa ermöglicht, die körperliche und emotionale Verfassung von Menschen anhand ihrer Stimmlagen zu erkennen und dem Patienten schnell die richtige Medizin zur Verfügung zu stellen. Künftig verarbeiten und speichern nicht nur Sprachassistenten solche biologischen Daten, sondern auch Kleidung oder gar eine Yogamatte, so Webb in Austin. Ende 2020 spätestens, so prognostiziert die Forscherin, werde die Hälfte aller Interaktionen zwischen Nutzer und Computer über Sprache ablaufen. Sprechen ersetze das Tippen. Ob Publisher, Marketingverantwortliche oder der Handel – sie alle müssen sich künftig mit VSO (Voice Search Optimization) auseinandersetzen.

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Heftige Kritik an Tech-Konzernen

Webbs Prognosen machen Hoffnung, schüren aber auch Ängste. Die Gefahr ist groß, dass die vorhandenen Techniken und die Millionen von Daten durch die Tech-Konzerne mißbraucht werden könnten. Die Kritik gegenüber der großen Techplattformen, allen voran gegenüber Facebook, ist hier in Austin so laut wie nie zuvor. Nicht zu unrecht, führt man sich die Datenskandale der Unternehmen aus den vergangenen Monaten vor Augen. Die US-Senatorin Elizabeth Warren z.B. fordert in Austin die Aufspaltung (Medium / Team Warren) der Techunternehmen und erntet dafür langen Applaus. Warren wünscht sich, dass Fusionen rückgängig gemacht werden: Facebook solle sich z.B. von Instagram und WhatsApp trennen, Amazon von Whole Foods. Auch ihre Kollegin Amy Klobuchar fordert auf der SXSW-Bühne mehr staatliche Regulierung. Die großen Techkonzerne respektieren nicht die Privatsphäre der Nutzer, so die Senatorin. Die üblicherweise gefeierten Tech-CEOs haben in Austin starke Konkurrenz von kritischen Politikern, zum Teil auch aus Europa, bekommen. Sind Politiker die neuen Stars der SXSW? (Spiegel Online)

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"Es ist kein Verbrechen, groß zu sein"

Speziell vor diesem Hintergrund war auch der Auftritt der beiden Gründer von Instagram, Kevin Systrom und Mike Krieger, spannend. Beide hatten den Konzern im September 2018 überraschend verlassen. Die große Frage: Stimmen Sie den Zerschlagungsplänen der Politik zu? Oder stellen sie sich dagegen. Auf der Bühne verteidigt Systrom seine Industrie: „Es ist kein Verbrechen, groß zu sein!“ Zerschlagungen würden aus seiner Sicht nicht helfen, stattdessen nur das Anti-Tech-Gefühl verstärken – und das helfe keinem. Stattdessen: Die Fusion mit Facebook habe dem Instagram-Nutzer viele neue Features eingebracht (The Verge) und trotz Monopolstellung Innovationen geschaffen, so Systrom. Auf die andere große Frage, was sie denn als nächstes planen, wollten Systrom und Krieger noch keine Antwort liefern. Zur Zeit studieren sie noch intensiv das Nutzerverhalten und verschiedene Potenziale.

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Header-Foto von Lily Banse bei Unsplash