Dieser Artikel wurde am 13.2.2019 publiziert
Grundsätzlich ist die Analyse gut gealtert. Gleichzeitig haben sich einige Dinge in der Zwischenzeit etwas überholt – vor allem die Nutzungszahlen. Alle aktuellen Artikel zu TikTok findest du hier.

Was ist: Alle reden über TikTok. Selbst in großen deutschen Medien ist die App angekommen. Auch ich habe viel Zeit mit der App verbracht. Was TikTok ist, warum die App so gehypt wird und warum wir das zwar alles schon einmal gelesen haben, es dieses Mal aber trotzdem etwas anderes ist, erfahrt ihr hier.

Was ist TikTok?

  • TikTok ist eine Kurzvideo-App für Android- und iOS-Smartphones.
  • TikTok ist eine Mobile-Only-Anwendung. Es gibt zwar eine Desktop-Version, die taugt aber nur zu Werbezwecken.
  • TikTok gehört zum chinesischen Unternehmen ByteDance, einem der am höchsten bewerteten Start-Ups der Welt (WSJ), das in China zum größten Konkurrenten von Tencent (Mutterkonzern von WeChat) avanciert.
  • ByteDance entwickelt auch die populären Apps Duoshan (Bloomberg), ein Messenger, der mit Snapchat verglichen wird, und Toutiao (Techcrunch), einem Nachrichten-Aggregator, für den es kein richtiges Pendant im Westen gibt.
  • ByteDance hatte 2017 die App Musically übernommen und im Sommer 2018 mit TikTok verschmolzen.
  • Eigentlich heißt die App Douyin – nur in der westlichen Welt ist sie als TikTok bekannt.
  • TikTok finanziert sich bislang über das Geld des Mutterkonzerns ByteDance. Werbung und virtuelle Goodies sollen eine Rolle bei der Monetarisierung der App spielen- gleich mehr dazu.

Wer nutzt TikTok?

  • TikTok hat eigenen Angaben zufolge weltweit 800 Millionen täglich aktive Nutzer (Digiday). In Europa sind es angeblich mindestens 17 Millionen monatlich aktive Nutzer (MAUs). Nach Ländern aufgeschlüsselt:
  • 🇩🇪 4,1 Millionen
  • 🇫🇷 4,0
  • 🇬🇧 3,7
  • 🇪🇸 2,7
  • 🇮🇹 2,4
  • In Deutschland öffnen Nutzer die App demnach achtmal am Tag. Zur Altersstruktur wurden bislang keine offiziellen Zahlen veröffentlicht.

Wie funktioniert TikTok?

  • TikTok lässt Nutzer Videos teilen, die sie entweder direkt in der App produzieren oder aber im Vorfeld erstellen und bei TikTok hochladen.
  • Videos, die über die App aufgenommen werden, können eine Länge von 15 Sekunden haben. Insgesamt kann ein TikTok-Video aber bis zu einer Minute lang sein.
  • Genau wie bei vielen anderen populären Social-Media-Apps kann man bei TikTok anderen Nutzern folgen und selbst Follower sammeln.
  • Auch lässt sich bei TikTok kommentieren, liken und teilen. Gerade was das Teilen von Inhalten angeht, hat TikTok aber einige Features in Petto, die es von den anderen Plattformen abheben. Nutzer können etwa TikTok-Videos in Gifs umwandeln oder herunterladen. Außerdem ist es möglich, die in der App erstellten Videos direkt auf Twitter, Instagram oder WhatsApp zu teilen.
  • TikTok-Videos können öffentlich und privat geteilt werden. Nutzer können selbst entscheiden, ob sie Kommentare zu ihren Videos zulassen oder nicht.
  • Für die Produktion von Videos stehen zahlreiche Filter und Effekte zur Verfügung. Auch können Videos direkt innerhalb von TikTok (rudimentär) geschnitten werden.
  • Nutzer können bei TikTok auch live gehen – etwa um auf Fragen von Fans einzugehen. In diesen Live-Broadcasts können Fans ihren „Stars“ virtuelle Goodies zukommen lassen, für die sie allerdings echtes Geld bezahlen.

Was macht TikTok aus?

  • Wer TikTok öffnet, landet direkt im Feed. Dort erwartet ihn in aller Regel ein Mix aus Tanz- und Comedy-Videos.
  • Musik und Soundeffekte sind bei TikTok elementar. Die Videos funktionieren meist nicht ohne Ton – ein gewaltiger Unterschied zu den Videos auf Twitter, Facebook und Instagram, die häufig mit Text versehen werden, damit sie sich auch lautlos erschließen.
  • TikTok zeichnet sich dadurch aus, dass Nutzer hunderttausendfach an Challenges teilnehmen oder Memes um eine eigene Variante erweitern. Über Hashtags wie #ChooseYourCharacter (hier ein Zusammenschnitt bei YouTube) oder Snippets von populären Songs wie Baby Stark (hier ebenfalls ein Zusammenschnitt bei YT) werden die Videos kommuniziert.
  • Nutzer können bestimmten Challenges, Hashtags und Sounds folgen. Einige Hashtags wurden bereits mehrere Milliarden Mal aufgerufen.
  • Zudem kann bei TikTok ein sogenanntes Duett-Feature genutzt werden. So lassen sich beispielsweise bei Challenges das Original-Tanzvideo auf der einen und die eigene Version auf der anderen Seite veröffentlichen.

Warum ist TikTok so populär?

  • Im Gegensatz zu anderen Social-Media-Apps muss man bei TikTok nicht zwingend Personen oder Hashtags folgen. Die App funktioniert auch ohne ein einziges Abo und erinnert damit eher an eine zeitgemäße Variante von Fernsehen.
  • Überhaupt bietet TikTok eine recht intuitive Handhabung, die sich schneller erschließt als bei Snapchat. Es ist einfach, ein Video nach dem nächsten anzuschauen oder mehr zu den jeweiligen Hashtags und Sounds finden.
  • Ferner scheint TikTok durch den Fokus auf Audio sehr attraktiv. Wenn einem etwa ein Sound-Stippet gefällt (nicht unbedingt Baby Shark – vielleicht eher der Em Em Dance), dann verliert man sich schnell in der Flut an unterschiedlichen Video-Versionen.
  • TikTok hat bereits seine eigenen Stars (OMR), funktioniert aber vor allem deshalb so gut, weil es noch nicht von professionellen Inhalte-Anbietern überflutet wird. Vielmehr sind gerade Hashtags wie #Arbeit oder Sound-Snippets wie „Die Verabredung“ voll mit Interpretationen von ganz normalen Menschen.
  • Bislang gibt es bei TikTok angenehm wenig Werbung. Zwar tauchen seit ein paar Wochen die ersten Anzeigen auf, aber im Vergleich zu den anderen populären Social-Media-Apps sieht man mehr echte Inhalte als gesponserte.

Was sind die Probleme bei TikTok?

  • Erstens gibt es natürlich auch bei TikTok jede Menge Mobbing und Hasskommentare – nicht zuletzt auch mittels Duett-Feature. Noch haben Trolle und Hater die Plattform nicht so fest in der Hand, wie das bei Facebook, Instagram und Twitter der Fall ist. Doch erste Berichte stellen einen Zusammenhang zwischen TikTok-Nutzung und Suiziden her (TNW). Ferner gibt es Hinweise, dass über TikTok strafrechtlich relevante pornografische Inhalte geteilt werden.
  • Zweitens reiht sich TikTok ein in die Gruppe der Überwachungs-Kapitalisten, die aus jedem Nutzer maximalen Profit schlagen wollen. Mit 50 Petabyte (also fünfzigtausend Terabytes) „of daily data processing capacity“ und 1500 PB Speicherkapazitäten lässt sich einiges anstellen. So heißt es auf der Website von ByteDances Research Lab recht selbstbewusst:

This virtuous cycle of AI has allowed us to venture into areas of machine intelligence the world has not seen before.

  • Drittens darf angenommen werden, dass bei TikTok stark zensiert wird und Inhalte, die chinesische Behörden missbilligen, nicht auf der Plattform veröffentlicht werden können. Einem Bericht der Financial Times zufolge ist TikTok dafür verantwortlich, was die Nutzer posten. Eine rigorose Überwachung scheint also auch aus aus politischen Gründen unumgänglich.
  • Viertens werden die Künstler, deren Songs bei TikTok verwendet werden, nur unzureichend bezahlt. Zwar gibt es Lizenz-Deals für die Songs, die bei TikTok in der Musikbibliothek sind. Alle anderen gehen aber in der Regel leer aus. Bei Pitchfork kann man genauer nachlesen, warum das Musiker wütend macht.
  • Fünftens weiß man bislang recht wenig über das Tracking von TikTok-Nutzern. Zwar gibt es die Terms of Services, die man sich in aller Ruhe durchlesen kann. Wie viel komplexer die Realität meist aussieht, konnten wir in den vergangenen Monaten am Beispiel Facebook sehen.
  • Sechstens ist noch nicht ersichtlich, wie Nutzer für ihre Videos entlohnt werden sollen. Alle TikTok-Stars scheinen bislang primär über Instagram oder YouTube Geld zu verdienen. Auf der Plattform selbst lässt sich noch kein Einkommen erzielen, von vereinzelten Werbe-Deals einmal abgesehen. Professionelle Medienanbieter können vorerst also nur neue Zielgruppen erschließen und Reichweite gewinnen, aber kein Geschäftsmodell auf TikTok aufbauen.
  • Siebtens versucht TikTok seit ein paar Wochen, Anzeigen zu platzieren (Digiday). Dass TikTok Geld verdienen will, kann man verstehen. Wie sie es machen, sollte man kritisieren. Huawei hat etwa mit einer Challenge (#GönnDirPSmart) geworben, bei der im TikTok-Stil ein Tänzer eine Choreographie zum besten gab, woraufhin Tausende per Duett-Funktion mittanzten und so selbst zum Teil der Werbemaßnahme wurden. Für den Werber ist das verlockend. Ob junge Nutzer so lernen, zwischen Werbung und Inhalt zu unterscheiden kann, ist fraglich.

Der größere Zusammenhang

  • Sogenannte Short-Video-Apps sind in China derzeit mega populär. Abacus hat eine tolle Übersicht über die große Bandbreite an unterschiedlichen Apps aus diesem Segment: Short Video App Wars.
  • Facebook hat bereits auf die zunehmende Beliebtheit von TikTok reagiert und mit Lasso eine eigene App auf den Markt geschmissen – allerdings bislang ohne großen Erfolg (TechCrunch).
  • Im Westen gab es mit Vine bereits einmal eine recht beliebte Video-App, die auf kurze Inhalte spezialisiert war. 2016 wurde die App eingestellt. Gründer Dom Hofmann hatte jüngst einen Vine-Nachfolger für Frühjahr 2019 angekündigt (CNBC). Ob die App aber wirklich kommt, ist fraglich.
  • TikTok selbst jedenfalls ist auf Expansionskurs, wirbt derzeit z.B. massiv auf Instagram und Snapchat. Auch hat TikTok jüngst eine bekannte Managerin von YouTube abgeworben (Cheddar), um in den USA noch stärker Fuß zu fassen. Auch in Europa sind sie derzeit auf der Suche nach neuen Mitarbeitern (LinkedIn).

Be smart: TikTok macht gute Laune, keine Frage. Im Gegensatz zu Vero oder anderen kurzzeitig gehypten Apps wird TikTok auch nicht nach ein paar Wochen wieder in der Versenkung verschwinden. Vielmehr dürften in den kommenden Monaten zahlreiche Künstler, Promis, Politiker und Medienhäuser bei TikTok einsteigen. Das wird die App deutlich verändern. Professionelle Inhalte werden den Feed erobern und kreative Videos von normalen Nutzern verdrängen. Genau das geschah schon bei Flickr, Vine, Instagram und Snapchat (siehe dazu Jason Kottke). Das könnte den anarchischen Charme gefährden, der TikTok bislang von anderen Apps abhebt. Red Bull, die NBA und funk sind jedenfalls schon mal mit dabei.

Dennoch hat TikTok das Potential, sich in Deutschland zu etablieren. TikTok könnte die erste App sein, die in allen großen Märkten Erfolg hat: Europa, USA, China und Indien. Je größer die App wird, desto drängender werden Fragen, auf die TikTok Antworten wird geben müssen: Was genau macht TikTok mit den Nutzerdaten? Welche Inhalte werden auf der Plattform systematisch unterdrückt? Wie wählt TikTok die Inhalte aus, die im Feed der Nutzer landen? Welche Maßnahmen ergreift TikTok, um Nutzer vor Mobbing und Hass zu schützen? Wie unterbindet TikTok, das auf der Plattform menschenverachtende Inhalte geteilt werden? Fragen über Fragen. Wir bleiben dran.

News

Eingeständnis der Woche

Twitter ist einfach eine miese Plattform, um Diskussionen zu führen. Das durfte nun sogar Twitter-Boss, Jack Dorsey, am eigenen Leib erfahren, als er mit Tech-Reporter-Legende Kara Swisher ein Twitter-Interview führte. Hihi.

Lese-Tipps fürs Wochenende

Das freie Netz stirbt vor unseren Augen: Kollege Simon Hurtz hat für die Süddeutsche brillant aufgeschrieben, was uns hier im Social Media Watchblog schon lange gemeinsam umtreibt – nämlich die Sorge um die viel zu große Macht der Tech-Unternehmen hinsichtlich ihrer Rolle als Gatekeeper. Die Bedenken lauten wie folgt: Noch mögen wir applaudieren, wenn Hoster wie Joyent oder Zahlungsdienstleister wie Paypal rechten Plattformen wie Gab die Zusammenarbeit verweigern. Was aber passiert, wenn sich der Wind dreht und die Unternehmen künftig liberale Weltanschauungen unterdrücken?

Freie Meinungsäußerung mit freier Meinungsäußerung bekämpfen: Wenn wir an Zensur denken, dann ja häufig in der Form, dass Inhalte durch den Staat oder von einer Plattform gelöscht oder unterdrückt werden. Vielleicht lohnt es sich aber, Zensur heutzutage auch anders zu denken. In ihrer Kolumne für die Washington Post argumentiert Anne Applebaum in Anlehnung an Tim Wu, dass „speech itself would become a weapon of censorship“. Sehr, sehr lesenswert: The new censors won’t delete your words — they’ll drown them out.

Eine Art Instagram für den Knast: Ich kenne mich mit dem Thema ehrlich gesagt nicht all zu gut aus, möchte aber dennoch auf diese bemerkenswerte Geschichte aufmerksam machen. Allem Anschein nach ist es in den USA so, dass die Kommunikation zwischen Gefängnisinsassen und Angehörigen von einigen wenigen Unternehmen kontrolliert wird, die dabei ordentlich die Hand aufhalten. Um diesen Zustand zu ändern, haben Ex-Häftlinge Firmen gegründet, die einer Art Instagram für den Knast (Bloomberg) ähneln. So können Angehörige via Smartphone Fotos knipsen, die dann per Post automatisch ans Gefängnis verschickt werden. Spannend!

Studie zu Profilen bei Social-Media-Plattformen: Als eifrige Social-Media-Nutzer wissen ja die allermeisten von Euch, dass Menschen bei Facebook, Instagram, Twitter und Co auf recht unterschiedliche Art und Weise darstellen können, wer sie sind: z.B. via Profilfoto, Coverfoto, Bio auf der einen Seite und all dem, was man liken, teilen und posten kann auf der anderen Seite. Die Studie „Our Profile(d) Selves: How social media platforms use data to tell us who we should be“ setzt sich wissenschaftlich mit diesem Thema auseinander und zeigt, welche Ziele der Unternehmen jeweils dahinterstecken. Zitat:

The underlying principle behind this business model is to collect as much data as possible and connect this data to particular users, whilst at the same time categorising users into more and less valuable targets for adverts. This principle is translated into the design of social media profiles, which usually consist of a constant stream of updates and a profile core.<

Neues von den Plattformen

Instagram

LinkedIn

  • Live-Video: LinkedIn kann jetzt auch Live-Video. Ziemlich spannend, wie LinkedIn Stück für Stück all die Features integriert, die auf den populären Social-Media-Plattformen gut angenommen werden. (Techcrunch)