Salut und herzlich Willkommen zur 522. Ausgabe des Social Media Watchblog Briefings. Heute blicken wir aus gegebenem Anlass erneut auf Artikel 13. Zudem widmen wir uns der Übernahmen von Gimlet und Anchor durch Spotify und Facebooks ersten Schritten in Sachen Messenger-Vereinheitlichung. Dazu gibt es wie immer zum Ende der Woche zahlreiche Lesetipps fürs Wochenende. Wir wünschen eine gewinnbringende Lektüre und danken für die Aufmerksamkeit! Simon & Martin

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EU-Urheberrecht: Kommen die Upload-Filter doch noch?

Was ist: In den kommenden Tagen entscheidet sich, ob sich die EU-Mitgliedstaaten auf ein gemeinsames Urheberrecht einigen können. Es ist die vermutlich letzte Chance, die Reform vor der Europawahl im Mai zu verabschieden. Das kommt überraschend: Noch Mitte Januar galten die Verhandlungen als gescheitert.

Warum das wichtig ist: Die Reform ist heftig umstritten. Das liegt vor allem an zwei Artikeln: 11 (Leistungsschutzrecht) und 13. Letzterer macht bestimmte Online-Plattformen direkt haftbar, wenn Nutzer Inhalte hochladen, die Rechte Dritter verletzen. Bislang gilt für diese Plattformen das Providerprivileg. Sie müssen also erst tätig werden, wenn sie Kenntnis über den Rechtsverstoß erlangen, weil die Rechteinhaber sie darauf hinweisen. Viele Politiker und Experten fürchten, dass Plattformen dann Upload-Filter installieren müssen, um alle Inhalte vorab zu prüfen.

Warum Upload-Filter so umstritten sind: Artikel 13 könnte das Gegenteil von dem bewirken, was die Reform-Befürworter beabsichtigen: weniger Vielfalt, weniger Kreativität, weniger Netzkultur. "Upload-Filter sind eine Schnapsidee", habe ich im vergangenen Jahr kommentiert, als das Parlament über den damaligen Entwurf abstimmte (SZ).

Das ist der Verhandlungsstand: Deutschland und Frankreich haben sich bei der Formulierung von Artikel 13 auf einen neuen Kompromissvorschlag (PDF) geeinigt. Er schließt Plattformen unter bestimmten Voraussetzungen von der Pflicht aus, vorab zu filtern. Das gilt für nicht-kommerzielle Anbieter und kommerzieller Anbieter, die weniger als drei Jahre auf dem europäischen Markt aktiv sind, weniger als zehn Millionen Euro Jahresumsatz erzielen und weniger als fünf Millionen monatlich aktive Nutzer haben.

Das ist die Kritik am Kompromissvorschlag: Piraten-Politikerin Julia Reda hält die neue Version von Artikel 13 für "schlimmer als je zuvor". Unzählige harmlose Apps und Webseiten müssten Upload-Filter installieren, etwa das Heise-Forum (älter als drei Jahre) oder der Dienst Patreon (erfüllt keine der drei Kriterien), dessen Daseinszweck darin besteht, Urhebern ein faires Auskommen zu sichern. Noch drastischer wird Mike Masnick bei Techdirt, der sich vor allem darüber empört, dass selbst dieser "lächerliche" Entwurf den Hardlinern noch nicht "idiotisch genug" sei. Tatsächlich hat der konservative Verhandlungsführer Axel Voss gesagt, dass ihm die Ausnahmen zu weit gingen und er das nicht akzeptieren könne.

Wie geht es weiter: Am 11. Februar findet die letzte Trilog-Verhandlung statt. Wenn sich EU-Rat, Parlament und Kommission einigen und die neue Fassung akzeptieren, könnte das Parlament die Richtlinie im März oder April verabschieden. Dafür müssen mindestens 16 von 28 Ländern zustimmen, die zusammen mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung ausmachen, wie Patrick Beuth schreibt (Spiegel Online). Sollte es vor der Wahl keine Einigung geben, steht die gesamte Reform auf der Kippe.

Be smart: Um das Urheberrecht tobt eine heftige Lobbyschlacht. Auf beiden Seiten mischen Großkonzerne mit: Da mobilisert Youtube-Chefin Susan Wojcicki schon mal die Youtuber gegen die Reform, während milliardenschwere Labels und Verlage ihrerseits Prominente wie Placido Domingo und Paul McCartney einfliegen lassen, die in Brüssel die Abgeordneten überzeugen sollen. Reda ist eine der profilitiersten Kritikerinnen und die Anführerin der Reform-Gegner. Sie weiß, wie PR funktioniert, und nutzt gern drastische Worte und Worst-Case-Szenarien. Als Politikerin, die eine Mehrheit organisieren will, ist das aber ihr gutes Recht, zumal die Gegenseite mindestens genauso Stimmung macht. Ich halte es für sinnvoll, die Aussagen der Befürworter und Gegner sorgfältig zu prüfen und sich ein eigenes Bild zu machen. Mein derzeitiger Eindruck: Die Urheberrechtsreform enthält sinnvolle und überfällige Änderungen – aber Artikel 13 ist auch nach vielen Überarbeitung derart vermurkst, dass es gut wäre, nach der Europawahl von vorne anzufangen.

Autor: Simon Hurtz

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Kampf gegen Desinformationen

Facebooks neue Fact-Checking-Partner: Wie in Ausgabe #521 gezeigt, haben die Fact-Checker von Snopes die Facebook-Partnerschaft aufgekündigt. An ihrer Stelle werden künftig die Macher von Lead Stories tätig. Hier ist ihr Blogpost zur Zusammenarbeit. Zwar sieht die Seite von Lead Stories selbst aus wie eine Fake-News-Website, aber ihre Arbeit scheint solide. Mal sehen, wie das in den kommenden Monaten grundsätzlich weiter geht an der Fact-Checker-Front.

Fraunhofers Anti-Fake-AI: Das Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie hat ein Tool entwickelt, das via Machine Learning helfen soll, Desinformationen zu entlarven. Primär konzentriert sich das Tool auf Twitter. Aber auch Websites würden ausgewertet. Hier ist die Mitteilung zum Tool: Software für die automatisierte Erkennung von Fake News. (Forschung Kompakt)

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Spotify wirbelt die Podcast-Landschaft durcheinander

Was ist: Der Streaming-Anbieter Spotify übernimmt das Podcast-Label Gimlet Media und den Podcast-Hoster Anchor. Der Kaufpreis für Gimlet soll bei etwa 230 Millionen US-Dollar liegen.

Warum das wichtig ist: Lange Zeit hatten es Audio-Inhalte im Netz im Vergleich zu Texten und vor allem Videos schwer. Der Deal zeigt, dass Podcasts endgültig im Mainstream angekommen sind – oder zumindest, dass ein großes Unternehmen eine Menge Geld darauf wettet, dass das bald der Fall sein wird. Es ist die mit Abstand größte Übernahme im Podcasts-Bereich, und vermutlich ist das erst der Anfang: Spotify will 2019 eine halbe Milliarde in Podcasts investieren(Recode). CEO Daniel Ek vermutet, dass Podcasts bald ein Fünftel der Spotify-Nutzung ausmachen könnten(Newsroom Spotify).

Wie sich die Podcast-Szene verändern könnte: Spotify wird versuchen, mit exklusiven Inhalten Abonnenten anzulocken, um sich auf dem umkämpften Musikstreaming-Markt ein Alleinstellungsmerkmal zu sichern. Bislang unterscheiden sich Anbieter wie Apple, Google oder Amazon allenfalls durch die Bedienung, aber kaum durch ihr Angebot. Derzeit sind fast alle Podcasts kostenlos abrufbar. Hörer können frei wählen, ob sie Apple Podcasts, Spotify, Stitcher oder eine der zahlreichen 3rd-Party-Apps zum Abonnieren verwenden. Das könnte sich ändern: Wer künftig Gimlet-Podcasts wie das grandiose Reply All hören möchte, wird womöglich Spotify-Kunde werden müssen.

Zum Weiterlesen: Podcasts sind ein digitales Thema, haben mit Social Media aber nur am Rande zu tun. Deshalb überfrachten wir das Briefing nicht mit fremden Themen und verweisen stattdessen auf KollegInnen, die sich noch besser damit auskennen:

  • Marcel Weiß ordnet die Übernahme aus wirtschaftlicher Sicht ein und wagt eine spannende Prognose: "Anchor hat das Potenzial, als die wichtigste Übernahme in der Geschichte von Spotify zu gelten. Die Chancen stehen hoch, dass wir hier ein vergleichbar gutes Paar sehen wie einst Google-YouTube und Facebook-Instagram." (Neunetz)
  • Meike Laaf fasst alle wichtigen Informationen zur Übernahme in acht Absätzen zusammen und zeichnet den Podcast-Boom der vergangenen Jahre nach. Wer sich damit auskennt, lernt nichts Neues. Wer um Podcasts bislang einen Bogen gemacht hat, findet hier einen guten Einstieg. (taz)
  • Was wir mit dem Social Media Watchblog versuchen, macht Nick Quah mit Hot Pod: Zusammen mit Caroline Crampton schreibt er einen Newsletter nur über Podcasts. Das ist bisweilen ganz schön nerdig, aber sehr hilfreich, wenn man sich für die Podcast-Szene interessiert. Der Gimlet-Übernahme hat er eine Sonderausgabe gewidmet und seine Analyse erweitert (Nieman Lab), als bekannt wurde, dass Spotify auch Anchor schluckt. Den Newsletter könnt ihr auf seinem Blog abonnieren, die meisten Ausgaben veröffentlicht er außerdem beim Niemand Lab.
  • Wo wir schon bei Newsletter-Empfehlungen sind: Fast noch lieber mag ich "Hören/Sagen" von Sandro Schröder. Während Nick vor allem die wirtschaftliche Entwicklung der Szene beleuchtet, schreibt Sandro auch regelmäßig über Inhalte, rezensiert neue Produktionen und empfiehlt Podcasts, die ihm gut gefallen. Ich bin mir ganz sicher, dass es in der nächsten Ausgabe auch um Spotify, Gimlet und Anchor gehen wird. Neugierig? Anmelden!

Autor: Simon Hurtz

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Der Anfang wird gemacht

Was ist: Facebook arbeitet daran, die Messenger-Funktionen von Instagram- und Facebook-Business-Pages zusammenzulegen.

Warum ist das interessant? Wie vor einigen Wochen bekannt wurde, möchte Facebook die technische Infrastruktur von WhatsApp, Instagram Direct Messages und Facebook Messenger zusammenlegen. Die Verzahnung der Business-Pages scheint nun ein erster Schritt.

Warum macht Facebook das? Im Earnings Call erklärt Mark Zuckerberg, dass es jede Menge Szenarios gibt, die das Vorhaben rechtfertigen würden. So wäre etwa im asiatischen Raum Facebook Marketplace sehr populär, gleichzeitig jedoch WhatsApp die dominante App für direkte Kommunikation. Nutzern nun die Option zu geben, über Plattformen hinweg miteinander schreiben zu können, scheint deshalb für Facebook lukrativ.

Die Dimension:

  • 150 Millionen Menschen kommunizieren bei Instagram jeden Monat mit Business-Accounts.
  • Beim Facebook Messenger schicken sich Nutzer und Business-Accounts monatlich 10 Milliarden Nachrichten.

Quelle: Sara Fischer / Axios

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Snapchat legt ermutigende Zahlen vor

Was ist: Snap Inc hat die Zahlen für das vierte Quartal vorgelegt (SNAP). Zwar sind die Verluste immer noch enorm, sehr wohl aber hatten Analysten mit viel schlechteren Ergebnissen gerechnet (FT).

Einige Zahlen im Überblick:

  • Der Umsatz konnte auf 390 Millionen Dollar gesteigert werden. Zum Vergleich: Facebook hat im gleichen Zeitraum 16,9 Milliarden Dollar Umsatz erzielt.
  • Die Netto-Verluste belaufen sich bei Snap Inc auf 192 Millionen Dollar. Zum Vergleich: Facebook erzielte im gleichen Zeitrauem 6,9 Milliarden Dollar Gewinn.
  • Snapchat zählt etwa 186 Millionen täglich aktive Nutzer. Zum Vergleich: Im zweiten und dritten Quartal 2018 hatte Snapchat jeweils Nutzer verloren, in Q4 konnten sie die Nutzer halten.
  • Über 300.000 Lenses wurden von der Snapchat-Community kreiert.
  • Das Snapchat-Original „Dead Girls Detective Agency“ konnte 14 Millionen Unique Viewers verbuchen.
  • NBC News hat mit seiner Show „Stay Tuned“ 25 bis 30 Millionen Snapchatter erreicht.

Be smart: Snapchat steht weiter enorm unter Druck. Einerseits macht Facebook ihnen auf der Messenger-Seite enorm zu schaffen. Andererseits schickt sich TikTok an, Snapchat in Sachen Short-Video-Unterhaltung herauszufordern. Mehr dazu die Tage.

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Lesetipps fürs Wochenende

Versicherungen und Social Media: Solange keine Diskriminierung vorliegt, können Versicherungen Prämien anbieten, für die unter anderem auch das Social-Media-Verhalten ausgewertet wird. Wer also immer fleißig Fotos aus dem Gym postet und bei der nächtlichen Kneipentour das Smartphone daheim lässt, ist auf der günstigen Seite. (Forbes)

Capitalism’s New Clothes: Shoshana Zuboff hat den Begriff Überwachungskapitalismus zwar nicht erfunden, ihn aber sehr wohl maßgeblich in die Diskussion um die Geschäftsmodelle der Valley-Riesen eingeführt. In ihrem neuen Buch „Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“ diskutiert die Harvard-Ökonomin in epischer Breite die Macht der Tech-Giganten und erklärt, warum Menschen nur noch als Lieferanten von Verhaltensdaten fungieren. Evgeny Morozov beschreibt bei The Baffler, warum das Buch so spannend ist – und wo Zuboffs Argumentation etwas verkürzt ist: Capitalism’s New Clothes.

Was Facebook alles macht: Die WIRED hat mit großer Sorgfalt aufgeschrieben, was Facebook – das Unternehmen – alles macht. Ich kenne wirklich keinen vergleichbar kompakten Überblick über all die Geschäftsfelder von FB – ein Lese- und Bookmark-Tipp zugleich.

Fortnite ist die Zukunft: Der werte Kollege Mathias Schumacher hat mir diesen wirklich spannenden Redef-Essay zur Zukunft von Social Media, Medien und Gaming empfohlen. Autor Matthew Ball stellt dar, warum Games wie Fortnite nicht nur für Streaming-Anbieter wie Netflix, sondern auch für Social-Media-Unternehmen zu einer echten Bedrohung werden könnten. Wer mitbekommen hat, dass jüngst rund 10 Millionen Nutzer einem Ingame-Konzert bei Fortnite beiwohnten, kriegt eine Idee von der Dimension, um die es hier geht. Die Welt ist ein (Fortnite-) Dorf.

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Neues von den Plattformen

Facebook Messenger

  • Unsend Feature: Jetzt ist es also soweit: Das Unkend-Feature kommt. Künftig können Facebook-Nutzer bis zu zehn Minuten nach dem Absenden einer Nachricht, die Nachricht wieder einfangen. The Verge erklärt, wie das genau funktioniert.

YouTube

  • Explore- und „On the rise“-Tab: YouTube arbeitet weiter an Optionen, um Nutzern noch mehr Inhalte schmackhaft zu machen. Das von Instagram abgekupferte Explore-Tab wird dafür jetzt auf mehr Geräten angeboten, ein „On the rise“-Tab macht auf Video-Produzenten aufmerksam, die bislang weniger als 10k Abonnenten haben. Hier die Infos en Detail. (Techcrunch)

Periscope

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Tipps, Tricks und Apps

Twitter kondo: Marie Kondō hat mit ihrer Aufräumanleitung bei Millionen Menschen einen Nerv getroffen (Wikipedia). Wenig überraschend also, dass ihre Methode nun auch den Weg ins Netz findet. Genauer gesagt zu Twitter. Dort gibt es jetzt dank des KonMari-Tools die Option, einmal richtig auszumisten: wer keine Freude bringt, wird entfolgt (oder landet in einer Liste). WIRED hat die Geschichte, hier ist das Tool: tokimeki-unfollow.glitch.me

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One more thing

When seeing is no longer believing: Das wertvollste Startup in Sachen AI, Sense Time, kommt aus China, macht nicht nur in Face Recognition, sondern bietet auch ein sogenanntes "Beautification-Feature" und einen Filter, um Livestream-Nutzer schlanker aussehen zu lassen. Wie schön! #nicht (Abacus News)

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Header-Foto von Andre Benz bei Unsplash