Salut und herzlich Willkommen zur 480. Ausgabe des Social Media Watchblogs. Heute schauen wir auf Twitters Bedeutung in Deutschland, Facebooks Rolle bei der Gewalt gegen Geflüchtete in Deutschland und blicken heute tatsächlich noch einmal auf die Beziehung von Medien und Facebook – hatte das zwar im letzten Briefing angekündigt, aber am Ende vergessen mitzunehmen. Danke Daniel für den Hinweis 🙂 Ich wünsche eine tolle Lektüre und bedanke mich für das Interesse, Martin & Team

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Zur Bedeutung von Twitter in Deutschland

Was ist: Die Diskussionen, die in Deutschland auf Twitter stattfinden, können nicht als Stimmungsbarometer für Deutschland insgesamt herangezogen werden. Das ist das Ergebnis der Studie „Eine meinungsstarke Minderheit als Stimmungsbarometer?! Über die Persönlichkeitseigenschaften aktiver Twitterer“, die von Sascha Hölig (@hoeligs) für das Hans-Bredow-Institut durchgeführt wurde.

Warum ist das interessant? Sehr häufig landen Themen, die bei Twitter trenden oder kontrovers diskutiert werden, in den traditionellen Medien. Manchmal wird gar ein Thema, nur weil es auf Twitter heiß läuft, auf die politische Agenda gesetzt. Ohne dies allgemein verurteilen zu wollen, stellt sich dabei häufig die Frage, ob diese Ereigniskette auch nur ansatzweise empirisch standhalten würde. Durch die Ergebnisse der Studie wird deutlich: wahrscheinlich nicht all zu oft.

Was sind denn die konkreten Ergebnisse der Studie? Die Süddeutsche fasst die Ergebnisse in ihrem Artikel folgendermaßen zusammen:

Die Gruppe der Menschen, die Twitter als Bühne für die Äußerung der eigenen Meinung verwenden, wiesen tendenziell narzisstische Züge auf, seien persönlichkeitsstärker, extrovertierter und weniger ängstlich als Menschen, die zwar online sind, aber nicht twittern. Politisch neigten Twitterer dazu, extremere Positionen zu vertreten. Twitterdiskurse repräsentieren demnach nicht, was die Allgemeinheit im Netz bewegt, und schon gar nicht, was Menschen ohne Internetzugang beschäftigt.

Be smart: Auch wenn durch die Studie Twitter abgesprochen wird, die Gefühlslage der Nation abzubilden, so ist Twitter doch ein extrem spannendes und bereicherndes Medium. Schließlich sind es gerade Kanäle wie Twitter, die von Gruppen genutzt werden, um sich Gehör zu verschaffen für Themen, die eben noch nicht im bundesmedialen Diskurs abgebildet wurden oder bereits deutschlandweit diskutiert würden. Mögen auch Hashtags wie #Aufschrei nicht repräsentativ dafür stehen, wie sich Deutschland zum Themen Sexismus „fühlte“, so liefern sie sehr wohl einen fundamental wichtigen Anstoß für Debatten.

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Facebooks Rolle bei der Gewalt gegenüber Geflüchteten

Was ist: Die letzten Tage ist ein Artikel der New York Times viral gegangen. Der Artikel berichtet von einer Studie, deren vermeintliches Ergebnis es sei, dass die Nutzung von Facebook zu Gewalt gegenüber Geflüchteten führe. Allerdings stellt sich heraus, dass diese Interpretation so nicht haltbar ist.

Was muss ich über die Studie wissen?

  • Die Studie misst einerseits das Engagement von Posts auf der AfD-Fanpage. Andererseits – quasi als Kontrollgruppe – werden die Interaktionen auf der Nutella-Fanpage gemessen. –
  • Die Studie schaut sich nicht generelle Facebook-Nutzungsstatistiken an. Wie auch? Die sind quasi unmöglich zu bekommen.
  • Somit ist es bereits mehr als fraglich, wenn nicht schlichtweg falsch, von der Beobachtung dieser beiden Fanpages auf eine generelle Facebook-Nutzung zu verallgemeinern.
  • Ferner ist es ziemlich schräg, die Nutella-Fanpage als Kontrollgruppe zu nutzen, schließlich können die 32 Millionen Fans unmöglich aus Deutschland kommen: so viele Facebook-Nutzer gibt es in Deutschland gar nicht.
  • Die Studie wurde von zwei PhD-Kandidaten verfasst und bislang noch nicht einem Peer-Review unterzogen.

Was bleibt dann noch von der Studie? Die Ergebnisse zeigen, dass sich Hass-Inhalte via Facebook verteilen. Dort, wo am meisten mit ihnen interagiert wird, findet man zudem auch die meiste Gewalt gegenüber Geflüchteten. Eine Korrelation ist mit dieser Studie aber nicht bewiesen. Techcrunch hat weitere Ergebnisse der Studie sauber auseinandergenommen.

Be smart: Sehr wohl gilt es folgendes im Auge zu behalten: Wenn also dort, wo am meisten mit Hass-Inhalten interagiert wird, auch die meiste Gewalt zu finden ist, dann sieht es auf Facebook für die angesprochenen Nutzer so aus, als hätten Geflüchtete weniger Rückhalt in der Bevölkerung als sie haben – das wiederum stachelt eben jene Gruppen, denen auf Facebook diese Inhalte präsentiert werden, weiter an. Genau hier erleben wir, warum Facebook häufig so ein gefährlicher Verstärker ist. Ein Zustand, den Facebook eigentlich nicht ignorieren kann. Das Problem nur dabei: Facebook lebt genau davon – giving the people what they want – und verdient prächtig am Hass, den Menschen anderen Menschen zukommen lassen.

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Kampf gegen Desinformationen

Löschen für die Demokratie: Facebook und Twitter haben jeweils mehrere Hundert Accounts und Pages gelöscht, die vom Iran aus die Verbreitung von „Pro-Putin“- und „Pro-Assad-Propaganda“ gesteuert hatten. Leider bleiben sowohl Twitter als auch Facebook bei der Beschreibung der entdeckten Propaganda sehr vage – aus Transparenzgründen wäre es sicherlich besser, sie wären detaillierter bei der Begründung. Hier geht es Facebooks Mitteilung und hier zu Twitters Mitteilung.

Facebook bewertet Nutzer: Facebook hat vor einem Jahr heimlich damit begonnen, Nutzer nach Glaubwürdigkeit zu ranken. Das ist jetzt durch einen Bericht der Washington Post bekannt geworden. Nutzer selbst können nicht sehen, wie "glaubwürdig" sie sind. Hintergrund dieses Scores sei der Kampf gegen "fake news". So wolle Facebook herausfinden, wie zuverlässig ein Nutzer Inhalte auf Facebook meldet, die wohl z.B. von einem „Fake News“-Angebot stammen. Je akurater das „Flaggen“, desto besser der Score der Person. Aus Facebook-Sicht garantiert ein probates (und bei anderen Plattformen durchaus erprobtes) Mittel. Als Nutzer hingegen möchte ich mich nicht gern von einer Plattform in meinem Tun bewerten lassen – vor allem nicht ohne mein Wissen.

Facebook trennt sich von Targeting-Optionen: Zum Herbst hin möchte Facebook mehr als 5000 Targeting-Optionen entfernen. Bislang ermöglichten diese Optionen, sehr spezifische Interessensgruppen anzusprechen. Im Umkehrschluss ermöglichte dies allerdings auch, bestimmte Gruppen von einer Werbung auszuschließen – etwa Vermieter, die an keine Türken vermieten wollten oder Restaurantbesitzer, die keine Juden ansprechen wollten. Diese diskriminierende Form der Werbung soll nun künftig auf Facebook nicht mehr zu finden sein. Übrigens wohl ein Verdienst der Journalisten von Propublica – von wegen Journalismus wirkt nicht.

Indien: Schüler lernen Umgang mit „Fake News“ auf WhatsApp: Um Kids im Umgang mit Desinformationen besser zu schulen, gibt es in Süd-Indien nun an 150 Schulen Unterrichtseinheiten zum Thema „Fake News“ bei WhatsApp. Gut so, finde ich, denn von den 300 Millionen registrierten Smartphones in Indien haben etwa 200 Millionen WhatsApp installiert. Die Verbreitung von „Fake News“ via WhatsApp sind ein riesiges Problem für die Bevölkerung. Für WhatsApp selbst ist Indien übrigens der größte singuläre Markt. An den Aufklärungskampagnen der Schulen sind sie jedoch nicht beteiligt.

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Lese- Hör-Tipps fürs Wochenende

Medium: All in for Subscriptions: Nach wie vor kommt Medium nicht so richtig aus dem Quark in Deutschland. Nur ganz selten flattert mir ein wirklich relevanter deutscher Text ins Haus, der auf Medium publiziert wurde. Dabei ist und bleibt Medium ein wirklich spannender Ort, um Gedanken und Ideen unters Volk zu bringen. Wie und warum Medium jetzt versucht, Subscriber für die Plattform zu gewinnen, erklärt Digiday.

Social Media Companies are capitalists : In der Debatte darüber, ob Social-Media-Unternehmen nun einen politischen Bias hätten oder nicht, kommt stets eine Sache viel zu kurz: die Sache mit dem Geld. Schließlich, so die Baseline des Artikels von Will Oremus, hätten die Plattform zwar nicht eine politische, aber sehr wohl eine wirtschaftlich-motivierte Agenda:

Their agenda is to keep making money, and when it comes to high-stakes decisions about who can say what online, the most lucrative option is often to play dumb“.

Facebooks Löschvorgaben: Wir beschäftigen uns ja hier im Briefing viel mit der Frage, welche Verantwortung die Social-Media-Unternehmen dafür tragen, was auf ihnen publiziert wird, und wie sie bei strittigen Inhalten vorgehen sollten. Facebook etwa hat ja ein großes Heer (read: Zehntausende) an relativ schlecht bezahlten Sub-Angestellten, die wohl über etwa 5000 Posts pro Tag urteilen müssen – eine eigentlich unmögliche Aufgabe und gleichzeitig immer noch viel zu wenig. Das großartige Radiolab hat sich in seiner aktuellen Ausgabe mit diesem Komplex ausführlich beschäftigt. Wer also bei diesem Thema noch tiefer einsteigen möchte, dem sei diese Sendung empfohlen: Post no evil.

SEO is back. Thank God: Zwar war SEO nie weg, sehr wohl aber mussten aufgrund der begrenzten WoMan-Power in den einzelnen Häusern Prioritäten gesetzt werden und die gingen imho in den letzten Jahr klar zugunsten der Social-Abteilung. Jetzt aber dürfte SEO wieder stärker in den Vordergrund rücken – eine Entwicklung, die Brian Feldman vom NYMag ausdrücklich begrüßt:

For better or worse, SEO forced publishers to focus on providing their readers with relevant information. Social optimization for platforms like Facebook forced publishers to make their content evocative, incendiary, and interactive. Social content wasn’t about transmitting information as much as it was about helping people perform their identities online. It put a premium on heavy-handedness and polarization. It didn’t just need to say something, it needed to help the sharer say something too.

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Instagram

Recommendations: Instagram testet „recommended posts“ – und zwar ausgerechnet an der Stelle im Feed, an der man eigentlich alles gesehen hatte und einem der Hinweis „You are all caught up“ angezeigt wird. Man, man, man. Das ist echt Silicon Valley in a nutshell: Erst öffentlichkeitswirksam so tun, als würde man sich um die Nutzer sorgen machen. Daraufhin dann ein „Time-Well-Spent“-Feature einbauen (Etwa: You are all caught up). Dann aber wieder ein neues Tool einführen, das einen dazu verleitet, länger auf der Plattform zu bleiben. Weißte Bescheid.

Tinder

College App: Tinder startet eine eigene College-App. Die App Tinder U zielt dem Vernehmen nach aber mehr darauf ab, Studierende zum Lernen, respektive Abhängen zusammen zu bringen als zum reinen.. naja, ihr wisst schon. Vorerst gibt es Tinder U nur in den USA und nur für junge Menschen mit einer .edu-Adresse. Mal schauen, wo das hinführt. Es gab doch schon einmal eine App, die sich nur an College-Studierende richtete… wie hieß die gleich? Ah, ja, richtig: The Facebook. Nun ja. Bin gespannt, ob Tinder damit einen Nerv trifft. Tinder selbst jedenfalls wächst wie verrückt: 3.8 million paying Tinder users in Q2 2018, versus 1.7 million at the same time last year.