Zum Inhalt springen
10 Min. Lesezeit Facebook

Abschied vom News Feed, Social Media und Midterms, Gab is back | Ausgabe #500

Salut und herzlich Willkommen zur 500. Ausgabe des Social Media Watchblog Briefings! 500 Ausgaben, unglaublich… Aber bevor wir jetzt in Erinnerungen schwelgen, uns über die Schnittchen hermachen und voller Euphorie in die Zukunft blicken, zunächst einmal die wichtigsten Themen des Tages: Wir blicken heute auf Facebooks Abschied vom News Feed als Kernprodukt, die Rolle der Social-Media-Unternehmen bei den US-Midterms und soziale Netzwerke der Rechten. Herzlichen Dank für das Interesse und die Wertschätzung unserer Arbeit, Martin & Simon

[line]
[gap size=“40px“]

Facebooks Abschied vom News Feed als Kernprodukt

Was ist: Der News Feed war über Jahre hinweg das wichtigste Produkt für Facebook. Der News Feed war für die Nutzer der Grund, Facebook zu öffnen. Der News Feed war für Werber der Grund, Anzeigen bei Facebook zu schalten. Jetzt sieht es so aus, als würde sich Facebook sukzessive vom News Feed als Kernprodukt der Plattform verabschieden.

Die Gründe für den langsamen Abschied vom News Feed: Bereits vor über einem Jahr hatte ich gemutmaßt, dass Facebook sich von der Idee eines universellen News Feeds verabschieden würde. Der damalige Test, einen zweiten Feed einzuführen, der nur mit Posts von öffentlichen Facebook-Seiten gespeist wurde, zeugte bereits von der großen Not bei Facebook: der eigentliche News Feed war für die Nutzer nicht mehr funktional. Dass Facebook sich nun tatsächlich vom News Feed als Kernprodukt löst, hat mehrere Gründe:

Die Alternativen zum News Feed

Der größere Zusammenhang: Social-Media-Unternehmen wachsen nicht mehr so schnell wie früher. Manchmal wachsen sie überhaupt nicht mehr. Und wenn es ganz schlimm kommt, dann schrumpft ihre Nutzerzahl sogar. (Recode) Das stellt sie vor enorme Probleme:

Facebooks neue Werbeplätze: Um weiter den Erwartungen der Börse gerecht zu werden, muss Facebook wachsen. Das funktioniert nur über kontinuierlich steigende Werbeerlöse. Da der News Feed für viele Nutzer nicht mehr funktional ist, sie lieber Messenger, Gruppen oder Stories nutzen, arbeitet Facebook mit Hochdruck daran, eben jene Produkte ebenfalls zu Geld zu machen, respektive mit Werbung zu versehen. Das funktioniert aber sowohl in Sachen Video-Werbung noch nicht so, wie es Facebook vom News Feed gewohnt ist (Recode). Und auch Stories scheinen noch weit entfernt davon, ähnliche Margen zu erzielen (Stratechery). Erste Schritte in diese Richtung sind etwa die angekündigte Werbung bei WhatsApp (heise) oder das Boosten von Stories bei Instagram (Techcrunch).

Be smart: Facebook könnte bereits in wenigen Jahren komplett anders aussehen: denkbar wäre etwa, dass der einstige universelle News Feed, der Nutzer jedes Mal aufs Neue begrüßt, sobald die App geöffnet wird, gegen eine Art Überblicksseite ausgetauscht wird, die Nutzern die wichtigsten „Stories“-Stories, die neuesten Beiträge aus Gruppen, die aktuellsten Meldungen aus der Region (Today In), die aktuellsten Livestreams, die neuesten Shows (Watch) und die wichtigsten Events anzeigt. Für Publisher stellt sich dann die Frage, ob und wie sie dort noch eine Rolle spielen werden.

Ruhig Blut: Aktuell verdient Facebook noch märchenhafte Summen über den News Feed, keine Frage. Und dennoch: Als Kernprodukt scheint er langfristig nicht mehr zu retten zu sein.

[line]
[gap size=“40px“]

Social Media & die Midterms

Was ist: Heute stehen die Midterms in den USA an. Die Wahl hat das Potential, die politische Landschaft in den USA zu verändern (Tagesschau). Genau deshalb ist die Mobilmachung enorm. Social-Media-Unternehmen spielen dabei eine extrem große Rolle. Ein Überblick.

Wie die Midterms und Social Media zusammenhängen:

Warum ist das interessant?

Stichwort Wählermobilisierung

Stichwort Wahlsicherung

Stichwort Wahlwerbung

Für echte Experten: Wer sich noch viel ausführlicher mit dem Thema Desinformation bei den Midterms beschäftigen möchte, der sollte diese Artikel-Reihe von Jonathan Albright lesen. (Medium / d1gi)

Be smart : Natürlich sind die Social-Media-Unternehmen bei weitem nicht die einzigen, die zum Wahlgang ermutigen (CBS News). Sehr wohl aber haben sie die notwendigen Daten, um gezielt zu beeinflussen. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Ich kann mir nicht vorstellen, dass eins der Unternehmen aktiv in den politischen Willensbildungsprozess eingreifen möchte – das wäre im Zweifelsfall nur schlecht fürs eigene Geschäft. Sehr wohl kann ich mir aber vorstellen, dass etwa bei der Implementierung eines „I-Voted“-Buttons nicht alle Eventualitäten mitbedacht wurden. Wer also ist eigentlich in der Lage, diejenigen zu kontrollieren, die sich selbst auf die Fahnen schreiben, die Integrität der Wahlen zu sichern?

By the way: Facebook zieht eine Anzeige von Trump zurück, weil sie nicht den Werberichtlinien entsprach. Oder mit anderen Worten: weil sie rassistisch war. Das Traurige daran: Wäre es keine Anzeige gewesen, sondern ein regulärer Post, dann hätte das Video auf Plattform bleiben können. (CNN) Update: Genau das ist jetzt natürlich passiert und es wird wie verrückt rumgereicht. (The Hill)

[line]
[gap size=“40px“]

Rechte Netzwerke: Gab ist wieder da

Was ist: "Goodbye Gab, ein Rückzugsort der extremen Rechten", schrieb Wired Ende Oktober. Die Zwangspause hat nur gut eine Woche gedauert. Der Tummelplatz der Verschwörungstheoritker, Rassisten und Antisemiten ist zurück im Netz (The Verge).

Was steckt dahinter? Der Attentäter, der in einer Synagoge in Pittsburgh elf Menschen erschoss, hatte auf Gab antisemitische Hassbotschaften verbreitet. Euphemistisch ausgedrückt legt die Plattform die Meinungsfreiheit sehr weit aus – tatsächlich duldet Gab auch eindeutig strafbare Inhalte (einen guten Explainer gibt es bei Vox. Daraufhin sperrten Paypal, Joyent, Stripe, Godaddy, Medium, Shopify und andere Dienste die Konten, die Gab bei ihnen genutzt hatte. Zuvor hatten bereits Google, Apple und Microsoft Gab verbannt. Nun gibt der US-Domain-Name-Registrar Epik Gab eine neue Heimat, aus Gab.ai wird Gab.com. In einem Blogeintrag begründet der Epik-Chef die Entscheidung, er sieht Gab als Zensur-Opfer (Epik).

Warum ist das interessant? Der Streit um Gab steht exemplarisch für einige der wichtigsten Fragen des digitalen Zeitalters: Wo endet die Meinungsfreiheit? Wie stark sollten Unternehmen Inhalte moderieren? Wer soll entscheiden, was gesagt werden darf? Ähnlich wie bei der rechtsradikalen Seite The Daily Stormer, die im vergangenen Jahr offline ging (The Verge), liegt die Entscheidung bei Web-Hostern wie Godaddy, die die Infrastruktur des Netzes bereitstellen. In beiden Fällen mag die Entscheidung aus deutscher Perspektive eindeutig sein – Gab und The Daily Stormer bieten Menschen und Meinungen eine Plattform, die sich jenseits des deutschen Rechts bewegen. Bereits nach wenigen Minuten war die Seite wieder voller Antisemitismus (HuffPo). Doch den US-Amerikanern ist die Meinungsfreiheit heilig. Im Sommer begründete Mark Zuckerberg, selbst Jude, warum er auf Holocaustleugnung auf Facebook nicht löschen will. (Recode) Das gilt nicht für Deutschland, hier ist Holocaustleugnung ein Straftatbestand und muss entfernt werden. Diese Ansicht ist in den USA mehrheitsfähig, und dementsprechend kontrovers wird dort über die angebliche Gab-Zensur diskutiert.

Be smart: Es ist sinnvoll, Rechtsextremen die Plattformen zu entziehen. Kein Unternehmen ist verpflichtet, ihnen einen Rückzugsort zu bieten, wo sie sich vernetzen und ihre Menschenverachtung in die Welt hinaus posaunen können. Ebenso gilt aber: Im Internet werden solche Akteure immer einen Platz finden. Je strikter Facebook, Twitter und Youtube ihre Community-Standards durchsetzen, desto mehr Zulauf werden Netzwerke wie Gab oder der rechtsextreme Reddit-Klon Voat (medium / dfrlab) erhalten. Immer mehr Verfassungsfeinde nutzen geschlossene Facebook-Gruppen oder Messenger wie Whatsapp und Telegram, wo Ermittler und Journalisten nicht mitlesen können. Der Hass verschwindet nicht, er wird nur weniger sichtbar. Chemnitz hat gezeigt, dass Rechtsextreme auch auf geschlossenen Plattformen mobilisieren können.

[line]
[gap size=“40px“]

Tipps, Tricks und Apps

NPR Trainings: Das ist wirklich fantastisch, was NPR da immer auf die Beine stellt. Auf der Website NPR Trainings finden sich eine ganze Reihe von Tutorials für Journalisten und Medienmacher, die wirklich nützlich sind: von Teaser-Texte-Schreiben bis zum Abmischen von Audio. Ein Bookmark wert.

Headliner: Die App Headliner bietet sich an, um aus Audio-Material Videos für Facebook, Twitter und Instagram zu kreieren. Kinderleicht.

Instagram Stories: Sowohl die App Unfold als auch Storrito lassen sich nutzen, um Stories für Instagram zu bauen. Unfold hat die spannendere Geschichte. (CNBC)

[line]
[gap size=“40px“]

Danke!

500 Ausgaben! Das ist wirklich eine Hausnummer! Aber noch viel großartiger sind die sieben wunderbaren KollegInnen (Anna, Isabell, Simon, Christian, Jan, Tilman und Konrad), ohne die das Briefing nie so gewachsen wäre. Ebenfalls von unfassbarer Großartigkeit sind die weit über 5000 Menschen, die unseren Newsletter über all die Jahre ausprobiert haben! Allergrößte Freude empfinde ich auch, wenn ich an die rund 600 Steady-Abonnenten und die 1200 KollegInnen vom ZDF, Vice Deutschland, WDR, SWR, SZ, RBB, Deutsche Welle, SRF, G+J, Gründerszene, Deutsche Messe, Reichelt Elektronik, MDR, NDR und Infonetwork denke, die es ermöglichen, dass das Social Media Watchblog Briefing kein ehrenamtliches Projekt mehr ist, sondern mein Beruf! Herzlichen Dank an alle, die uns unterstützen und unsere Arbeit wertschätzen und uns weiterempfehlen! Auf die nächsten 500 Ausgaben 🚀! Merci, Martin