Wie viele Leben hat Facebook? Mal im Ernst: Facebook erfährt, dass die Daten von mindestens 270.000 Nutzerkonten auf unerlaubte Weise an ein kommerzielles Beratungsunternehmen weitergereicht wurden – und informiert darüber weder die betroffenen Nutzer, noch geht es auf Nummer sicher, dass eben jene Daten auch wirklich wieder gelöscht würden? Unglaublich. Der Cambridge-Analytica-Skandal zeigt uns einmal mehr, wie wenig Facebook noch in der Lage ist, sich selbst vernünftig zu regulieren. Das und mehr in unserem heutigen Briefing. Vielen Dank für das Interesse, Martin & Team

[line]
[gap size=“40px“]

DER CAMBRIDGE-ANALYTICA-SKANDAL

Mit großer Sicherheit hast Du bereits in den vergangenen Tagen vieles zum Facebook-Skandal rund um die Beratungsfirma Cambridge Analytica gelesen. Da dieses Briefing aber nicht jeden Tag erscheint und zudem ein durchaus heterogenes Publikum anspricht, versuche ich an dieser Stelle dennoch ein möglichst umfassendes Bild von der Nachricht und all seinen Konsequenzen zu zeichnen. Pick Dir einfach das raus, was Du noch nicht wusstest.

Was ist: Im Jahr 2014 hat die politische Beratungsfirma Cambridge Analytica (CA) einen Akadamiker, Dr Aleksandr Kogan, dafür bezahlt, Leute dazu zu bringen, eine App herunterzuladen, um ein Psycho-Quiz zu absolvieren. Die dabei entstandenen Daten plus sämtliche Daten, die von den Facebook-Profilen der jeweiligen Nutzer abgegriffen werden konnten, wurden dann an CA weitergereicht.

270.000 Menschen hatten die App installiert und eingewilligt, dass ihre Daten an den Wissenschaftler weitergereicht würden – aber eben nicht, dass die Daten an CA weitergeleitet werden.

Zudem hatte Dr. Kogan ein sogenanntes Loophole ausgenutzt, dass es ermöglichte, nicht nur die Daten von den Facebook-Profilen all jener Menschen abzusaugen, die die App installiert hatten, sondern eben auch die Daten all der Freunde von denjenigen, die die App installiert hatten. Ein Vorgang, der heute so nicht mehr erlaubt ist, zu dem damaligen Zeitpunkt aber von Facebook geduldet wurde. Was aber auch hier nicht erlaubt war: die Weitergabe der Daten an CA. Insgesamt konnten Dr. Kogan und CA angeblich an die Facebook-Profildaten von 50 Millionen US-Amerikanern gelangen.

Vor zwei Jahren hatte Facebook dann Wind davon bekommen, dass Dr. Kogan die Daten an CA weitergeleitet hatte. Facebook bestand darauf, dass jene Daten gelöscht würden, machte aber wohl keine Anstalten, das zu überprüfen. Einem ehemaligen CA-Mitarbeiter, Christopher Wylie, zufolge sei aber eine Löschung dieser Daten niemals vorgenommen worden. Vielmehr seien diese Daten plus die Daten der Freunde (also die Gesamtheit von 50 Millionen Facebook-Profilen) dafür genutzt worden, um für CA einen Algorithmus zu kreieren, der psychologisches Targeting ermöglichen solle – etwa um Wähler zu beeinflussen. Soweit die Fakten.

Was sollte ich dazu gelesen haben?

Warum ist das interessant?

  • Erstens: CA ist berühmt berüchtigt durch seine Verbindungen zu Robert Mercer, einem amerikanischen Multimilliardär, der als maßgeblicher Unterstützer von Donald Trump gilt, und Stephen Bannon, der wie allen bekannt sein dürfte, ebenfalls bis zu seiner Entlassung als enger Vertrauter von Donald Trump galt.
  • Zweitens: Es ist völlig unklar, wie groß der Einfluss von CA wirklich ist. Dem damals in Deutschland massenhaft geteilten Artikel zur Wirkmacht von CA bei der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, wurde später an verschiedenster Stelle entschieden widersprochen. Auch gab CA selbst zu Protokoll, dass sie den auf den gekaperten Daten aufbauenden Algorithmus zum psychologischen Targeting bei der Wahl Trumps nicht zum Einsatz bringen konnten.
  • Drittens: Das Vorgehen von CA zeigt allerdings auf, wie private Firmen Demokratien zu beeinflussen suchen, vor allem auch über gezielte Desinformations-Kampagnen und Werbung auf den Social-Media-Plattformen. Dieser Beitrag von Channel 4 unterstreicht das deutlich: Revealed: Trump’s election consultants filmed saying they use bribes and sex workers to entrap politicians
  • Viertens: Es ist unklar, ob Facebook von dem ganzen Ausmaß (50 Millionen Nutzer-Konten) wusste – was allerdings durchaus anzunehmen ist, hatten sie doch die Schnittstelle damals derart konzipiert, dass auch die Facebook-Profile von Freunden mit abgegriffen werden konnten.
  • Fünftens: Es ist festzuhalten, dass Facebook allem Anschein nach von selbst nichts weiter unternommen hatte, um wirklich sicher zu gehen, dass die Daten gelöscht würden.
  • Sechstens: Auch hat Facebook seine Nutzer nicht gewarnt, respektive ihnen Bescheid gegeben, dass ihre Daten an ein kommerzielles Unternehmen ohne Genehmigung weitergereicht wurden.
  • Siebtens: Facebook hatte sich gegen die Veröffentlichung durch den Guardian und die New York Times juristisch zur Wehr gesetzt.

Wie wird der Skandal bewertet? Zwei spannende Stimmen:

Julia Jäkel: Machen wir doch mal ein kleines Gedankenspiel: Stellen Sie sich vor, der stern hätte „versehentlich“ die Adressen und persönlichen Vorlieben von Millionen Lesern an eine Werbeagentur gegeben. Die hätte dann – um im Bild zu bleiben: in stern-Umschlägen – Briefe verschickt, um die Wähler einer bestimmten Partei zu mobilisieren und andere von der Wahl fernzuhalten. Wir als Verlag wären erledigt, glaube ich, und das zu Recht.

Edward Snowden: Businesses that make money by collecting and selling detailed records of private lives were once plainly described as „surveillance companies.“ Their rebranding as „social media“ is the most successful deception since the Department of War became the Department of Defense. Facebook makes their money by exploiting and selling intimate details about the private lives of millions, far beyond the scant details you voluntarily post. They are not victims. They are accomplices.

Was sind die Konsequenzen?

Weitere Lesenswerte Texte zum Thema:

Wie kann man sich selbst wehren?

Übrigens: CEO Mark Zuckerberg, COO Sheryl Sandberg und Chief Privacy Officer Erin Egan haben sich zum gesamten Vorfall noch nicht zu Wort gemeldet.

[line]
[gap size=“40px“]

#DELETEFACEBOOK

Was ist: Im Zuge der Debatte um Facebook und Cambridge Analytica trendet einmal mehr das Hashtag #DeleteFacebook – doch ein Exodus ist nicht in Sicht.

Eine kleine Umfrage bei uns in der Facebook-Gruppe zeigt, dass ein Großteil nicht darüber nachdenkt, seinen Account zu löschen. Dabei gäbe es viele gute Gründe aus meiner Sicht – und wirklich nur einige wenige, die tatsächlich dafür sprechen.

Pros: Meine Gründe, meinen Facebook-Account nicht zu löschen:

  • Ich möchte die URL facebook.com/martingiesler nicht hergeben müssen
  • Ich möchte im Blick haben, was Dritte über mich teilen
  • Ich nutze Facebook für Promo in eigener Sache
  • Ich nutze Facebook für das Team Social – unsere Facebook Gruppe

Neutral: Ein Grund, der wichtig ist, aber anders lösbar wäre

  • Ich muss Zugang zum Facebook Business Manager haben, der ist allerdings an (m)ein Facebook-Profil geknüpft

Contra: Was lässt mich darüber nachdenken, Facebook zu verlassen?

  • Ich diene Facebook mehr, als dass Facebook mir dient – kein gutes Gefühl
  • Ich toleriere wissentlich eine Überwachung meiner Aktivitäten & die Ausnutzung meiner Person – ich bin das Produkt, ohne von Facebook am Erlös beteiligt zu werden
  • Ich habe trotz größter Anstrengungen keine wirkliche Kontrolle über meine Daten, fühle mich ausgeliefert, das Vertrauen ist komplett verschwunden (Hashtag: Dumb Fucks)
  • Facebook bringt mir wenig Freude, im Gegenteil: macht mir häufig eher noch Stress
  • Zusätzlicher Zeitaufwand, der investiert werden muss
  • Privat bringt mir Facebook gar nichts: ich erhalte auf FB keine Nachrichten von Freunden, die ich nur dort bekommen würde, lediglich berufliche Kontakte – wenn auch sehr nette 🙂
  • Auch erhalte ich auf FB keine Informationen, die ich nicht an anderer Stelle bekäme
  • Schlechter Stil seitens Facebook: Vertuschungsversuche, Geheimniskrämerei, schlechter Umgang mit journalistischen Anfragen
  • Bevorzugung von Inhalten, die einzig den Zweck verfolgen, Nutzer länger auf der Plattform zu halten und damit automatisch weniger Gewicht für Inhalte, die nicht für unmittelbares Engagement gedacht sind, sondern nur der reinen Information dienen
  • Facebooks Komplizenschaft bei Propaganda und der Verteilung von Desinformation
  • Ermöglichung der Verfolgung und Tyrannisierung von Minderheiten
  • Steuerung von Aufmerksamkeit, um mehr Profit zu erwirtschaften, nicht um Gesellschaft klüger zu machen
  • Ermöglichung der Manipulation der öffentlichen Meinung und damit der Gefährdung des gesellschaftlichen Zusammenhalts
  • Gefährdung der mentalen Gesundheit der Nutzer
  • Diskriminierung von gesellschaftlichen Minoritäten

Diskussion: Falls Du Lust hast, Dich mit mir zu diesem Thema auszutauschen, freue ich mich über Hinweise per Email oder ein Reply auf Twitter:

[line]
[gap size=“40px“]

GOOGLE NEWS INITIATIVE

Was ist: Google bündelt seine Aktivitäten und hält in den kommenden drei Jahren rund 300 Millionen Dollar vor, um zusammen mit Verlagen, an einer informierten Weltöffentlichkeit zu arbeiten – wie es so schön bei Horizont heißt.

Was genau plant Google?

  1. Google möchte dabei helfen, digitale Abo-Erlöse zu steigern. Dafür stellt Google z.B: die digitalen Infrastruktur bereit: etwa den Google-Login und eine Google-Bezahlfunktion. So sollen Abos mit nur einem Klick ermöglicht werden.
  2. Zudem möchte sich Google im Kampf gegen Fake News engagieren: Gemeinsam mit First Draft startet Google das Disinfo Lab.
  3. Auch möchte Google dabei helfen, technologische Innovationen voranzutreiben.

Was ist davon zu halten? Ganz ehrlich: Ich weiß es noch nicht. Ich habe das Gefühl, dass es keine all zu gute Idee ist, wenn sich Publisher etwa hinsichtlich der Abo-Funktion wieder auf die Technologie von einer der großen Plattformen verlassen, anstatt selbst etwas zu entwickeln. So würde sich die Geschichte der ungesunden Abhängigkeiten einfach nur fortschreiben. Aber mehr dazu in den kommenden Tagen.

[line]
[gap size=“40px“]

FACEBOOK GRUPPEN-TROLLEN

BuzzFeeds Craig Silverman durfte einmal mehr für BuzzFeed in unendlichen vielen Zeichen aufschreiben, was bei Facebook so passiert – nämlich jede Menge Schmutz. Dieses Mal geht es um Facebooks Vorhaben, Gruppen stärker in den Fokus seiner User zu rücken. In einer lesenswerten Analyse zeigen Silverman und Kollegen auf, wie Gruppen bereits jetzt von Hackern, Trollen und Propagandisten gekapert werden und es noch wilder und befremdlicher zugeht als früher auf so mancher Facebook Fanpage. Der einzige Vorteil für Facebook: vieles davon bleibt von der Öffentlichkeit unentdeckt. Das kann nicht Facebooks ernst sein. How Facebook Groups Are Being Exploited To Spread Misinformation, Plan Harassment, And Radicalize People

Plus: Hier noch einmal als Reminder meine Fragen an Facebook zur Überprüfung von Gruppen und FBs schmallippige Antworten:

  1. Gibt es Bestrebungen seitens Facebook, Facebook-Gruppen – gerade auch sogenannte closed groups – hinsichtlich der Einflussnahme durch politische Akteure zu überprüfen?
  2. Wie funktioniert diese Überprüfung?
  3. Wie viele Leute sind damit bei Facebook befasst?
  4. Wie können unabhängige Dritte, etwa Journalisten oder Wissenschaftler, in Facebook Gruppen – gerade auch in closed groups forschen?
  5. Welche Instrumente gibt es, um seitens Facebook und/oder durch Dritte Gruppen zu identifizieren, in denen womöglich politische Propaganda, wie wir sie im Zuge der Ermittlungen rund um die Internet Research Agency in den USA gesehen haben, verbreitet wird?
  6. Wie schätzt Facebook die Einflussnahme durch politische Akteure innerhalb von Facebook Gruppen – gerade auch innerhalb von closed groups ein?

Secret groups provide an important space for people to discuss issues with members of a specific community that they might not want others in their friendship group to know about. We often hear from people that having a place on Facebook to share intimate and important details about issues specific to them is vital to their well-being.”
“We’re making a lot of investments to keep people safe on our platform. As part of our broader investments in security, we now have over 14,000 people working around the world to investigate reported content, prevent harassment, stop fake accounts and otherwise protect people on Facebook. (Quelle: ein Facebook Sprecher)

Plus: Weil ich die kommenden Wochen super viel zu tun habe und derzeit sowieso wenig Lust habe, Zeit in Facebook zu investieren, habe ich mich dazu entschieden, unsere Facebook-Gruppe „Team Social“ für die nächsten zwei Wochen zu schließen. Bitte seht es mir nach.

[line]
[gap size=“40px“]

FACEBOOK TESTET SUBSCRIPTIONS

Facebook möchte gern YouTube noch mehr Konkurrenz machen und führt zunächst in einem Test die Option ein, Video-Künstler für 4.99 Dollar im Monat abonnieren zu können. Zudem bietet Facebook Video-Künstlern verschiedene Möglichkeiten an, um von potentiellen neuen Auftraggebern in Sachen Influencer-Marketing besser entdeckt zu werden. Zunächst testet Facebook nur mit 10 Video-Künstlern aus den USA und UK. Aber immerhin ist das ein erster spannender Versuch, Menschen für die Produktion von Inhalten auf Facebook, zu bezahlen.

[line]
[gap size=“40px“]

Instagram ermöglicht es nun Shop-Betreibern, auf ihren Fotos bei Instagram direkt Links zu ihrem Shop zu setzen. Der Clou: Nutzer werden nicht umständlich via Browser zum Shop weitergeleitet, sondern der Shop ist direkt über Instagram nutzbar. Wie das funktioniert, zeigt dieses Video von W&V. Wäre ja schön, wenn Instagram auch Links zu Artikeln erlauben würde – wegen Bildung und so. Aber nun ja.

[line]
[gap size=“40px“]

APPS, TOOLS & WEBSITES

Apropos Instagram. Posts können jetzt bei Buffer gescheduled werden. Vielleicht ist das ja für den einen oder die andere ganz spannend.