Salut und herzlich Willkommen zur 500. Ausgabe des Social Media Watchblog Briefings! 500 Ausgaben, unglaublich… Aber bevor wir jetzt in Erinnerungen schwelgen, uns über die Schnittchen hermachen und voller Euphorie in die Zukunft blicken, zunächst einmal die wichtigsten Themen des Tages: Wir blicken heute auf Facebooks Abschied vom News Feed als Kernprodukt, die Rolle der Social-Media-Unternehmen bei den US-Midterms und soziale Netzwerke der Rechten. Herzlichen Dank für das Interesse und die Wertschätzung unserer Arbeit, Martin & Simon
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Facebooks Abschied vom News Feed als Kernprodukt
Was ist: Der News Feed war über Jahre hinweg das wichtigste Produkt für Facebook. Der News Feed war für die Nutzer der Grund, Facebook zu öffnen. Der News Feed war für Werber der Grund, Anzeigen bei Facebook zu schalten. Jetzt sieht es so aus, als würde sich Facebook sukzessive vom News Feed als Kernprodukt der Plattform verabschieden.
Die Gründe für den langsamen Abschied vom News Feed: Bereits vor über einem Jahr hatte ich gemutmaßt, dass Facebook sich von der Idee eines universellen News Feeds verabschieden würde. Der damalige Test, einen zweiten Feed einzuführen, der nur mit Posts von öffentlichen Facebook-Seiten gespeist wurde, zeugte bereits von der großen Not bei Facebook: der eigentliche News Feed war für die Nutzer nicht mehr funktional. Dass Facebook sich nun tatsächlich vom News Feed als Kernprodukt löst, hat mehrere Gründe:
- Die User Experience: Für die Nutzer scheint der News Feed schon lange nicht mehr das zu sein, was er einst war. Früher konnten Nutzer etwas im News Feed posten, um sich allen Freunden gleichermaßen mitzuteilen, anstatt ihnen auf der jeweiligen Personen-Seite schreiben zu müssen. Ein echter Mehrwert damals. Doch heute stehen ihre Postings im unmittelbaren Wettbewerb mit all den werblichen und politischen Botschaften, die im News Feed um die Aufmerksamkeit der Nutzer buhlen. Wer sich Freunden mitteilen möchte, sucht sich lieber eine Alternative als darauf hoffen zu müssen, dass die eigene Botschaft auch wirklich ankommt.
- Die politische Dimension: Die Funktionsweise des News Feeds ist die Grundlage für all den Wahnsinn, der uns tagtäglich in Sachen Hasskommentare und Desinformationen ereilt. Weil der dem News Feed zugrundeliegende Algorithmus nun einmal die längste Zeit vor allem das belohnte, was auf- und erregt, entwickelte sich der News Feed zu jenem hässlichen Ort, der von der Politik immer stärker beäugt wird und Anlass für Politiker aller Lager ist, über eine sehr viel stärkere Regulierung Facebooks nachzudenken.
Die Alternativen zum News Feed
- Messenger: Aus Nutzersicht ist es viel interessanter, einen Messenger zu nutzen, um sich anderen mitzuteilen – egal ob man einen Text, ein Link, ein Foto oder ein Video verschicken möchte. Das Teilen via Messenger garantiert wenigstens, dass die Botschaft bei Freunden und Bekannten auch ankommt. Die Konkurrenz, die beim Posten im News Feed unausweichlich war, ist hier nicht gegeben. Auch suggeriert der Messenger eine größere Privatsphäre (wenn gleich das natürlich Selbstbetrug ist, da man natürlich immer alles mit Facebook teilt.)
- Gruppen: Auch Gruppen bilden eine sehr viel interessante Option für Nutzer, sich zu artikulieren, sich mit Bekannten, Freunden oder Gleichgesinnten auszutauschen. Auch hier umgeht der Nutzer bewusst all jene Probleme, die der News Feed mit sich bringt.
- Stories: Ferner entwickeln sich Stories – so man denn den Zahlen Glauben schenken darf – für Nutzer zu einer echten Alternative, um sich auf Social Media zu artikulieren. Gerade die Vergänglichkeit der Posts (nach 24 Stunden sind sie in der Regel auf der Plattform / in der App nicht mehr zu sehen) scheint einen enormen Anreiz zu bieten, über den Tag verteilt spontan etwas von sich mitzuteilen. Anders als beim News Feed müsse ja nicht jeder Post perfekt sein, so die PR dahinter. Einfach nur posten, ganz ohne Konkurrenz und nicht für die Ewigkeit – Snapchats Idee hat Nutzer weltweit in den Bann gezogen, selbst wenn sie Snapchat noch nie genutzt haben.
Der größere Zusammenhang: Social-Media-Unternehmen wachsen nicht mehr so schnell wie früher. Manchmal wachsen sie überhaupt nicht mehr. Und wenn es ganz schlimm kommt, dann schrumpft ihre Nutzerzahl sogar. (Recode) Das stellt sie vor enorme Probleme:
- So vermeldet Facebook etwa Zuwächse in Schwellenländern, in den USA hingegen aber seit drei Quartalen die gleichen Nutzerzahlen für täglich aktive Nutzer.
- Da die Nutzer in den USA aber höhere Werbeeinnahmen garantieren, bringen Facebook die Nutzerzuwächse in den Schwellenländern erst einmal gar nicht viel.
- Vielmehr müssen sie sich also überlegen, wie sie mit den bestehenden kostbaren nordamerikanischen Nutzern mehr verdienen können – das funktioniert entweder darüber, Werbung teurer zu verkaufen, oder aber darüber, mehr Werbung in die Produkte zu integrieren.
Facebooks neue Werbeplätze: Um weiter den Erwartungen der Börse gerecht zu werden, muss Facebook wachsen. Das funktioniert nur über kontinuierlich steigende Werbeerlöse. Da der News Feed für viele Nutzer nicht mehr funktional ist, sie lieber Messenger, Gruppen oder Stories nutzen, arbeitet Facebook mit Hochdruck daran, eben jene Produkte ebenfalls zu Geld zu machen, respektive mit Werbung zu versehen. Das funktioniert aber sowohl in Sachen Video-Werbung noch nicht so, wie es Facebook vom News Feed gewohnt ist (Recode). Und auch Stories scheinen noch weit entfernt davon, ähnliche Margen zu erzielen (Stratechery). Erste Schritte in diese Richtung sind etwa die angekündigte Werbung bei WhatsApp (heise) oder das Boosten von Stories bei Instagram (Techcrunch).
Be smart: Facebook könnte bereits in wenigen Jahren komplett anders aussehen: denkbar wäre etwa, dass der einstige universelle News Feed, der Nutzer jedes Mal aufs Neue begrüßt, sobald die App geöffnet wird, gegen eine Art Überblicksseite ausgetauscht wird, die Nutzern die wichtigsten „Stories“-Stories, die neuesten Beiträge aus Gruppen, die aktuellsten Meldungen aus der Region (Today In), die aktuellsten Livestreams, die neuesten Shows (Watch) und die wichtigsten Events anzeigt. Für Publisher stellt sich dann die Frage, ob und wie sie dort noch eine Rolle spielen werden.
Ruhig Blut: Aktuell verdient Facebook noch märchenhafte Summen über den News Feed, keine Frage. Und dennoch: Als Kernprodukt scheint er langfristig nicht mehr zu retten zu sein.
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Social Media & die Midterms
Was ist: Heute stehen die Midterms in den USA an. Die Wahl hat das Potential, die politische Landschaft in den USA zu verändern (Tagesschau). Genau deshalb ist die Mobilmachung enorm. Social-Media-Unternehmen spielen dabei eine extrem große Rolle. Ein Überblick.
Wie die Midterms und Social Media zusammenhängen:
- Social-Media-Unternehmen rufen selbst zum Wählen auf.
- Auf Social Media wird massiv für Kandidaten und politische Ideen geworben – häufig auch mit gezielter Desinformation. Die Unternehmen versprechen, die Integrität der Wahlen zu sichern.
- Social-Media-Unternehmen verdienen prächtig am Online-Wahlkampf.
Warum ist das interessant?
- Erstens zeigen Studien, dass Social-Media-Unternehmen enormen Einfluss auf das Wahlverhalten ausüben können. So konnte Facebook in einem vorher nicht angekündigten Experiment im Rahmen der Midterms 2010 zeigen, dass durch das Einblenden eines „I Voted“-Hinweises bei Freunden mehr Leute zum Wählen animiert werden konnten. (Vox) Das mag grundsätzlich erfreulich sein, keine Frage. Allerdings kann niemand außer der Social-Media-Plattformbetreiber wirklich wissen, welche Bevölkerungs- / Nutzergruppen dieser Hinweis ausgespielt wird. Das Potential der politischen Einflussnahme ist gigantisch. Snapchat etwa rühmt sich bereits ganz unverblümt damit, 400.000 Wähler mobilisiert zu haben (New York Times). Fragt sich nur, welche?
- Zweitens haben etwa Twitter und Facebook im Nachgang zur US-Wahl 2016 an verschiedenen Stellen versprochen, alles dafür zu tun, dass künftig keine Desinformationskampagnen auf den eigenen Plattformen mehr ausgeführt werden könnten – die US-Midterms sind der Lackmustest dafür. Wenn man sich anschaut, was in Facebook-Gruppen passiert, scheint Facebook klar versagt zu haben. (Medium / d1gi)
- Drittens stellt sich ganz grundsätzlich die Frage, ob wir in Demokratien wirklich die Aufgaben des Staats, etwa die Sicherung der Integrität von Wahlen, privaten Unternehmen überantworten wollen. Sicherlich nicht – nur was machen wir, wenn es gar nicht mehr in unserer Hand liegt?
Stichwort Wählermobilisierung
- TurboVote: In Kooperation mit der Non-Profit-Organisation TurboVote bieten sowohl Snapchat als auch Instagram die Option an, sich über die sozialen Medien direkt für die Wahlen registrieren zu lassen. (Hier und hier)
- I-Voted-Sticker (und -Stories): Instagram hat dieses Jahr die bereits angesprochenen I-Voted-Sticker im Programm. Auch wird es bei Instagram eine kuratierte Story zu all jenen Instagram-Nutzern geben, die bereits per Sticker ihren Wahlgang bekundet haben. (AdWeek)
- Wahl-Locations: Snapchat zeigt auf der in der App integrierten Snap-Map Wahllokale an. Auch Snapchat hat übrigens die I-Voted-Sticker im Programm. (The Verge)
Stichwort Wahlsicherung
- Wider Wähler-Beeinflussung: Facebook und Twitter gehen gegen Accounts vor, die mit ihren Inhalten Menschen davon abbringen wollen, nicht zur Wahl zu gehen (Washington Post). Allein Twitter hat 10.000 solcher Accounts runtergenommen (Reuters).
Stichwort Wahlwerbung
- Twitter verdient nur relativ wenig mit Wahlwerbung – obwohl Twitter für die politische Kommunikation so eine enorm wichtige Plattform geworden ist. (Bloomberg)
- Facebook macht sich die Taschen voll – vor allem Demokraten geben viel Geld auf Facebook aus. (The Atlantic)
- Google verdient in erster Linie an Werbeanzeigen, die von den Republikaner geschaltet werden (transparencyreport / google)
Für echte Experten: Wer sich noch viel ausführlicher mit dem Thema Desinformation bei den Midterms beschäftigen möchte, der sollte diese Artikel-Reihe von Jonathan Albright lesen. (Medium / d1gi)
Be smart : Natürlich sind die Social-Media-Unternehmen bei weitem nicht die einzigen, die zum Wahlgang ermutigen (CBS News). Sehr wohl aber haben sie die notwendigen Daten, um gezielt zu beeinflussen. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Ich kann mir nicht vorstellen, dass eins der Unternehmen aktiv in den politischen Willensbildungsprozess eingreifen möchte – das wäre im Zweifelsfall nur schlecht fürs eigene Geschäft. Sehr wohl kann ich mir aber vorstellen, dass etwa bei der Implementierung eines „I-Voted“-Buttons nicht alle Eventualitäten mitbedacht wurden. Wer also ist eigentlich in der Lage, diejenigen zu kontrollieren, die sich selbst auf die Fahnen schreiben, die Integrität der Wahlen zu sichern?
By the way: Facebook zieht eine Anzeige von Trump zurück, weil sie nicht den Werberichtlinien entsprach. Oder mit anderen Worten: weil sie rassistisch war. Das Traurige daran: Wäre es keine Anzeige gewesen, sondern ein regulärer Post, dann hätte das Video auf Plattform bleiben können. (CNN) Update: Genau das ist jetzt natürlich passiert und es wird wie verrückt rumgereicht. (The Hill)
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Rechte Netzwerke: Gab ist wieder da
Was ist: "Goodbye Gab, ein Rückzugsort der extremen Rechten", schrieb Wired Ende Oktober. Die Zwangspause hat nur gut eine Woche gedauert. Der Tummelplatz der Verschwörungstheoritker, Rassisten und Antisemiten ist zurück im Netz (The Verge).
Was steckt dahinter? Der Attentäter, der in einer Synagoge in Pittsburgh elf Menschen erschoss, hatte auf Gab antisemitische Hassbotschaften verbreitet. Euphemistisch ausgedrückt legt die Plattform die Meinungsfreiheit sehr weit aus – tatsächlich duldet Gab auch eindeutig strafbare Inhalte (einen guten Explainer gibt es bei Vox. Daraufhin sperrten Paypal, Joyent, Stripe, Godaddy, Medium, Shopify und andere Dienste die Konten, die Gab bei ihnen genutzt hatte. Zuvor hatten bereits Google, Apple und Microsoft Gab verbannt. Nun gibt der US-Domain-Name-Registrar Epik Gab eine neue Heimat, aus Gab.ai wird Gab.com. In einem Blogeintrag begründet der Epik-Chef die Entscheidung, er sieht Gab als Zensur-Opfer (Epik).
Warum ist das interessant? Der Streit um Gab steht exemplarisch für einige der wichtigsten Fragen des digitalen Zeitalters: Wo endet die Meinungsfreiheit? Wie stark sollten Unternehmen Inhalte moderieren? Wer soll entscheiden, was gesagt werden darf? Ähnlich wie bei der rechtsradikalen Seite The Daily Stormer, die im vergangenen Jahr offline ging (The Verge), liegt die Entscheidung bei Web-Hostern wie Godaddy, die die Infrastruktur des Netzes bereitstellen. In beiden Fällen mag die Entscheidung aus deutscher Perspektive eindeutig sein – Gab und The Daily Stormer bieten Menschen und Meinungen eine Plattform, die sich jenseits des deutschen Rechts bewegen. Bereits nach wenigen Minuten war die Seite wieder voller Antisemitismus (HuffPo). Doch den US-Amerikanern ist die Meinungsfreiheit heilig. Im Sommer begründete Mark Zuckerberg, selbst Jude, warum er auf Holocaustleugnung auf Facebook nicht löschen will. (Recode) Das gilt nicht für Deutschland, hier ist Holocaustleugnung ein Straftatbestand und muss entfernt werden. Diese Ansicht ist in den USA mehrheitsfähig, und dementsprechend kontrovers wird dort über die angebliche Gab-Zensur diskutiert.
Be smart: Es ist sinnvoll, Rechtsextremen die Plattformen zu entziehen. Kein Unternehmen ist verpflichtet, ihnen einen Rückzugsort zu bieten, wo sie sich vernetzen und ihre Menschenverachtung in die Welt hinaus posaunen können. Ebenso gilt aber: Im Internet werden solche Akteure immer einen Platz finden. Je strikter Facebook, Twitter und Youtube ihre Community-Standards durchsetzen, desto mehr Zulauf werden Netzwerke wie Gab oder der rechtsextreme Reddit-Klon Voat (medium / dfrlab) erhalten. Immer mehr Verfassungsfeinde nutzen geschlossene Facebook-Gruppen oder Messenger wie Whatsapp und Telegram, wo Ermittler und Journalisten nicht mitlesen können. Der Hass verschwindet nicht, er wird nur weniger sichtbar. Chemnitz hat gezeigt, dass Rechtsextreme auch auf geschlossenen Plattformen mobilisieren können.
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Tipps, Tricks und Apps
NPR Trainings: Das ist wirklich fantastisch, was NPR da immer auf die Beine stellt. Auf der Website NPR Trainings finden sich eine ganze Reihe von Tutorials für Journalisten und Medienmacher, die wirklich nützlich sind: von Teaser-Texte-Schreiben bis zum Abmischen von Audio. Ein Bookmark wert.
Headliner: Die App Headliner bietet sich an, um aus Audio-Material Videos für Facebook, Twitter und Instagram zu kreieren. Kinderleicht.
Instagram Stories: Sowohl die App Unfold als auch Storrito lassen sich nutzen, um Stories für Instagram zu bauen. Unfold hat die spannendere Geschichte. (CNBC)
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Danke!
500 Ausgaben! Das ist wirklich eine Hausnummer! Aber noch viel großartiger sind die sieben wunderbaren KollegInnen (Anna, Isabell, Simon, Christian, Jan, Tilman und Konrad), ohne die das Briefing nie so gewachsen wäre. Ebenfalls von unfassbarer Großartigkeit sind die weit über 5000 Menschen, die unseren Newsletter über all die Jahre ausprobiert haben! Allergrößte Freude empfinde ich auch, wenn ich an die rund 600 Steady-Abonnenten und die 1200 KollegInnen vom ZDF, Vice Deutschland, WDR, SWR, SZ, RBB, Deutsche Welle, SRF, G+J, Gründerszene, Deutsche Messe, Reichelt Elektronik, MDR, NDR und Infonetwork denke, die es ermöglichen, dass das Social Media Watchblog Briefing kein ehrenamtliches Projekt mehr ist, sondern mein Beruf! Herzlichen Dank an alle, die uns unterstützen und unsere Arbeit wertschätzen und uns weiterempfehlen! Auf die nächsten 500 Ausgaben 🚀! Merci, Martin
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